Läm­mer- oder Bart­geier: Das Op­fer des Ruf­mords kommt zurück

Bartgeier fressen Knochen, schminken sich ihr Brust­gefieder rot und werfen ge­le­gent­­lich mit Schildkröten. Seit 1986 sind sie wie­der in den Alpen unterwegs.

Als der griechische Tragödiendichter Aischylos 456 v. Chr. starb, tat er das auf reichlich tra­gi­sche und ungewöhnliche Weise: Er wurde von ei­ner Schildkröte erschlagen, die ihm ein Greif­vogel auf den Kopf fallen ließ. So zumin­dest berichtet es die Legende. Sollte sie wahr sein, ist vermutlich ein Bartgeier für Aischylos Tod verantwortlich, denn im Mittelmeerraum gehören Schildkröten zur Nahrung des großen Greif­vogels. Um sie zu „knacken“ lässt der Vogel sie aus großer Höhe auf Stein­plat­ten fallen.

Der Bartgeier war als Läm­mer­mör­der und Kindesentführer ver­schrien

Mit einer Spannweite von bis zu drei Metern sind Bartgeier die größten europäischen Vögel.

Schildkröten sind die einzigen lebenden Tiere, die dem Bartgeier zum Opfer fallen – an­ders­lau­tende Gerüchte machten ihm in der Ver­gangenheit das Leben schwer. Immer wieder berichteten Hirten, der Bartgeier hätte ihre Schafe angegriffen und Lämmer ge­ris­sen. Sie nannten den großen Vogel „Läm­mer­geier“. Der Name beruht allerdings auf einer Fehlbeobachtung: Die Vögel folg­ten den Schaf­herden und fraßen neben verendeten Tieren auch Tot- und Nach­gebur­ten.

Der Rufmord am Lämmergeier ging noch weiter: Noch 1853 warnte Fried­rich von Tschudi in seinem „Thierleben der Alpen­welt“ vor dem Bartgeier und zi­tier­te „verbürgte Beispiele“ von Kindsentführungen und Kindstötungen.

Mit dem eher kurzen Hals und der dichten Befiederung sehen Bartgeier eher wie Adler aus, nicht wie „typische Geier“. Weibchen und Männchen sind sich sehr ähnlich.

Sein schlechter Ruf rechtfertigte die Verfolgung des Bartgeiers – die Mär von seinem mörderischen Gehabe war ein guter Vorwand, um ihn unbarmherzig zu jagen. Ein Anreiz dafür war der Balg des stolzen Vogels, der mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern der größte Vogel Mitteleuropas ist und von seinem Aussehen her eher an einen Adler als an einen Geier erinnert. Jedes Museum, das auf sich hielt, wollte einen Bartgeier als Trophäe haben; gebietsweise wurden hohe Prämien auf den Vogel ausgesetzt.

Um 1900 herum war der Lämmergeier im Alpenraum ausgerottet; erst 1986 wurde er erfolgreich wieder angesiedelt. Heute leben wieder mehr als hundert Bartgeier in den Alpen; Bruterfolge werden aus Italien, Frankreich und der Schweiz gemeldet. Im März 2010 meldete erstmals auch Österreich Bartgeier-Nachwuchs. In Deutschland sind Bartgeier noch keine Brutvögel; gelegentlich fliegen sie (vorwiegend in Bayern) ein. Häufiger sieht man in den letzten Jahren Gänsegeier über Deutsch­land kreisen.

Wie starb der griechische Dichter Aischylos?

Ein Wurm drang in sein Ohr ein und fraß sich in sein Gehirn. Der Dichter hatte ihn in einer Bibliothek aufgegabelt. Vermutlich ein Bücherwurm.

Die Pest raffte ihn nieder. Die Krankheit war von einer Ratte auf den Dichter übertragen worden. Wahrscheinlich war es eine Leseratte.

Ihm fiel eine Schildkröte auf den Kopf. Vermutlich hatte ein Bartgeier sie fallen gelassen. Über Dichtern schwebt sowieso immer der Pleitegeier.

Kleiner Tipp: Die korrekte Antwort finden Sie im Beitrag auf dieser Seite

Lämmergeier schlucken Knochen von der Größe eines Unterarms im Ganzen

Der rote Ring ums Auge (Skleralring) leuchtet um so intensiver, je erregter der Vogel ist.

Heute weiß man auch, dass der Bartgeier (mit Ausnahme der Schildkröten) keine le­benden Tiere jagt. Normalerweise ist der große Vogel ein reiner Aasfresser, der sich sei­ne Nahrung hauptsächlich im Gebirge, oberhalb der Waldgrenze sucht. Dazu fliegt er relativ niedrig über die Gebirgshänge und „scannt“ sein Revier. Anders als Neu­welt­geier wie zum Beispiel der Kondor können Altweltgeier wie Bart-, Schmutz- oder Gän­se­geier Aas nicht riechen und sind bei der Nahrungssuche auf ihre her­vor­ragen­den Au­gen angewiesen. Während Gänsegeier ihre Nahrung gerne im Verbund suchen, ist der Bartgeier für gewöhnlich allein unterwegs.

Auch seine Nahrung unterscheidet sich von der anderer Geier: Bartgeier sind auf den Verzehr von Knochen spezialisiert und haben sich damit eine Nahrungsnische er­schlos­sen, die ihnen kein anderes Tier streitig macht, nicht einmal andere Geier.

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An­ders als seine kleineren Verwandten, die Schmutz- und die Gän­se­geier, wird ein Bart­geier für gewöhnlich nicht in spektakuläre Raufereien um einen Kadaver verwickelt. Ent­deckt ein Bartgeier ein totes Tier, wartet er ab, bevor er sich nähert. Erst wenn andere Beu­te­greifer und Aasfresser wie Wölfe, Füchse, Bären oder auch Krähen und Stein­adler sich ihren Teil der Beute geholt und den Kadaver bis auf die Knochen ab­ge­fres­sen haben, kommt der Bartgeier zum Zug.

Bartgeier fressen, was andere Aasfresser übrig lassen: Um ans Knochenmark zu kommen, lassen sie Knochen aus großer Höhe auf Steinplatten fallen.

Erwachsene Bartgeier können Knochen mit einer Länge von bis zu fünfundzwanzig Zen­timetern als Ganzes schlucken und dank ihres besonders sauren Magensafts voll­stän­dig verdauen. Auch Rippenstücke, bis zu drei Zentimeter dicke Röhrenknochen und Rin­der­wirbel werden unzerkleinert gefressen. Mit größeren Knochen verfährt der Bartgeier wie mit den Schildkröten: Er lässt sie aus großer Höhe (zwanzig bis ein­hun­dert­fünf­zig Meter) auf Steinplatten fallen, meist an den immer gleichen Stellen seines Reviers – den so genannten „Knochenschmieden“. Zerbricht ein Knochen auf diese Weise nicht, wiederholt der Geier die Prozedur bis zu vierzig Mal.

Bartgeier färben sich an Rotbadestellen das Brustgefieder

Die Federn unterhalb des Schnabels gaben dem Bartgeier seinen Namen.

Diese Neigung, Knochen fallen zu lassen, ist dem Bartgeier angeboren. Die Ver­fei­ne­rung der Technik muss er aber im Laufe seines Lebens lernen. Eine morpho­lo­gi­sche Be­son­der­heit hilft ihm dabei: Eine seiner Vorderzehen ist nach innen ab­gewin­kelt und bildet zusammen mit der Hinterzehe eine Art Greifzange, die es dem Bart­geier über­haupt erst ermöglicht, mit den Knochen zu hantieren.

Seinen Namen hat der Bartgeier von einer weiteren Besonderheit: Dem „Bart“, einem Büschel borstenartiger Federn am Ober- und Unterschnabel, dessen Funktion noch nicht bekannt ist, der aber von Männchen und Weibchen getragen wird. Ebenfalls un­be­kannt ist, warum sich Bartgeier „schminken“. An so genannten Rotbadestellen fär­ben sich die Vögel ihr Brustgefieder mit eisenoxidhaltigem Schlamm rot ein.

Als mög­li­che Grün­de für dieses angeborene Verhalten werden Verschleißschutz für das Ge­fie­der, eine Verbesserung der Thermoregulation und eine Verbesserung der visu­el­len Sig­nal­wirkung auf mögliche Partner diskutiert. Ein visuelles Signal ist auf alle Fälle der deko­ra­tive rote Ring (Skleralring), der das Auge des Bartgeiers einrahmt und dessen Far­be um so intensiver wird, je erregter der Vogel ist.

Mehr über den Lämmergeier in „Der Bartgeier“ von Klaus Robin, Jürg Paul Müller und Thomas Pachlatko. Neben detaillierten Auskünften über die beiden Unterarten des Bartgeiers finden sich zahlreiche Informationen über das Bartgeier-Wiederansiedlungsprojekt – einschließlich des (vergeblichen …) Zuchtversuchs mit zwei Männchen.

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