Die Welt in tausend Teilen: Puzzles gestern und heute

Puzzlespiele fördern Geduld, Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnis, Feinmotorik und Augen-Hand-Koordination. Außerdem machen sie Spaß. Seit zweihundertfünfzig Jahren faszinieren und begeistern sie – oder ruinieren einem die Nerven …

In mühevoller Geduldsarbeit ein Bild zusammensetzen, das vorher jemand in tausend (oder noch mehr) Stücke zerlegt hat? Klingt absurd, wenn man drüber nachdenkt. Die Marketingstrategen des Spieleherstellers „Ravensburger“ waren in den Fünfzigerjahren der selben Ansicht, und äußerten diese deutlich:

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„Idiotische Beschäftigung für Analphabeten“ – Puzzlen fördert die kognitiven Fähigkeiten

Puzzlen schult das Gefühl für Farben und Formen, die Feinmotorik und die Auge-Hand-Koordination. Außerdem lehrt es Geduld. FOTO: Angelika Hleftschar

„So eine idiotische Beschäftigung für Analphabeten werden wir nie anbieten“, verkündeten sie rigoros. Zum Glück ändern Marketingstrategen gelegentlich ihre Meinung. Heute ist Ravensburger der Marktführer im deutschen Puzzle-Segment. Ganz so idiotisch ist Puzzlen nämlich nicht.

Puzzeln fördert die kognitiven Fähigkeiten auf vielfache Weise: So wie das Spiel mit Bauklötzen oder einer Kugelbahn verbessert es die Hand-Augen-Koordination, also die Fähigkeit, Aufgaben auszuführen, bei denen gleichzeitig Hände und Augen benötigt werden. Puzzlen macht allerdings weniger Lärm als eine Kugelbahn

Beim Puzzeln werden Sehsinn und Tastsinn angesprochen, das Gefühl für Farben und Formen wird trainiert. Dieses ist bei kleinen Kindern noch nicht komplett ausgebildet – beobachtet man sie beim Puzzlen sieht man, dass sie die Teile durch ständiges Ausprobieren zusammensetzen.

Pfauenaugen? Oder doch die festliche Decke des Elefanten? Details zu erkennen und richtig ins Gesamtbild einzufügen fördert das abstrakte Denken. FOTO: Angelika Hleftschar

Erwachsene gehen bereits gezielter vor: Sie haben bereits gelernt, Informationen über das Sehen zu erfassen und zu erkennen, welche Formen zusammen passen (könnten).

Puzzlen fordert und fördert zudem die Konzentration und das abstrakte Denken (weil kleine Ausschnitte eines großen Bildes zugeordnet werden müssen). Auch die Feinmotorik wird geschult. Aus gutem Grund werden Puzzles daher nicht nur in Kindergärten eingesetzt, sondern auch in Altersheimen – Krankheiten wie Demenz lassen sich damit nicht heilen, aber Puzzlen hilft dabei, geistige Fähigkeiten zu trainieren und zu erhalten.

Wenn die Seele in Teile zerfällt: Puzzlen als Bild für das Leben

Auch Kurkliniken und Einrichtungen für Psychosomatik und Psychiatrie stellen ihren Patienten häufig Puzzles als Freizeitbeschäftigung zur Verfügung. Das ist nicht nur kostengünstig, sondern hat gute psychologische Gründe: Gelingt es, sich darauf einzulassen, dann lässt die stille und langsame Beschäftigung Geist und Seele zur Ruhe kommen.

Heillos durcheinander und in Stücke zerbrochen? Depressiven Patienten kann das Zusammensetzen eines Puzzles Mut geben, dass sich auch die vielen Einzelstücke des eigenen Lebens (wieder) zu einem Ganzen zusammenfügen lassen.

In Zeiten, in denen das eigene (Innen)Leben in tausend Einzelteile zu zerfallen scheint, kann Puzzlen zum Sinnbild für eben dieses Leben werden: Teilchen für Teilchen findet seinen Platz und fügt sich (wieder) zu einem vollständigen Bild zusammen.

Jedes richtig eingesetzte Teilchen belohnt mit einem kleinen Erfolgserlebnis. Die schlichte Tätigkeit kann Hoffnung und Halt geben. Die Analogie „Das Leben ist ein Puzzle“ mag an vielen Stellen hinken – und doch wurde sie schon früh gezogen:

„Geduld musst Du haben mein liebes Kind. Es geht nicht alles so rasch wie der Wind. Mit Geduld und Fleiss erreichst Du viel. Es ist so im Leben, wie mit diesem Spiel“, heißt es in einem Reimspruch, mit dem 1865, genau hundert Jahre nach der Erfindung des Puzzles, für deren Kauf geworben wurde.

Meeresteile kosten extra: Erste Puzzels waren Lernhilfen für Erdkunde

Der englische Kartograph und Kupferstecher John Spilsbury gilt als der Erfinder des Puzzles. Mit Sicherheit war er der erste, der das Geduldsspiel kommerziell erfolgreich vermarktete. Konzipiert waren seine Puzzles als Lernhilfe für den Erdkundeunterricht.

Es war die Zeit, in der die pädagogischen Gedanken von John Locke und Jean-Jacques Rousseau  populär wurden, und Ideen wie „spielerisches Lernen“ Einzug in den Schulunterricht hielten. Das machte Kinder auch zu einer neuen Zielgruppe des Konsums.

Gegen 1765 begann Spilsbury, zerschnittene geographische Karten auf Holzplättchen zu kleben und sie als Lernhilfe zu verkaufen. Die Idee hatte Erfolg: Schüler, welche die englischen Grafschaften aus Einzelteilen zusammensetzten, merkten sich deren Lage und Position zueinander deutlich schneller, als solche, die konventionell nur mit Kartenmaterial auswendig lernten.

Die englische Oberschicht war begeistert von den Puzzles, deren Teile damals noch nicht wie heute miteinander verzahnt waren, und zahlte einen ordentlichen Preis dafür: Spilsbury nutzte auf gewiefte Weise den Nationalstolz des Commonwealth für sich aus und verlangte für Puzzles von England und Irland fast doppelt so viel wie für andere Länder. Im Gegenzug bot Spilsbury verbilligte Exemplare ohne Meeresteile an.

Besonders lange konnte sich der Kartograph an seiner Erfindung nicht erfreuen: Mit nur neunundzwanzig Jahren starb er wenige Jahre nach der erfogreichen Einführung der ersten Lernpuzzles.

Handgesägt und teil-verzahnt: Puzzles im frühen 20. Jahrhundert

Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich das Puzzle auch in Amerika durch – eine Frau, deren Namen heute unbekannt ist, trat dann Anfang des 20. Jahrhunderts eine regelrechte Puzzlewelle los. Ihre Puzzles galten als extrem schwierig – mit rechteckig oder dreieckig geschnittenen Teilen, die nicht miteinander verzahnt waren.

Das „interlocking“, also die sichere Verbindung zwischen zwei Teilen, war damals schon bekannt, aber nicht unbedingt üblich: Während in Deutschland bereits ganze Motive interlocking waren, war das in Großbritannien und den USA nur für die Ränder üblich.

Puzzleteile
„Interlocking“: Heute ist die feste Verzahnung zwischen den einzelnen Teilen normaler Puzzle-Standard. Lange Zeit waren die Teile nicht auf diese Weise „gesichert“ – manchmal wurde das interlocking nur für die Randteile verwendet, die dann wenigstens einen stabilen Rahmen ermöglichten.

Bei Puzzles ohne interlocking bestand immer die Gefahr, den bereits gemachten Fortschritt durch eine unbedachte Bewegung zu zerstören.

Die damaligen Puzzles waren handgesägt – meist aus Hartholz, Sperrholz oder, seltener, Karton. Es waren hauptsächlich Frauen, die das Puzzlesägen betrieben und Puzzles verkauften.

Die Puzzle-Schneiderin Isabel Ayer erfang 1907 den Puzzleverleih und verschickte Puzzles in Dutzende Länder.

Problem am Verleih von Puzzles war damals wie heute: Verlorengegangene Teile. Manche Anbieter verliehen ihre Puzzles daher nur in Haushalte ohne Kinder oder Haustiere – beides Garanten für verschwundene Teilchen …

Teures Hobby – Puzzles erreichten stolze Preise

Auch in New York war es eine Frau, die eine Puzzlewelle auslöste. 1908 kaufte sich Margaret Richardson eine Laubsäge und begann, Puzzles für Freunde und Familie zu sägen. Innerhalb weniger Monate war die Nachfrage nach ihren hochkomplexen Puzzels so groß, dass sie vierzig Mitarbeiter beschäftigte.

Ihre Puzzles (und auch die ihrer Kolleginnen) waren oft regelrechte Mysterien und schwer zu lösen: Oft gab es keine Vorlage für das entstehende Bild – nur einen rätselhaften, durchaus auch irreführenden Titel.

Die Motive waren anspruchsvoll, und die komplizierten Schnitte (gerne entlang der Farblinien, was es schwierig macht, Übergänge zum Beispiel vom Braun eines Hausdachs zum Blau des Himmels als logisch zu erkennen) machten das Zusammensetzen der oft mehr als sechshundert Teile zu einer zusätzlichen Herausforderung.

Richardson verkaufte ihre „Perplexity Puzzles“ nicht nur in New York, sondern versandte sie auch nach San Francisco, London und Paris. Die Kunstwerke hatten einen stolzen Preis: Bis zu dreißig Dollar brachte ein solches Puzzle seiner Schöpferin ein. Damals eine Menge Geld.

Das ist auch der Grund, warum Puzzeln noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Hobby für gut Betuchte war. Der durchschnittliche Arbeiter konnte es sich einfach nicht leisten, immerhin betrug der Durchschnittslohn damals zwölf Dollar. Ein Puzzleteil kostet im Schnitt einen Cent – für ein 500-Teile-Puzzle waren also fünf Dollar fällig.

In einigen Städten gründeten sich daher Puzzleclubs. Jedes der Mitglieder kaufte ein Puzzle, setzte es zusammen und gab es dann weiter. Auf diese Weise konnte jeder der Teilnehmer verschiedene Motive zu einem insgesamt günstigeren Preis lösen.

Puzzlen als Beschäftigung für Arme und Zufluchtsort für Gestrandete

Im Amerika der Zwischenkriegsjahre erlebte das Puzzle eine neue Blütezeit. Die Wirtschaftskrise machte jeden vierten Amerikaner arbeitslos: Puzzles zu schneiden wurde zu einer einfachen Möglichkeit für einen kleinen Nebenverdienst.

Umgekehrt war Puzzles zu legen eine willkommene Möglichkeit, die durch Arbeitslosigkeit entstandene „Freizeit“ zu füllen. Statt Urlaub zu machen, vertiefte man sich für einige Stunden in ein schönes Motiv. Das half, dem Alltag mit seinen drückenden Geldsorgen für eine Weile lang zu entfliehen.

1933 war das Puzzlen in Amerika zu einer regelrechten Besessenheit geworden: Zehn Millionen Puzzles wurde jede Woche produziert, jeder Kiosk, Zeitungsstand und Laden verkaufte Puzzles. Rund siebzig Prozent der Puzzles wurden als Werbegeschenke kostenlos an den Mann gebracht – und tatsächlich waren es in jener Zeit vermehrt Männer, die sich von dem Geduldsspiel fesseln ließen.

Das nahm mitunter bizarre Auswüchse an: So musste die Feuerwehr in Toronto einen Mann zwingen, sein Puzzlespiel zu unterbrechen und sein brennendes Appartement zu verlassen. Er tat es nur ungern (was ich mühelos nachvollziehen kann …).

Derweil in Deutschland: Puzzles als Kriegspropaganda

In Deutschland hatte das Puzzle einen weniger bedeutenden aber festen Platz, vor allem als Lernspiel für Kinder. Der  Erste Weltkrieg veränderte auch die Puzzlelandschaft: Statt Legespielen für Kinder wurde das Puzzle als Propagandainstrument missbraucht. Kriegsszenen, Kaisermotive und Landkarten des (vermeintlich) wachsenden Kaiserreichs waren beliebte Motive.

Als Massenware wurden sie an die Front geschickt, um die Moral der Soldaten in den Schützengräben zu verbessern. In Lazaretten sollten Puzzles mit heroischen Militärmotiven die Genesung fördern. Als sich die militärische Niederlage abzeichnete, verschwanden diese Motive, und auch Landkarten wurden nicht mehr auf Puzzles gedruckt, weil das Spiel nicht an die Niederlage und die schmerzlichen Gebietsverluste erinnern sollten.

Ähnliches passierte während des Zweiten Weltkriegs wieder: Nach der anfänglichen Euphorie mit patriotischen Motiven (sowohl bei den Deutschen als auch bei den Amerikanern) und offener Propaganda, war gegen Kriegsende Schluss mit alldem.

Es dauerte bis in die Fünfzigerjahre, bis sich die deutsche Puzzleindustrie vom Krieg erholte – die Produktionsanlagen waren ebenso zerstört wie die Firmenarchive, und es gab wichtigere Dinge zu tun, als Puzzles herzustellen. Um so mehr, da es in Deutschland, anders als in Amerika, keine tief verwurzelte Puzzlekultur gab.

Ravensburger-Puzzles: Zögerlicher Siegeszug

Die Marketinstrategen von Ravensburger waren fassungslos, als sie sahen, wie viele Puzzles sich in amerikanischen Kaufhäusern stapelten. Dennoch begegneten sie der „idiotischen Beschäftigung für Analphabeten“ mit Skepsis. Heute ist Ravensburger mit qualitativ hochwertigen Puzzles Marktführer im deutschen Puzzlesegment. FOTO: Angelika Hleftschar

Die verlagsinternen „Amerikafahrer“ von Ravensburger, wie die Außendienstler mit Fernreiseprivileg genannt wurden, staunten nicht schlecht, als sie in den Fünfzigern in dn USA die riesigen Fertigungsanlagen für Puzzles sahen. In den Warenhäusern türmten sich Puzzles für Erwachsene, Fast-Food-Ketten verschenkten Puzzles als Werbeaktion. Die ganze Welt schien zu Puzzlen.

Nur die Deutschen nicht, was die Marketingstrategen zur eingangs erwähnten Einschätzung der Erfolgsaussichten für die „idiotische Beschäftigung“ veranlasste.

Es waren holländische und skandinavische Vertriebspartner, die Ravensburger vom Gegenteil überzeugten: In diesen Ländern gab es bereits einen leichten Puzzle-Boom und auch das entsprechende Know-How für die Produktion.

Die ersten Ravensburger interlocking-Puzzles wurden in Schweden hergestellt. In Holland wurde die Puzzlestanze erfunden, welche die Herstellung von Puzzles revolutionierte. Bis heute sind die Stanzen von Ravensburger handgefertigt – die Puzzles überzeugen durch qualitativ hochwertige Fertigung, was ihnen auch in Zeiten von weltweiter Konkurrenz und asiatischen Billig-Puzzleanbietern eine stabile Position im hart umkämpften Puzzlesegment sichert.

 

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