Alraunen wachsen nur unter Galgen. Sie stoßen tödliche Schreie aus und haben menschliche Formen. In Wahrheit ist die mystische Giftpflanze höchst unscheinbar.
Sie ist die „Hexenpflanze“ schlechthin: Um die Alraune ranken sich allerlei Legenden. Sie kam vermutlich erst im Spätmittelalter aus Südosteuropa nach Deutschland und avancierte in kürzester Zeit zur magischsten Pflanze schlechthin. Halb Mensch, halb Pflanze sollte sie sein, denn die Alraunenwurzel hat oft menschenähnliche Gestalt. Nach altem Volksglauben wuchs sie bevorzugt an Richtstätten und unter Galgen. Blut, Sperma und Urin Gehenkter sollten sie besonders üppig werden lassen. „Galgenmännlein“ hieß die Wurzel deshalb im Volksmund.
Alraunenwurzel macht mächtig reich oder wahnsinnig tot
Als Amulett getragen sollte sie Krankheiten abwehren und ihrem Besitzer zu Geld, Ruhm und Ehre verhelfen. Die heilige Johanna von Orleons soll ihre Siege über die Engländer einem Galgenmännlein verdankt haben. Grund genug, die Alraunenwurzel zu einer begehrten Trophäe zu machen, die allerdings schwer zu beschaffen war.
Wer sie ausgrub, musste sich in Acht nehmen. Denn die Alraune wehrte sich nach Kräften. Sie stieß einen Schrei aus, der zum Tod führte oder den Frevler in den sofortigen Wahnsinn trieb. Die Menschen des Spätmittelalters empfahlen daher einen Trick. Die Alraune wurde nur teilweise ausgegraben, die Pflanze dann an den Schwanz eines Hundes gebunden. Dieser riss die Wurzel aus dem Boden, wenn sein Besitzer ihn aus sicherem Abstand (und mit zugehaltenen Ohren) rief.
Ihre magischen Kräfte und die Schwierigkeiten ihrer Beschaffung machten die Galgenmännlein begehrt und kostbar. Das rief Fälscher auf den Plan. Mit Schnitzmessern halfen sie der menschlichen Gestalt der Alraunenwurzel nach.
War keine zur Hand, griffen sie auf andere Wurzeln wie Steckrüben zurück und verkauften sie für teures Geld als Alraunen. Eine Unsitte, die in vielen Städten mit hohen Strafen belegt wurde. Alraunenmännchen und lebende Alraunen sind auch heute noch schwer zu bekommen. Nur wenige deutsche Gärtnereien haben die Pflanze im Sortiment. Gekauft wird sie hauptsächlich wegen der Legenden und Mythen, die sich um sie ranken.
Eine Alraune macht im Kräuterbeet nicht viel her
„So eine musste ich einfach haben“, sagt Barbara Längle, sieht dabei verträumt ins Leere und betont das „musste“ so, als würde das allein erklären, warum in ihrem Garten zwischen Rosmarin und Baldrian auch eine Herbstalraune im Kräuterbeet wächst. „Das ist ein Pflanze mit einer faszinierenden Geschichte.“ Ansehen tut man ihr das nicht. Die junge Alraune besteht aus ein paar dunkelgrünen, runzeligen Blättern, die nicht weiter auffallen. Wer die Pflanze nicht kennt, reißt sie glatt als Unkraut aus. Im Sommer zieht die Herbstalraune ihre Blätter ein und ist gar nicht mehr zu sehen. Und der geheimnisvolle Teil, die Entwicklung und das Wachstum des Galgenmännleins, ist ohnehin in der Erde verborgen.
Barbara Längle macht das nichts aus. Das Wissen, dass die Pflanze da ist, reicht ihr. Ausprobiert hat sie die Alraune ebensowenig wie die anderen Hexenpflanzen, die sie „der Vollständigkeit halber“ in ihrem Garten hat. Seit dem Umtopfen weiß sie aber: die Alraune schreit nicht, wenn man sie aus der Erde zieht. „Zumindest dann nicht, wenn man sie gut behandelt“, fügt sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu.
Mandragora: Botanik und Inhaltstoffe der Alraune
Alraune (mandragora officinarum) und Herbst-Alraune (mandragora autumnalis) sind mehrjährige, krautige Pflanzen, die gelegentlich einen üblen Geruch absondern. Ihre Blattrosette kann einen Durchmesser von eineinhalb Metern erreichen. Die Herbstalraune blüht im Winter, mit kleinen, fünfblättrigen, purpurfarbenen Blüten. Die Pfahlwurzeln der Alraune werden bis zu zwanzig Zentimeter lang, sind oftmals gegabelt und weisen dadurch mitunter eine menschenähnliche Form mit Körper und Gliedmaßen auf. Wild wächst die Alraune im Mittelmeerraum, im Nahen Osten, Klein- und Mittelasien. Sie bevorzugt Ödland wie Schutthalden oder aufgelassene Kiesgruben.
Die Alraune zählt zu den psychoaktiven, „magischen“ Pflanzen. Neben Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel war sie unverzichtbarer Bestandteil der Hexensalben, die den Flug auf dem Hexenbesen ermöglicht haben sollen. Sie Alraune enthält Atropin, Hyoscyamin und Scopolamin; alle Stoffe sind giftig und teilweise halluzinogen. Vergiftungen mit Alraune sind selten, da sie in Deutschland nicht heimisch ist und sie auch nicht zum Verzehr einlädt.