Weinbergschnecken aus dem Lautertal galten bis ins 19. Jahrhundert europaweit als Delikatesse. Besonders in Klöstern war die „Schwäbische Auster“ begehrt.
Süddeutschland und besonders die Schwäbische Alb mit ihren kalkhaltigen Böden war lange Zeit eine Hochburg der Schneckenzucht und des Schneckenhandels. Fünfzig Tonnen Schnecken sollen im 18. Jh. allein von Ulm aus jährlich verschifft worden sein.
Beliefert wurden vorallem Klöster entlang der Donau. Für das Jahr 1883 ist eine Lieferung von 60.000 Stück Lautertal-Schnecken an das Kloster Krems belegt. Über den Landweg wurden die „Schwäbische Auster“ bis nach Frankreich, noch heute Hauptzuchtgebiet von Schnecken, geliefert.
Weinbergschnecken: Vom Arme-Leute- Essen zur Delikatesse
Nachweise für Schneckenzucht und Schneckenhandel im Lautertal finden sich bereits in der Römerzeit. Vermutlich dienten Schnecken aber schon weit früher als Nahrungsmittel. Im Lautertal galten sie lange Zeit als Arme-Leute-Essen. Schnecken kosteten nichts und konnten von jedem gesammelt werden.
Im Mittelalter entdeckten katholische Mönche die Schnecke für sich. Weder Fisch noch Fleisch, durfte sie auch in der Fastenzeit gegessen werden und wurde zur begehrten Delikatesse. Besonders im Barock legten viele Klöster eigene Schneckengärten an, ließen Schnecken sammeln oder kauften sie zu. Die Weinbergschnecke wurde zum Wirtschaftsfaktor, das Lautertal zu einer der Hochburgen des Schneckenhandels. Flurnamen in der Region, wie Schneckengarten, Schneckenrain oder Schneckenhau, erinnern noch heute daran.
Sobald die Schnecke bares Geld brachte, wurde sie auch für die Obrigkeit interessant. Das Schneckensammeln wurde zum Jagdservitut, das die Herrschaft für sich beanspruchte. Im Lautertal führte das im frühen 18. Jahrhundert zu einem „Schneckenkrieg“, der 1726 mit der Indelhauser Ordnung beigelegt wurde.
Diese vielleicht älteste Sammelverordnung für Weinbergschnecken legt fest, „…daß jedes Jahr das Schneckenklauben von der Herrschaft in dem Frühling, da sie in der Brut sind, bis acht Tag vor Jakobi solche zu klauben verboten, von solcher Zeit an aber jedermänniglich zu klauben erlaubt sein … solle“.
Seit 2005 stehen Weinbergschnecken unter Naturschutz
Die Verordnung ergibt Sinn, ihre spätere Nichtbeachtung macht Schneckenzüchterin Rita Goller mitverantwortlich für das Beinahe-Aussterben der Weinbergschnecken. „Bevor die Weinbergschnecke 2005 unter Naturschutz gestellt und das Sammeln verboten wurde, wurde jahrzehntelang falsch, also im Frühjahr, noch vor der Eiablage gesammelt“, erklärt sie. „Dadurch wurde die Vermehrung stark eingeschränkt.“
Wer heute Weinbergschnecken sammelt oder tötet, macht sich strafbar – auch wenn Schneckenschutz wenig populär ist, weil die Schnecke meist als Ungeziefer und Schädling wahrgenommen wird. Geschützte Schnecken wie die Weinbergschnecke zu fangen, zu verletzen oder zu töten, ist ebenso verboten wie die Zerstörung ihrer Brut- und Ruhestätten – je nach Bundesland werden bei Verstößen Bußgelder bis 65.000 Euro fällig. Die genauen Beträge können im Bußgeldkatalog Schnecken und Muscheln nachgeschlagen werden.
Klassischerweise wurden Schnecken erst nach dem 25. Juli gesammelt, in Schneckengärten gebracht und bis zum Herbst mit breitblättrigen Kräutern gemästet. In Weiler bei Indelhausen, nur wenige hundert Meter von dem Bronzedenkmal eines Schneckenhändlers entfernt, der auf der Brücke in Weiler an die alte Tradition des schwäbischen Schneckenhandels erinnert, wurde 2004 ein solcher Schneckengarten angelegt.
Für den Laien sieht der Schneckengarten aus wie ein zerrupftes Unkrautbeet, das aus unerfindlichen Gründen eingezäunt ist. Noch dazu sehr komisch eingezäunt: In etwa vierzig Zentimetern Höhe sind Nägel durch die Holzeinfassung des Zauns getrieben. Sie sind im Abstand von knapp zwei Zentimetern angebracht, die Spitzen zeigen schräg nach unten.
Für ausgewachsene Weinbergschnecken ist die Nagelreihe ein unüberwindliches Hindernis, denn ihr Gehäuse passt nicht durch die Lücken. Sie ist zudem die älteste der im Lautertal bekannten Methoden, um die Schnecken am Ausbüxen zu hindern. Wer sich keine Nägel als Zaun leisten konnte, behalf sich mit einem Graben. Dieser wurde mit Kleie, Asche oder Sägespänen gefüllt, die nach jedem Regen erneuert werden mussten.
Wachten die Schnecken zu früh auf, sprengten sie selbst eisenbeschlagene Fässer
Wenn die Temperaturen im Herbst fallen, bereitet sich die Schnecke auf die Winterruhe vor. Mit dem Fuß gräbt sie sich in Moos oder lockerem Boden ein Loch, zieht Pflanzenteile zur zusätzlichen Isolation hinein und verschließt es dann von innen. Aus den Drüsen des Mantels sondert sie ein kalkhaltiges Sekret ab, das zu einem harten Deckel (Epiphragma) erstarrt und die Schalenöffnung verschließt.
Für die früheren Schneckenhändler war das der Zeitpunkt, die Tiere für den Verkauf vorzubereiten. Mit dem dreizinkigen Moos- oder Schneckenhäckle wurden sie aus Laub und dünnen Erdschichten gegraben und in moosgepolsterte Fässer gepackt. Bis zu zehntausend Schnecken befanden sich in einem dieser „Schneckenfässle“, die über die Donau bis nach Wien verschifft und auf dem Landweg nach Paris gebracht wurden. Transportiert wurden die Schnecken ausschließlich im Winter, wenn sie sich praktisch selbst konserviert hatten. Eine Methode die übrigens auch Napoleon anwandte: Er ließ Deckelschnecken als „Naturkonserven“ auf langen Märschen und Feldzügen mitführen.
Pech für den Schneckenhändler, wenn eine plötzliche Wärmeperiode kam. Bei Temperaturen von über zehn Grad wachten die Weinbergschnecken auf, sprengten erst ihre eigenen Deckel und dann die der Fässer. „Wenn die Schnecken während oder nach der Winterruhe erwachen, haben sie ordentlich Kohldampf. Dann hält sie nichts mehr auf“, sagt Rita Goller, die sich seit1999 mit der Geschichte der Schwäbischen Schneckenzucht beschäftigt. 2002 war die Schneckenzüchterin Mitbegründerin des Projekts „Albschneck“, das die Schwäbische Auster ins Lautertal zurückbringt.