Altdeutsche Hütehunde haben einen großen Vorzug: sie sind ungeheuer schlau. Und sie haben einen großen Nachteil: sie sind ungeheuer schlau.

„Ein guter Hütehund gibt alles. Er stirbt lieber, als aufzugeben“, sagt Ernst Fauser, hebt einen tapsigen Welpen hoch und krault ihn am Bauch.
Das knuddelige Fellbündel mit den Knopfaugen wirkt nicht wie ein Kämpfer. Es ist einfach nur süß. Ernst Fauser, Schäfer in der sechsten Generation, verzieht das Gesicht. Das ganze Jahr über ist er mit den Herden unterwegs, die Hunde sind immer mit dabei.
Sie sind unverzichtbare und unersetzliche Arbeitspartner, und „süß“ ist das letzte Kriterium, auf das er als Schäfer an seinem Hund Wert legt.
Altdeutsche Hütehunde sind selbständig und durchsetzungsstark

„Der altdeutsche Hütehund (AH) wurde speziell für die Anforderungen der Wanderschäferei gezüchtet“, erzählt er. „Das hat ihn zu dem gemacht, was er noch heute ist: zu einem arbeitswilligen, selbständigen, aufmerksamen und durchsetzungsstarken Hund.“
Ein guter Hütehund muss entspannt warten, blitzschnell reagieren und ausdauernd laufen können. Ist es erforderlich, pendelt er stundenlang im lockeren Trab in der Furche zwischen Wiese und Acker hin und her, um die Schafe vom angrenzenden Mais- oder Kornfeld fernzuhalten. Stets behält er die Herde im Auge und ist in der Lage, Probleme zu erkennen und selbständig zu lösen. Tanzt ein Schaf aus der Reihe, treibt er es zurück, wenn nötig mit dem „Griff“, einem schadlosen Biss in Nacken, Rippen oder Keule.
„Ein Hütehund wird nicht fertig geboren, sondern dazu ausgebildet“, erklärt Ernst Fausers Berufskollege Helmut Lenz. „Aber er bringt die Anlagen für diese Arbeit mit. ‚Pendeln’ und ‚Griff’ sind im AH genetisch verankert, viele Hunde haben einen angeborenen ‚Schafsinn’ und wissen auch ohne Kommando genau, was sie zu tun haben.“ Robust und unerschrocken sollen Altdeutsche zudem sein und ihren Arbeitswillen auch dann nicht verlieren, wenn ein stinksaurer Schafbock sie auf die Hörner nimmt. Und fremde Hunde dürfen sie ruhig anknurren und abwehren, wenn sich diese der Herde nähern.
Der Altdeutsche ist auch heute noch ein ursprünglicher Arbeitshund
Berufsschäfer sind sich einig: diese Anlagen und Eigenschaften machen den AH zum idealen Herdengebrauchs- aber auch -schutzhund. Ob er auch der ideale Hund für Privathalter und Familien ist, da scheiden sich hingegen die Geister. Dieser Punkt erhitzt die Gemüter und wird heftig und emotional diskutiert. Das Thema ist relativ neu, denn jahrhundertelang wurde der AH fast ausschließlich von Schäfern für Schäfer gezüchtet. Als die Wanderschäfer weniger wurden, drohten auch die Hunde zu verschwinden. Um dem entgegenzuwirken, schlossen sich 1989 Schäfer, Schafhalter und Privatleute mit dem Ziel, den AH als ursprünglichen Herdengebrauchshund für zukünftige Schäfergenerationen zu erhalten, zur Arbeitsgemeinschaft zur Zucht Altdeutscher Hütehunde (AAH) zusammen.

Etwa zur selben Zeit wurden in den Medien Rufe zur Rettung der Altdeutschen laut. Der AH wurde von Hundefreunden „entdeckt“ und hat heute eine immer größer werdende Fangemeinde auch unter Nicht-Schäfern. Einige der acht Schläge des Altdeutschen Hütehunds wie der Harzer Fuchs sind auf dem besten Weg zum Modehund. Eine Entwicklung, die neue Herausforderungen an Züchter, Halter und Hunde stellt und von vielen kritisch gesehen wird.
„Was in Mode kommt, ist teuer, was teuer ist, verspricht Profit, und wo Profit lockt, wird immer auch Schindluder getrieben. Das geht auf Kosten der Hunde“, bringt es AH-Halter Axel Kropp auf den Punkt. „Der Altdeutsche ist auch heute noch ein sehr ursprünglicher Hütehund. Als solcher bringt er Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen mit, auf die er jahrhundertelang selektiert wurde. Wenn verantwortungslose Züchter auf diese Besonderheiten nicht hinweisen, sondern die Hunde als exklusive und unkomplizierte Familienhunde vermarkten, geht das oft nicht gut.“
Altdeutsche Hütehunde brauchen liebevolle Konsequenz
Wer nur einen AH möchte, weil er gerade schick ist, sollte diese Idee überdenken. „Die Hunde sind wesensstark und brauchen in der Erziehung Konsequenz und klare Grenzen“, betont Axel Kropp. „Sind diese vorhanden, eignen sie sich für alle Sparten des Hundesports und sind auch für Familien tolle Begleiter, die bis ins hohe Alter beweglich, unternehmungslustig und lernfreudig bleiben.“ Ein inkonsequent erzogener und psychisch oder physisch unausgelasteter AH hingegen ist schlau genug, sich selbst eine Beschäftigung zu suchen, und das ist meist keine, die sein Halter schätzt. Zwar gibt es auch unter den Altdeutschen „Couchpotatoes, die einfach so mitlaufen“, doch den meisten genügt es nicht, nur auf dem Sofa zu lümmeln. Eher zernagen sie es, wenn sie sich langweilen.

Die vom Schäfer gewünschte ständige Wachsamkeit kann umschlagen in lästiges Gekläffe beim geringsten Anlass, die Bereitschaft, andere Hunde abzuwehren, in Aggressivität, die es unmöglich macht, entspannt mit anderen Hundehaltern spazierenzugehen. Und spätestens wenn der Hund Spaziergänger ängstigt oder die Kinder auf dem Spielplatz hütet und in nackte Kinderwaden zwickt, um die „Herde“ zusammenzuhalten, gibt’s Ärger. Der „Problemhund“ wird abgegeben und landet immer häufiger im Tierheim.
Um das zu vermeiden ist von Züchtern und Schäfern, die ihre Altdeutschen in Privathand abgeben, in zweierlei Hinsicht Verantwortungsbewusstsein gefragt. Die Tiere bereits im Welpenalter auf ihr Leben als Familienhund vorzubereiten, wäre der eine Teil. Zukünftige Besitzer über die Besonderheiten der Hunde aufzuklären, der andere. Denn diese sollten wissen, dass der Altdeutsche seinem Besitzer dasselbe abverlangt, das er auch selbst mitbringt: die Ausdauer und den Willen, stets Neues zu lernen.
Leseempfehlung: Wenn hoch passionierte Arbeitshunde als unterbeschäftiger Familienhund gehalten werden, kommt es rasch zu Problemen. Was die Hunde brauchen und wie man sie rassegerecht fördert und erzieht, behandelt Normen Mrozinski in seinem Buch “Hütehunde als Begleiter: Rassen, Erziehung, Beschäftigung”.
Wer Hütehunde für das einsetzen möchte, wofür sie gezüchtet wurden, erfährt in “Ausbildung von Hütehunden” von Herbert Sehner und Hans Chifflard wertvolle Informationen rund um Rassen und Schläge sowie die Ausbildung von Junghunden zu Herden- und Koppelgebrauchshunden.
Geschenktipp: Der Altdeutsche Hütehund ist kein “Star-Hund” — man findet ihn nur selten in Büchern, Kalendern oder auf Postkarten. Um so schöner, dass es für Freunde des Altdeutschen gleich zwei Kalender gibt: “Altdeutsche Hütehunde” (im Aquarellstil; auch als 1000-Teile-Puzzle) von Andrea Redecker und “Fast vergessen — Altdeutsche Hütehunde” von Sigrid Starick.