Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel gehören zu den „Hexenpflanzen“. Die starken und hochgiftigen Halluzinogene wurden zeitweise dem Bier zugesetzt.
Eine Salbe aus geheimnisvollen Inhaltsstoffen, ein Trank aus obskuren Ingredienzen oder ein Sud mystischer Kräuter sollte Hexen unsichtbar machen oder zum Fliegen befähigen. Stechapfel, Bilsenkraut und Tollkirsche waren – einzeln oder in Kombination – unverzichtbarer Bestandteil dieser „Hexenrezepte“. Alle Pflanzen sind psychoaktiv – ihre halluzinogene Wirkung erklärt so manchen Mythos, der um sie entstand.
Stechapfel: Donnerkugeln und betörender Duft
Stechapfel ist eine einjährige und sehr schnellwüchsige Pflanze. An guten Standorten kann er bis zu 120 Zentimeter hoch werden. Die auffällig weißen Trichterblüten mit den gedrehten Spitzen halten nur einen Tag, abends verströmen sie einen süßlichen, betörenden Duft. Seinen Namen hat der Stechapfel von den stacheligen Früchten, die wie grüne Rosskastanien aussehen. Diese „Donnerkugeln“ sollten vor Gewittern schützen. Der Stechapfel wird oft mit der Engelstrompete verwechselt, ist von dieser aber leicht zu unterscheiden: Die weißen Trichterblüten des Stechapfels stehen aufrecht, die Blüten der Engelstrompete hängen.
Der Stechapfel gelangte erst im 16. Jahrhundert aus Mexiko nach Europa und wurde wegen seiner starken halluzinogenen Wirkung schnell eine beliebte Rauschdroge und ein in Verbrecherkreisen offenbar geschätztes Narkotikum: 1775 plünderten Zugräuber in Südfrankreich Reisende aus, denen sie vorher Stechapfelwein angeboten hatten, um sie zu betäuben. Ein Stechapfelrausch endet oft in einem Horrortrip, der mehrere Tage oder gar Wochen andauern und ausgewachsene Psychosen auslösen oder auch tödlich sein kann. Dass die kräuterkundigen Frauen früherer Zeiten den Stechapfel trotzdem erfolgreich zur Therapie von Asthma und Keuchhusten einsetzten, zeugt von ihrer guten Pflanzenkenntnis.
Bilsenkraut: Mordinstrument und Bierzusatz
Auch das Bilsenkraut ist hochgiftig und war früher ein beliebtes Mordinstrument. Schon die Germanen sollen ihre Wurfspieße mit Bilsenkraut vergiftet haben. Auch Shakespeare hat die Pflanze offenbar gekannt: Er lässt den Geist von Hamlets Vater erscheinen, der seine Vergiftung mit Bilsenkraut beklagt.
Ebenso wie der Stechapfel löst die Pflanze mit den schmutziggelben, violett-geäderten Blüten heftige, lang andauernde Rauschzustände aus, die oft unangenehm verlaufen. „Ich hatte das Gefühl, zu verdursten und in dünne Scheibchen geschnitten zu werden“, erzählt einer, der es ausprobiert hat. „Zudem machte das Kraut aggressiv, mit einer unterschwelligen erotischen Komponente. Das war ziemlich schwer unter Kontrolle zu halten.“ Für den ansonsten ruhigen und zurückhaltenden jungen Mann eine verstörende Erfahrung, die er keinesfalls wiederholen möchte.
Was für ihn ein guter Grund ist, in Zukunft die Finger vom Bilsenkraut zu lassen, war für frühere Bierbrauer Grund genug, das Kraut ihrem Bier zuzusetzen. Es verstärkte nicht nur den Rausch, sondern trocknete auch die Schleimhäute aus. Je mehr Bilsenbier einer trank, desto durstiger wurde er. Die aphrodisierende Wirkung stellte für viele einen weiteren Anreiz dar. Da das Kraut aber auch die Aggressionsbereitschaft steigert, wurde solches Bier in vielen Kneipen bald nur noch in vergitterten Ausschänken ausgegeben.
Tollkirsche: Schöne Frauen und noch mehr Bier
Insgesamt waren die alten Bierbrauer wenig zimperlich, wenn es um den Zusatz von durst- und rauschfördernden Mitteln ging. Neben dem Bilsenkraut mischten sie auch Tollkirschensaft in ihr Bier. Erst das deutsche Reinheistgebot setzte dem ein Ende.
Die Tollkirsche ist eine der gefährlichsten heimischen Giftpflanzen, weil ihre blau-schwarz glänzenden Beeren gerade Kinder leicht dazu verleiten, sie zu essen. Die Früchte sehen nicht nur schön aus, sie schmecken wohl auch recht gut. Doch schon drei bis fünf von ihnen können für ein Kind tödlich sein.
Schon der botanische Name „Atropa belladonna“ verweist auf diese Giftigkeit. Er leitet sich von der griechischen Göttin Atropos ab. Diese schneidet den Lebensfaden durch. Der Namenszusatz „belladonna“, was so viel wie „schöne Frau“ bedeutet, geht auf den Gebrauch der Pflanze in der italienischen Rennaissance zurück: Weil er die Pupillen erweitert und damit die Augen größer und die Gesichter attraktiver wirken lässt, träufelten sich die Damen der gehobenen Gesellschaft verdünnten Tollkirschensaft in die Augen.
Hexenpflanzen sind auch Heilpflanzen
Neben der Alraune zählen Stechapfel, Bilsenkraut und Tollkirsche zu den klassischen Hexenpflanzen und waren unverzichtbarer Bestandteil jener Flugsalben, die Hexen angeblich zum Fliegen befähigten. In der Volksmedizin haben diese Hexenpflanzen heute keine Bedeutung mehr. Inhaltsstoffe der Pflanzen finden sich aber in Fertigpräparaten.
So wird aus der Tollkirsche Atropin gewonnen, das ein wichtiger Bestandteil von Augentropfen ist. Das im Stechapfel und im Bilsenkraut enthaltene Hyoscyami folium findet sich in Medikamenten gegen Husten, Asthma und die Parkinsonsche Krankheit. Als Belladonna (Tollkirsche), Hyoscyamus (Bilsenkraut) und Datura (Stechapfel) werden alle drei Pflanzen in der Homöopathie eingesetzt.
Von der Verschreibung als Tees, Salben oder Räuchermitteln wird wegen ihrer Giftigkeit und der starken Nebenwirkungen auf die Psyche hingegen abgesehen. Die therapeutische Breite, der Abstand zwischen wirksamer und tödlicher Dosis, ist bei allen drei Pflanzen gering.
Je nach Standort und Erntezeitpunkt schwankt die Konzentration der Giftstoffe zudem stark, oft nicht nur von Pflanze zu Pflanze, sondern auch innerhalb eines einzelnen Exemplars. Das macht es unmöglich, sie exakt zu dosieren. Fehleinschätzungen können zu Psychosen, schweren Schädigungen des zentralen Nervensystems, Gedächtnisstörungen, Atemlähmung und Tod führen. Von jeglichen Selbstversuchen mit diesen „Hexenpflanzen“ ist daher dringend abzuraten.