Schlechter Ruf, lausiges Image: Geier sind nicht unbedingt Sympathieträger. In Deutschland wurden sie verfolgt und ausgerottet. Jetzt kommen sie wieder.
2006 war für Deutschland ein echtes „Gänsegeierjahr“: Innerhalb weniger Wochen tauchten die Riesenvögel mit einer Spannweite von beinah drei Metern überall in Deutschland auf. Sieben Gänsegeier wurden ermattet in Vorgärten und auf Feldern gefunden und in Vogelstationen wieder aufgepäppelt. Überm Schwarzwald geriet ein Segelflieger in einen Trupp Geier, der in rund tausend Metern Höhe seine Kreise zog. Einundsiebzig der Aasfresser machten sich in Mecklenburg-Vorpommern über ein verendetes Rind her.
Gänsegeier sind nicht in der Lage, lebendige Tiere oder gar Menschen anzugreifen
Der Hannover Diplombiologe und Ornithologe Thorsten Krüger hat die Geiersichtungen minutiös dokumentiert und mit den Daten seit 1800 verglichen. Nach vorsichtiger Schätzung geht er für 2006 von mindestens 120 verschiedenen Tieren aus. Die Zahlen für die Folgejahre sind ähnlich. „In Bayern und Baden-Württemberg sind Gänsegeier unregelmäßige, in einzelnen Individuen vorkommende Gastvögel“, erklärt Krüger. „Weiter nördlich gelten sie schon als extreme Seltenheit. Dass so viele von ihnen hier auftauchen, hat es nie zuvor gegeben.“
Der massive Einflug der Gänsegeier bewegte die Gemüter und sorgte nicht nur unter Ornithologen für Aufregung. Das Thema wurde von überregionalen Fernsehsendern und Printmedien aufgegriffen und die erschöpft aufgefundenen Geier mit Spitznamen versehen. Während die meisten Berichte neutral und gut recherchiert waren, rief die Bild-Zeitung „Geier-Alarm“ aus. „Fällt Gonzo über Nackte her?“, titelte das Blatt und schürte die tief verwurzelte Angst und Abscheu vor dem Aasvogel.
„Totaler Blödsinn“, stellt Simon Jensen, zoologischer Direktor im Vogelpark Walsrode, klar. „Gänsegeier fressen ausschließlich Aas. Sie sind Segelflieger und gar nicht wendig genug, um lebende Tiere oder gar Menschen anzugreifen. Außerdem sind wildlebende Gänsegeier sehr vorsichtig und nähern sich potentieller Beute nicht, wenn sie sich noch bewegt.“
Rückkehr der Gänsegeier: Natürliches Zugverhalten oder Flucht vor dem Hunger?
Der Direktor des weltweit größten Vogelzoos wertet die Rückkehr der Gänsegeier als gutes Zeichen. „Fälschlicherweise wurde der Gänsegeier als Nahrungskonkurrent betrachtet und bis in die Sechzigerjahre hinein systematisch vergiftet“, erklärt er. „Nun haben sich die Bestände im Mittelmeerraum erholt. Die Population ist gewachsen, die nutzbare Fläche und das Nahrungsangebot sind aber nicht mehr geworden. Die überzähligen Geier kommen zu uns. Das spricht für eine stabile Population.“
Wird die Nahrung knapp, fliegen nicht geschlechtsreife Jungtiere aus den Brutgebieten ab und entlasten so die brütenden Vögel, die auf Futter in einem Umkreis von rund sechzig Kilometern angewiesen sind. Das ist ein ganz natürliches Wanderverhalten, das die Gänsegeier im Sommer Richtung Nordosten, im Winter in den Südwesten führt.
Dieter Haas vom Naturschutzbund (NABU) sieht die Rückkehr der Gänsegeier hingegen nicht nur mit ungetrübter Freude, sondern auch mit Besorgnis. Anders als Simon Jensen glaubt er nicht, dass nur das natürliche Zugverhalten für den starken Geiereinflug in den letzten Jahren verantwortlich ist. Vielmehr sieht er einen kausalen Zusammenhang mit geänderten EU-Vorschriften.
Im Rahmen der BSE-Krise 2002 wurde von der EU eine neue Hygienerichtlinie erlassen, welche die sofortige Beseitigung toter Tiere aus der Landschaft vorschreibt. Besonders in Spanien hatte das massive Auswirkungen. Anders als bei uns wurden Tierkadaver dort auf Schindangern (Muladares) gesammelt. Diese dienten den Geiern als Hauptnahrungsquelle.
Nach dem Erlass der neuen Vorschrift wurden die Muladares geschlossen und den Geiern die Nahrungsgrundlage entzogen. Ausnahmeregelungen traten zu spät und in ungenügendem Maß in Kraft. „Von tausend Muladares wurden nur fünfundzwanzig wieder aufgemacht“, so Haas. „Was die Vögel nach Deutschland treibt, ist in erster Linie der Hunger. Sie fliegen über die Pyrenäen nach Frankreich und konkurrieren mit den dort lebenden Geiern. Diese ziehen weiter bis nach Deutschland und Dänemark.“
2008 wurde in Balingen-Albstadt ein Geier-Restaurant eröffnet
Doch auf ihrer Zugroute nach Norden ist es um Futter schlecht bestellt. In Deutschland bleiben tote Weidetiere nicht liegen, und selbst überfahrenes Wild wird unverzüglich entfernt. Die Vögel werden auch hier nicht satt.
Das soll sich ändern, wenn es nach Dieter Haas geht. Gemeinsam mit Jägern, Tiermedizinern und Naturschützern von NABU und BUND hat er die Geierinitiative Oberes Donautal ins Leben gerufen. Sie macht sich für den Schutz der Geier stark.
Haas sieht im Gänsegeier ein Geschenk des Himmels und eine große Chance. „Es wäre ein Traum, wenn sich der Gänsegeier in Deutschland wieder ansiedelt“, meint er. „Er könnte ein Symbol für gelungenen Umweltschutz werden und auch wesentliche touristische Impulse für den ländlichen Raum geben.“
2008 gelang der Geieriniative ein großer Erfolg in Sachen Geierschutz: In enger Zusammenarbeit mit dem Landratsamt, das auch Initator des Projekts ist, wurde bei Balingen-Albstadt ein temporärer Futterplatz für die Großvögel eingerichtet.
Damit soll nicht nur den Geiern geholfen, sondern auch Erfahrung im Umgang mit den Sommergästen gesammelt werden. Denn noch sind viele Fragen in Bezug auf die großen Vögel offen.
Keine Ansiedlungspläne für den Gänsegeier
Ein Ansiedlungs- oder gar Zuchtprogramm, wie es das für den Bartgeier in den Alpen gab, gäbe es von Seiten der Geierschützer aber nicht, betont Haas. Der Geier müsse von selbst zurückkommen, es könne nicht Ziel sein, eine dauerhaft fütterungsabhängige Population zu etablieren. Vielmehr gälte es, eine Ausnahmegenehmigung von der EU-Hygieneverordnung anzustreben und die herrschenden gesetzlichen Rahmenbedingungen so zu ändern, dass der Geier auch auf sich selbst gestellt eine Überlebenschance hat.
„Mit Blick auf das historische Vorkommen von Gänsegeiern in Deutschland könnte das Biosphärenreservat Schwäbische Alb gute Voraussetzungen mitbringen, aber auch in anderen Regionen Süddeutschlands ließe sich über den Verbleib von Nutz- und Wildtierkadavern in der Landschaft wieder eine Lebensgrundlage für aasfressende Tiere schaffen“, schreibt Ornithologe Thorsten Krüger in seinem Bericht.
Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, der mir bürokratischen Hürden und etlichen Vorurteilen gegenüber den Aasvögeln gespickt ist. „Wir können die Geier haben, wenn wir sie wollen“, formulierte es der französische Geierschützer Michael Terrasse einmal. „Die Frage ist, ob wir sie wollen.“ Das gilt auch für Deutschland.
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