Michelangelos „David“ gilt als die bekannteste Skulptur der Welt. Dass der schöne Jüngling auch ein politisches Statement war, ist weniger bekannt.
Erhaben steht David auf seinem Sockel auf der Piazza della Signoria in Florenz. Seine Körperhaltung ist entspannt, sein Blick wachsam und zugleich ein wenig entrückt. Der biblische Held wirkt, als schwebe er über dem Geschehen, als gingen ihn die Tauben auf seinem Kopf ebensowenig an wie die Touristen zu seinen Füßen, die später sein Geschlechtsteil (das zeitweise mit einem goldenen Feigenblatt bedeckt wurde) als Kühlschrankmagneten kaufen.
Tausende Male am Tag wird er fotografiert – Tausende Male bleibt unbeachtet, dass die monumentale Statue eine Kopie ist, und dass das Original bereits seit 1873 einige Straßen weiter in der Galleria dell’ Accademia steht.
David: Vom verpfuschten Marmorblock zur bekanntesten Skulptur der Kunstgeschichte
David gilt als herausragende Meisterleistung der Bildhauerkunst und als bekannteste Skulptur der Kunstgeschichte. Der Jüngling mit der Steinschleuder machte seinen Schöpfer Michelangelo unsterblich – und stellte ihn zu Lebzeiten vor eine kaum zu bewältigende Aufgabe. 1501 erhielt Michelangelo von der Wollweberzunft den Auftrag, eine Davidstatue zu fertigen, welche das Figurenensemble an der Fassade des Florenzer Doms ergänzen sollte.
Für diese Arbeit wurde dem Künstler ein riesiger Marmorblock aus Carrara zur Verfügung gestellt. Neun Ellen hoch, tonnenschwer und vollkommen ruiniert soll dieser Block gewesen sein. Nach Georgio Vasari, dem Biografen florentinischer Künstler, soll sich bereits ein anderer Künstler an dem Marmorblock versucht (vermutlich waren es sogar zwei: Agostino di Duccio 1464 und Antonio Rossellino 1476) und diesen so übel zugerichtet haben, dass er „ganz verdorben“ gewesen sei. Michelangelo habe den Block, den die Domverwalter jahrelang beiseite gestellt hatten, in dem Glauben erhalten, dass es damit nur noch besser werden könne.
Ganz im Geheimen habe Michelangelo mit der Statue begonnen und ohne Unterlass daran gearbeitet ohne jemals irgendwem einen Blick darauf zu gewähren. Die auf den ersten Blick wenig harmonischen Proprotionen erklären Kunsthistoriker damit, dass Michelangelo die Figur der starken Untersicht des vorgesehenen Standorts am Strebepfeiler des Domchors angepasst habe. Im Frühjahr 1504, kurz vor der Fertigstellung, wurde aber entschieden, den David auf der Piazza della Signoria aufzustellen.
Die Signoria: Die erste Volksregierung von Florenz erntet Misstrauen
Am 8. September 1504 wurde die knapp sechs Tonnen schwere Statue so auf einem starken Holzgerüst befestigt, dass sie weder anstoßen noch zerbrechen konnte, sondern sich leise schwingend, mit Winden gezogen, fortbewegen ließ. Auf dem Weg zum Dom wurde die Statue – und damit symbolisch auch die Signoria – mit Steinen beworfen, so dass eine Wache bereitgestellt werden musste. Um den Zusammenhang besser zu verstehen, lohnt ein kurzer Blick in die Stadtgeschichte von Florenz.
Im 13. Jahrhundert gab es in Florenz 167 Geschlechtertürme, mit denen die verschiedenen Geschlechter ihren Machtanspruch demonstrierten. Untereinander waren sie leidenschaftlich zerstritten – ihre Wohnsitze glichen Kastellen, ganze Straßenzüge wurden abgeriegelt, und handgreifliche Auseinandersetzungen waren an der Tagesordnung. Man bekämpfte sich von Turm zu Turm, und nur ausnahmsweise verbanden befreundete Geschlechter ihre Türme mit Holzbrücken.
Der Geschlechterstreit brachte die Stadt an den Rand des Ruins, und als die Regierung der alten florentinischen Adelsgeschlechter um 1250 durch eine Zunftregierung, die Signoria, abgelöst wurde, ließ diese erste Volksregierung die Türme auf weniger als die Hälfte kürzen. Im Gegenzug ließ die Zunftregierung das Palazzo della Signoria bauen, um den eigenen Machtwillen und Machtanspruch gegenüber den Geschlechtern zu demonstrieren. Von Demokratie konnte trotz Volksregierung nicht die Rede sein: Das Misstrauen gegenüber den „Signori“, die nicht umsonst „die Herren“ hießen, sondern sich auch so aufführten, war zeitweise so groß, dass diese streng bewacht wurden und das Palazzo nur zu Amtszwecken verlassen durften.
Davids Gegenspieler in Florenz ist nicht Goliath, sondern Perseus
Die alten Adelsgeschlechter gaben ihren Machtanspruch nie ganz auf. Erst 1494 gelang es, die Medici aus Florenz zu vertreiben. Florenz wurde zu einer Republik, die allerdings auf wackligen Beinen stand, denn die Medici dachten nicht daran, ihre Niederlage kampflos hinzunehmen.
Mit Michelangelos David ließ die Signoria 1504 ein weithin sichtbares, politisches Statement setzen: Anders als die meisten David-Darstellungen, die den Jüngling nach dem Kampf zeigen, stellte Michelangelo ihn vor dem Kampf dar – entspannt abwartend, die Schleuder angelegt ist dieser David bereit, den Kampf gegen den Riesen Goliath aufzunehmen, und gewillt, diesen Kampf zu gewinnen. David wurde zum Wahrzeichen der freien Bürger von Florenz, doch die Republik konnte sich nicht lange halten.
Bereits 1512 erzwangen die Medici ihre Rückkehr nach Florenz. Dabei kam es zu gröberen Handgreiflichkeiten – und eines der ersten Dinge, das bei der erneuten Machtübernahme durch die Medici zu Bruch ging, war Michelangelos David. Eine aus dem Fenster des Palazzo di Signoria (später Palazzo Vecchio) fliegende Bank zertrümmerte Davids Waffenarm. Erst nachdem die Herrschaft der Medici endgültig gesichert war, ließ Cosimo I. die Figur restaurieren. Cosimo I. war es auch, der David, der marmornen Herausforderung der Republik, die bronzene Antwort des Großherzogtums gegenüberstellen ließ: Perseus, der mit dem Schwert in der einen Hand, und dem abgeschlagenen Kopf in der anderen, über dem Leib der toten Medusa steht.
Tipp: David sieht man häufig in unterschiedlichen Größen und Materialien auch als Gartenfigur – seinen Gegenspieler Perseus hingegen recht selten. Doch auch ihn gibt es als Statue – in Marmor-Kunstharz oder, dem Original ähnlicher, als Keramikmasse mit Bronzeschicht.