Scheibenschlagen: Beim Spiel mit dem Feuer geht es heiß her; Spott und gute Wünsche gehen in Rauch auf und der Winter und die Fasnet werden verabschiedet.
Jedes Jahr, wenn der Winter weicht, werden im Schwarzwald und in alemannisch geprägten Landstrichen große Funkenfeuer errichtet. Mancherorts werden brennende Holzscheiben ins Tal geworfen – möglichst weit und möglichst schön. Dazu werden die durchbohrten Holzscheiben an einem langen Haselnussstock im Feuer „angebraten“ und brennend mit der Kante auf die „Scheibenbank“ (auch „Scheibenstuhl“), einem schräg am Hang angebrachten Holzbrett, geschlagen. Von dort prallen sie ab und segeln, Flammenbahnen ziehend, ins Tal.
Bis zu 150 Meter weit fliegen die brennenden Scheiben ins Tal
Wer die Scheibe schlägt, versieht sie mit einem Spruch, der – still gedacht oder laut ausgesprochen – die Scheibe einem bestimmten Menschen widmet. Ein sicherheitshalber hinzugefügtes „Und fliegt sie nit, so gilt sie nit!“, stellt sicher, dass die mitgegebenen Wünsche auch wirklich bis in den Himmel fliegen und dort erhört werden.
Bei einem guten Schlag fliegen die Feuerräder schon mal 120 bis 150 Meter weit. Traditionell sind es die jungen Burschen des Ortes, die mit dem Feuer spielen. Siebzig bis hundert Scheiben verschießt jeder von ihnen – so lange, bis der Vorrrat aufgebraucht und der Schlagarm taub ist.
Jeder hat dabei den Ehrgeiz, die Scheibe so weit und elegant wie möglich zu schlagen. In manchen Gemeinden werden regelrechte Wettkämpfe um den schönsten Schlag ausgetragen. Wer dann nur ein „Brezele“ zustande bringt, eine Scheibe, die neben der Bank kläglich den Hügel hinunterkullert, muss mit dem Spott der Zuschauer rechnen und seinen Konkurrenten eine Runde Glühwein oder Schnaps ausgeben. Der Reiz am Spiel mit dem Feuer, die Gelegenheit, Freunde zu treffen, und die Freude am Lebendighalten eines alten Brauchs motivieren junge Menschen dazu, Jahr für Jahr glühende Holzscheiben in den Nachthimmel zu schleudern.
Scheibenschlagen: Brennender Spott und feurige Wünsche gingen mit in die Luft
Mit in die Luft gehen nicht nur Segenswünsche für geliebte Menschen, sondern auch Spottverse für weniger geliebte Mitbürger. „Der Brauch des Scheibenschlagens ist eng mit der alemannischen Fastnacht verwoben“, erklärt Prof. Dr. Werner Mezger vom Institut für Volkskunde und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg, warum auch gespottet werden darf. „Die Fastnacht war eine Zeit des Übermuts und der Ausschweifungen. Das Scheibenfeuer beendete sie und bot eine letzte Gelegenheit für eine spezielle Form der Sozialkritik. Spielerisch verpackt durften ungestraft Dinge gesagt werden, die sonst besser ungesagt blieben.“
Ging der Spott allerdings zu weit und uferte das Scheibenschlagen zu einem allzu wüsten Gelage aus, hatte das unangenehme Konsequenzen. „Die großen und kleinen Stadtbuben, weilen sie vergangenen Sontag ohne Lizenz Scheiben geschlagen, abscheiwliches Geschrei gefiert und mit Buffern geschossen, sollen aus seinen mehreren Ursachen in den Turm gesetzt werden“, vermerkt das Elzacher Ratsprotokoll vom 16. März 1676. Die Elzacher kümmert die alte Strafe herzlich wenig. Sie feiern das Scheibenschlagen ausgiebig und mitunter feuchtfröhlicher, als es den alten Ratsherren gefallen hätte. Auch den neuen gefällt es nicht immer, denn manchmal artet das Scheibenfeuer in ein Besäufnis aus.
Dafür nehmen es die Elzacher aber mit den alten Regeln ganz genau. Anders als in vielen Gemeinden, wo sich jeder an der Scheibenbank versuchen darf, ist das in Elzach ein Privileg, das den achtzehnjährigen Burschen, den „Scheibenbuben“, der Stadt vorbehalten ist. Auch das Scheibenschlagen selbst folgt hier einem genau festgelegten, über die Jahrhunderte überlieferten Procedere.
Jeder Brauch, der gepflegt wird, hat seinen Sinn
Woher der Brauch des Scheibenschlagens kommt und wie lange es ihn schon gibt, weiß allerdings keiner so genau. Nur dass er sehr alt ist, steht fest, denn bereits am 21. März 1090 wird das Scheibenschlagen erstmals urkundlich erwähnt. Damals steckte eine brennende Scheibe das hessische Benediktinerkloster Lorsch in Brand, welches bis auf die Grundmauern abfackelte. Pech für die Mönche, Glück für Historiker, denn so lässt sich das Scheibenschlagen bis ins 11. Jahrhundert belegen.
Der Brauch ist aber wesentlich älter und geht vermutlich auf die heidnische Tradition der Frühlingsfeuer zurück. Keltische Ursprünge sind wahrscheinlich, lassen sich aber nicht sicher belegen. Prof. Dr. Werner Mezger nimmt diese Beweislücke gelassen. „Aus Sicht des Wissenschaftlers ist die Frage nach dem Warum und Woher sekundär“, meint er. „Viel interessanter ist für mich die Frage, wer wann und warum ein Interesse daran hat, zu sagen, ein Brauch kommt da oder dort her, und wie Riten und Traditionen dadurch instrumentalisiert werden.“
Er sieht in Bräuchen und Folklore einerseits ein völkerverbindendes Element, andererseits eine Ressource, die mitunter in den Dienst politischer Ideologien gestellt oder kommerziell genutzt wird. Eine Sinnentleerung sieht er trotzdem nicht. „Solange ein Brauch gepflegt wird, hat er auch einen Sinn“, bringt er es auf den Punkt. „Möglicherweise nicht den ursprünglichen und vielleicht keinen, der uns gefällt, aber ein Sinn bleibt es dennoch. Erst wenn ein Brauch nicht mehr gepflegt wird, verliert er seinen ‚Sinn’, davor kann dieser sich allenfalls wandeln.“