Verabreicht man Spinnen chemische Substanzen, verändern sich ihre Netze. Psychiater wollten so der Schizophrenie auf die Spur kommen.
Etwa fünfundvierzig Minuten braucht eine Kreuzspinne, um ihr symmetrisches Radnetz zu weben. Vorausgesetzt, sie ist bei klarem Verstand. Steht eine Spinne allerdings unter dem Einfluss bewusstseinsverändernder Drogen, dann beginnt sie zu spinnen – und wie.
LSD, Marihuana, Morphium: Peter Witt verabreichte Spinnen alles, was er fand
1948 wollte der Tübinger Zoologe Hans Peters Spinnen beim Netzbau filmen. Zum Verdruss des Wissenschaftlers hatten die Achtbeiner die Angewohnheit, ihre Netze morgens um vier zu weben. Peters, offenbar ein ausgeprägter Morgenmuffel, hatte keine Lust, zu solch einer unchristlichen Tageszeit aufzustehen, und kam auf eine reichlich versponnene Idee.
Wenn er, so sein Gedanke, den Spinnen zuerst Beruhigungs- und später Aufputschmittel verabreichte, dann ließen sie sich vielleicht überreden, ihren Aktivitätsrhythmus so zu gestalten, dass es besser in den Tagesablauf des Biologen passte. Hans Peters bat den Pharmaziestudenten Peter Witt um Hilfe und die entsprechenden Pülverchen.
Witt griff tief in die Drogenkiste und verabreichte den Spinnen Strychnin, Morphium und Speed. In etwas Zuckerwasser aufgelöst fraßen die Spinnen den Cocktail problemlos. Jene, die das Strychnin erwischt hatten, streckten kurz danach alle Achte von sich und hauchten ihr Leben aus. Die anderen webten weiterhin ihre raffiniert vernetzten Fanganlagen – wie gehabt in aller Herrgottsfrühe, morgens um vier.
Unter Drogeneinfluss weben Spinnen unterschiedliche Netze
Enttäuscht von diesem Ergebnis verlor Hans Peters das Interesse an dem Versuch. Ihm entging, was Witt auffiel: Je nachdem, auf welchem Drogentrip sich die Spinnen befanden, fielen ihre Netze sehr unterschiedlich aus. Unter Marihuana-Einfluss fingen die Spinnen ganz normal mit dem Netzbau an, verloren aber nach einiger Zeit das Interesse. Vielleicht waren sie zu entspannt zum Arbeiten, jedenfalls stellten sie ihre Netze nie fertig.
Ebenfalls unfertig blieben Netze, die nach der Verabreichung von Chlorhydrat, einem Bestandteil von Schlafmitteln, gewebt wurden. Das machte die Spinnen so träge, dass sie schon nach wenigen Rahmen- und Speichenfäden todmüde vom Netz abfielen. Manche fingen auch gar nicht erst an zu weben.
Das Aufputschmittel Benzedrin hingegen veranlasste die Achtbeiner zu regelrechter Hyperaktivität. Das ging zu Lasten der Gründlichkeit – die Netze hatten Löcher und unfertige Stellen. Unter LSD-Einfluss webten die Spinnen mit nie gekanner Präzision, allerdings wurden auch sie nie mit ihren Netzen fertig.
Unter Einfluss von Koffein webten die Spinnen die auffälligsten Netze
Die schlimmsten Auswirkungen aber hatte die Alltagsdroge Koffein. Was die Spinnen nach der Kaffeepause zusammenwebten, hatte mit ordentlichen Fliegenfängern nichts mehr zu tun. Die Netze waren völlig unfunktional und nicht viel mehr als planlos durcheinandergesponnene und irgendwie miteinander verknüpfte Fäden. Witt dokumentierte die Ergebnisse, indem er die Netze vor einem schwarzen Hintergrund fotografierte und die Unterschiede (Winkel, Fadenabstände, Löcher, Baufortschritt, etc.) anhand von Fotos statistisch erfasste.
Drogennetze sollten helfen, die Ursache für Schizophrenie zu finden
Witts Idee wurde 1955 von den Psychiatern der Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt in Basel aufgegriffen. Sie versuchten, dem Auslöser der Schizophrenie auf die Spur zu kommen. Weil gesunde Menschen nach der Einnahme von Drogen wie LSD oder Meskalin ähnliche Symptome zeigen können wie Schizophrene, vermuteten die Forscher, dass die Geisteskrankheit durch die permanente Überdosierung einer chemischen Substanz im Stoffwechsel ausgelöst wird.
Ohne zu wissen, wonach sie genau suchten, verabreichten die Ärzte Spinnen den Urin von Schizophrenie-Kranken. Wenn es einen chemischen Auslöser für die Krankheit gäbe, so ihr Gedanke, dann müsste diese Substanz im Urin schizophrener Patienten feststellbar sein – auch für die Spinnen, die dann entsprechende, mit den Drogennetzen vergleichbare, Netze weben würden. Um gezielte Vergleiche anstellen zu können, wurde einer zweiten Spinnengruppe der Urin gesunder Pfleger verabreicht. Das Ergebnis des Versuchs war enttäuschend, und nach einigen weiteren Experimenten setzte sich die Ansicht durch, dass Veränderungen in der Geometrie von Spinnennetzen sich nicht zur Diagnose von Geisteskrankheiten eignen.
Dennoch mussten Spinnen noch einmal für ein Drogenexperiment herhalten. Ein Forscherteam der NASA wiederholte Witts Experiment später. Man erhoffte sich davon Aufschlüsse über die Toxizität chemischer Stoffe. Da der Stoffwechsel von Spinnen und Menschen aber doch sehr unterschiedlich ist, ließen sich die Ergebnisse nicht übernehmen, und der Versuch wurde erneut eingestellt.
Heute werden Spinnen auf andere Weise in der Wissenschaft eingesetzt: Ihre Seide soll beschädigte Nervenzellen ersetzen und als leichtes, dehnbares und zugleich stabiles Biomaterial im Flugzeug- und Brückenbau eingesetzt werden.