Getreten, beschmutzt, ignoriert: Fußmatten fristen ein tristes Dasein. Doch es gibt Hoffnung. Heinz Spenkuch macht die Matte zur persönlichen Visitenkarte.
Es klingelt. Vor der Türe steht ein wildfremder Mann. Das ist so weit nichts Ungewöhnliches. Es kommt ja alle naslang vor, dass jemand auf der Fußmatte steht und etwas möchte. Ungewöhnlich ist, dass der Herr genau das möchte: die Fußmatte. Er will sie ausborgen. Hoch und heilig verspricht er, das gute Stück wohlbehalten zurückzubringen.
Selbstverständlich erhält der großzügige Spender während der Leihzeit eine Ersatzmatte. Und damit alles seine Richtigkeit hat, gibt es Brief und Siegel, sprich, einen Fußmatten-Leihvertrag, der von beiden Parteien unterzeichnet wird. Diesen hat der Fremde sicherheitshalber schon mal vorbereitet. In zweifacher Ausfertigung. So wie es sich gehört.
Das Fußmattenbewusstsein ist in Deutschland wenig ausgeprägt
Was klingt wie ein Streich mit versteckter Kamera, ist keiner. Fußmatten-Kommunikateur Heinz Spenkuch ist auf der Jagd. „Viele Menschen machen sich zum ersten Mal Gedanken über ihre Fußmatte, wenn ich sie danach frage. Das Fußmattenbewusstsein ist in Deutschland wenig ausgeprägt“, erklärt er mit fröhlicher Ernsthaftigkeit. Das zu ändern, hat er sich zur Aufgabe gemacht. Denn die Fußmatte ist verkannt und hat mehr verdient, als dass ständig auf ihr herumgetrampelt wird. Sie ist ein Stück Identität. Zumindest dann, wenn es sich um ein „Dreckstückchen“ von Heinz Spenkuch handelt.
„Die Fußmatte ist oft das Erste, das ein Fremder von der eigenen Wohnung sieht. Bewusst oder unbewusst gibt sie einen ersten Eindruck über die Person, die hinter der Tür wohnt“, so der Fußmatten-Kommunikateur. Das wurde ihm selbst 1995 klar, als eine Schimpftirade seiner Nachbarin auf ihn niederging. Diese war der Ansicht, der damalige Kunststudent sei eine Schande für das ganze Haus. Stein des Anstoßes war die Fußmatte vor Heinz Spenkuchs Tür. Eine überaus schmutzige Fußmatte, die das ästhetische Empfinden und das Reinlichkeitsbewusstsein der Nachbarn empfindlich verletzte, und deren Existenz dem Besitzer bislang völlig entgangen war.
Während die Nachbarin noch zeterte und schimpfte, gingen Heinz Spenkuchs Gedanken schon in alle möglichen Richtungen. Zum ersten Mal machte er sich Gedanken über die Signalwirkung seiner Fußmatte. Was sagte sie über ihn aus? War er tatsächlich ein schmutziger, nachlässiger und schlampiger Zeitgenosse? Stimmte das Urteil, das seine Nachbarin anhand des Abtreters über ihn gefällt hatte? Ihn interessierte, welche Aussagen auf diese Weise getroffen werden, was sie über den Besitzer verraten, wie sich diese Aussagen verändern lassen und welche Reaktionen damit provoziert werden können.
Die deutsche Fußmattenforschung steckt in den Kinderschuhen
Schnell stellte er fest, dass die Fußmattenforschung sträflich vernachlässigt wird und es ernüchternd wenig Literatur zum Thema gibt. Aber theoretisches Forschen im Elfenbeinturm war ohnehin nicht Heinz Spenkuchs Sache. Ihn interessierten die Geschichten, die Fußmatten und ihre Besitzer zu erzählen haben. Gefühltes Wissen, statt spröder Statistik.
Mit geschärftem Blick, einer gehörigen Portion Schwellenangst und einer geborgten Aktentasche voller Fußmatten-Leihverträge zog er zu seiner ersten Feld- oder besser Flurstudie durch Deutschlands Wohngebiete und Treppenhäuser los, klopfte an fremde Türen und fragte nach Leihmatten. Sein befremdliches Ansinnen stieß auf Interesse, Neugier und spontane Begeisterung aber auch Skepsis, Misstrauen und unverhohlene Ablehnung. Mehr als einer knallte dem „spinnaten Kunststudenten“ die Tür vor der Nase zu.
Im Rahmen der Jahresausstellung der Fachhochschule für bildende Kunst in Hamburg stellte er 1995 die geborgten Fußmatten aus. Weil diese für die gut einhundertfünfzig Türen im Gebäude nicht reichten, entwarf er den Rest selbst. Was als Kunstprojekt und Spleen begann, wurde bald zum Beruf. Weitere Ausstellungen, Fußmatten-Memories und Fußmatten-Konzerte folgten, 2001 eröffnete Heinz Spenkuch einen Fußmatten- Shop, in dem er heute seine Kreationen verkauft.
Und noch immer sammelt er. Nicht nur ungewöhnliche Matten, sondern vor allem die Geschichten dazu. Unzählige davon kann er erzählen, lustige und weniger lustige. Nur selten spielt die Fußmatte darin eine zentrale Rolle. Meist ist sie unbemerkte Randfigur, stummer Mitwisser, Hüter von Wohnungsschlüsseln, Zeuge von Romanzen, Abschieden und Dramen auf Türschwellen und in Hausfluren. Einen Teil dieser Geschichten können Besucher in Heinz Spenkuchs Diplomarbeit „Die Fußmatte im öffentlichen Raum“ nachlesen. Das 94 Seiten starke Werk brachte dem Studenten eine glatte Eins ein. Ein Ansichtsexemplar hat er in seinem Laden in Hamburg.
Heinz Spenkuch: Fußmatten-Designer auf der Suche nach der Vollkommenheit
Dort ist es bunt und kuschelig. Überall sind Fußmatten. Heinz Spenkuch nennt sie liebevoll „Dreckstückchen“. Sie liegen vor der Türe, stapeln sich am Boden und dienen als Wandverkleidung. Einige frisch bedruckte Exemplare hängen zum Trocknen an einem Wäscheständer. Ein rubinrotes Dreckstückchen hängt im schweren Goldrahmen im Schaufenster. „Lauter glückliche Menschen“, steht darauf in goldenen Buchstaben.
Viele Dreckstückchen bestechen durch Doppeldeutigkeit und Hintersinn und werden so zur Stolperfalle für den Geist. Die grüne „Flurbereinigung“, die cremeweiße Matte mit dem zartrosa Schriftzug „unbefleckt“ oder der schwarze „Ölteppich“.
Wer in den fast tausend Kollektionsmatten nicht fündig wird, für den entwirft Heinz Spenkuch ein persönliches Modell. Bis Mensch und Matte zusammenfinden, kann es mitunter dauern. Länger als ein Jahr und fast dreißig Entwürfe benötigte es kürzlich, bis eine besonders anspruchsvolle aber auch besonders unschlüssige Kundin mit ihrem persönlichen Dreckstückchen zufrieden war. Berechnet man die Arbeitszeit, rentiert sich so eine Fußmatte für Heinz Spenkuch längst nicht mehr. Er macht sie trotzdem. Aus Sportsgeist und Leidenschaft. Aus Liebe zum Detail. Aus dem Wunsch, etwas Schönes herzustellen und die perfekte Symbiose zwischen Mensch und Matte zu schaffen.
Klingt exzentrisch und schrullig? Vielleicht ist es das. Was das Ganze dennoch so ungeheuer charmant und liebenswert macht, sind nicht die witzigen, mysteriösen oder nachdenklich stimmenden Fußmatten. Es sind die Sorgfalt und Hingabe, mit der sich Heinz Spenkuch und sein Team jedem Aspekt ihrer Arbeit widmen. Besonders den Menschen und den Geschichten, die hinter ihren Dreckstückchen stehen. Jedem und jeder einzelnen.