In guter Hoffnung: Mit der Land­he­bam­me unter­wegs

Ein Tag mit Gabriele Mooser zeigt, dass die Vor­bereitung von Schwange­ren auf eine (Haus)Ge­burt mehr von einer Hebamme ver­langt als ein paar Unter­suchungen.

Landhebamme
Hebamme Ga­brie­le Mooser beim Abhö­ren der Herz­töne.

„Können Sie es hören?“, will Gabriele Mooser wissen. Ehrlich gesagt, nein. Durch das Hör­rohr, das fest auf dem fremden Bauch auf­liegt, kom­men allerhand Geräusche. Nur der schnel­­le, rhythmische Herzschlags des ungeborenen Kin­des lässt sich nicht iden­­ti­­fi­zieren. Zumindest nicht von einem Laien. So einfach ist es nämlich nicht, in einen an­de­ren hinein­zuhorchen.

Gab­rie­le Mooser be­herrscht diese Kunst perfekt. Für die Land­­he­bamme ist sie die Grund­la­ge ihrer Ar­beit, und sie lehrt „ih­re“ Frau­en, sich darauf zu besin­nen. Denn vie­le haben verlernt, den Signalen aus ihrem Inneren zu vertrauen.

Geduld ist die größte Tugend in der Geburtshilfe

„Das Wissen um Schwangerschaft und Geburt wird heute kaum noch von Mut­ter zu Mutter weitergegeben, viele Frauen wissen gar nicht so recht, was auf sie zukommt“, be­dau­ert die Hebamme. „Statt in sich hineinzuspüren verlässt man sich heute vermehrt auf tech­ni­sche Geräte. Es wird viel kontrolliert und wenig begleitet.“

Begleitung – das ist mehr als Untersuchungen und Messungen. Sie setzt neben Sach­kennt­nis vorallem zwei Dinge voraus: Einfühlungsvermögen und Geduld. Eben die Be­reit­schaft, in einen anderen hineinzuhorchen, und das nicht nur mit dem Hörrohr. „Ge­duld ist die größte Tugend in der Geburtshilfe“, ist Gabriele Mooser überzeugt. „So­lan­ge der normale, gesunde Geburtsvorgang nicht verlassen wird, ist es ist wichtig, Mut­ter und Kind die Zeit zu lassen, die sie brauchen.“

Dass diese Zeit in der Alltagshektik einer Klinik häufig fehlt, weiß die ehemalige In­ten­siv­krankenschwester aus eigener Erfahrung. „Im Krankenhaus ist man es gewohnt, schnel­le Entscheidungen zu treffen und rasch zu intervenieren“, erklärt sie. Was bei Ver­letzun­gen und Krankheiten lebensrettend sein kann, ist bei Geburten oft voreilig oder über­flüs­sig. Die Einleitung von Geburten, das standardmäßige Verabreichen von We­hen- und Schmerz­mitteln oder die schnelle Entscheidung zu Vollnarkose und Kaiser­schnitt sieht die Hebamme mit Skepsis.

Schwangerschaft ist keine Krankheit

„Es ist seit Menschengedenken das Ureigenste der Frau, ein Kind zu empfangen und zu gebären“, sagt sie. „In den letzten Jahrzehnten ist aus dem natürlichen Vorgang ein sehr technischer geworden. Das entfremdet und schürt eher Ängste statt des stär­ken­den Gefühls, ‚in guter Hoffnung’ oder ‚in freudiger Erwartung’ zu sein.“

Auch der Umgang mit den Gebärenden ist nicht immer so, wie er sein sollte. „Teilweise ist es erschreckend, wie wenig auf die Frauen eingegangen wird, wie sie behandelt werden und was sie sich gefallen lassen“, erzählt die Hebamme.

Sie betont, dass es durchaus Krankenhäuser gibt, in denen Schwangere optimal be­treut werden. Doch wo Ängste, Unsicherheiten oder gar Schmerzen mit einem rup­pi­gen: „Jetzt stellen Sie sich nicht so an, Sie sind ja nicht die erste Frau, die ein Kind kriegt“, abgetan werden, da liegt etwas im Argen.

Beobachtungen solcher Art und die grundsätzliche Frage, ob ein Kind denn überhaupt im Krankenhaus geboren werden muss, haben die 49-jährige vor fünfzehn Jahren be­wo­gen, eine Umschulung zur Hebamme zu machen und sich auf Hausgeburten zu spe­zia­li­sieren. „Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit“, betont sie. „Und eine ge­sun­de, normal verlaufende Geburt muss nicht im Krankenhaus stattfinden.“

Nur zwei Prozent der Geburten in Deutschland sind Hausgeburten

In guten Händen …

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts waren Hausgeburten üblich, besonders auf dem Land. Als der Klinikaufenthalt für Gebärende von den Krankenkassen bezahlt wurde, nahm ihre Zahl rapide ab. Nicht nur die Aussicht auf optimale medizinische Versorgung sprach für viele Frauen für eine Klinikgeburt. „Früher fanden Hausgeburten kaum in der freundlichen Atmosphäre statt, in der sie heute ablaufen“, erklärt Gabriele Mooser. „Ge­ra­de für hart arbeitende Landfrauen war der Aufenthalt im Krankenhaus fast wie Ur­laub.“

Heute sind Hausgeburten die Ausnahme; nur etwa zwei Prozent der Kinder werden in Deutschland in den eigenen vier Wänden geboren (im Vergleich: in Holland sind es rund dreißig Prozent). Die Entscheidung für eine Hausgeburt stößt oft auf Ver­wun­de­rung oder gar Ablehnung und wird häufig sogar als unvernünftig und verant­wor­tungs­los angesehen. Zu Unrecht, findet Gabriele Mooser. „Eine gut vorberei­te­te Hausgeburt ist nicht riskanter als eine Klinikgeburt“, sagt sie. Das bewei­sen auch lang angelegte Studien der Gesellschaft für Qualität in der außer­kli­ni­schen Geburts­hilfe (quag).

Die „sanfte Geburt“ gibt es nicht

Gute Vorbereitung, das heißt Information, Unterstützung und Begleitung von Anfang an. Und Geduld, immer wieder Geduld. Eine gute Hebamme nimmt sich von Beginn an Zeit für die Schwangeren, hört ihnen zu, nimmt sie in ihrer Befindlichkeit ernst und schafft damit die vertrauensvolle und geborgene Atmosphäre, die für die Geburt so wichtig ist. Gerade bei Hausgeburten ist es wichtig, dass auch der Partner und Geschwisterkinder mit in die Geburtsvorbereitung einbezogen werden. Dieses behutsame Heranführen der ganzen Familie an das neue Mitglied, ist ein wichtiger Grund, warum sich Frauen für eine Hausgeburt entscheiden.

Der Wunsch, an einem vertrauten Ort zu gebären, ist ein weiterer. Keine Fahrt ins Kran­kenhaus, keine ständig wechselnden Gesichter, kein fremdes Keimmilieu – das ist we­ni­ger Stress für Mutter und Kind. Dann ist die Hausgeburt die sanftere Alternative? Land­he­bam­me Gabriele Mooser schüttelt den Kopf und räumt mit einem Mythos auf. „Die sanfte Geburt gibt es nicht“, sagt sie. Wehen heißen nun mal nicht umsonst so; die Frage ist eher, wo und wie sie erlebt werden.

Die Hebamme hat die Erfahrung gemacht, dass die Frauen in den Geburtsvorgang hineinwachsen, und dass das bewusste Durchleben der Geburt die Bindung zum Baby stärkt. Schmerzmittel verabreicht sie keine und setzt stattdessen auf Entspannungs­bä­der, Massagen, richtige Atemtechnik und naturheilkundliche Metho­den. „Wenn eine Geburt gesund verläuft, ist es egal, wie lange sie dauert“, sagt sie. Das Glück, ein neues Leben im Arm zu halten, entschädigt die Hebamme für manche durch­wach­te Nacht.

Tipp: Eine Hebamme in Ihrer Nähe finden Sie über die Serviceseite Hebammen­suche.

Lesetipp: Gleich mehrere Bücher mit Geschichten aus ihrer Zeit als Landhebamme hat Rosalie Linner verfasst. 1918 geboren, hilft Rosalie Linner 1943 in einem Luftschutzkeller einer jungen Frau in den Wehen. Geprägt von diesem Erlebnis ergreift sie den Beruf der Landhebamme. Fast vier Jahrzehnte eilt die energische Geburtshelferin nun bei Wind und Wetter zu abgelegenen Höfen, übernimmt die Rolle der Seelentrösterin und ersetzt nicht selten einen Arzt. Ihre Bücher geben Einblick in Lebensumstände, die heute teilweise kaum vorstellbar sind.

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