Früher wurde der Spatz als Landplage verfolgt und sogar ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Heute pfeift er vielerorts längst nicht mehr von den Dächern.
Als sich vor einigen Jahren ein Spatz in die Fernsehstudios von RTL verirrte und mehr als zwanzigtausend, sorgfältig für den „Domino Day“ aufgebauten Dominosteine zum Umfallen brachte, wurde der Störenfried prompt mit einem Luftgewehr erschossen. Ebenso prompt wurde der Sender mit Protesten und bösen Briefen überschüttet.
Spatzenjagd mit Gift, Steuern, Kopfgeld und Exkommunikation
Noch in den 1950ern wäre eine solche „Spatzenrevolution“ undenkbar gewesen, denn da hatte der Spatz nur wenige Freunde. Er wurde als Schädling gehandelt und als angeblicher Futterkonkurrent vom Menschen gejagt, gefangen und vergiftet, wo es nur ging. Vielerorts gingen Jungen und Mädchen mit der Schleuder auf Jagd und kassierten für die geflügelte Beute eine Prämie. In diesen Nachkriegsjahren waren Lebensmittel knapp, und sogar der winzige Spatz wurde als Konkurrent betrachtet. Manch einer landete auch im Eintopf, obwohl an dem dreißig Gramm schweren Vogel nicht viel dran ist.
Die Feindseligkeit dem Spatz gegenüger war schon damals nicht neu. Bereits 1559 beschwerte sich ein Dresdner Pfarrer über das „verdrießlich große Geschrei“ der Sperlinge, das seine Predigt so störte, dass er den Spatz kurzerhand exkommunizierte. Auch die Spatzenjagd hat Geschichte. Schon im 18. Jahrhundert forderte Friedrich der Große von jedem Untertanen einen toten Spatzen im Jahr. Zeitgleich mussten in Baden-Württemberg ein Dutzend lebender Spatzen jährlich abgeliefert werden; wer das nicht tat, bezahlte neben zahlreichen anderen, absurd anmutenden Steuern, auch eine Spatzensteuer. Und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wünschte Freiherr von Berplesch in seinen „Grundlagen des gesamten Vogelschutzes“ den Spatzen „schonungslose Vernichtung“.
Haussperlinge weltweit: Maos Spatzenrevolution und ein amerikanischer Shakespeare-Fan
Auch am anderen Ende der Welt erging es dem Spatz nicht besser: 1956 befahl Mao die Ausrottung der chinesischen Spatzen um so die Getreidefelder zu schützen. Millionen Chinesen wurden aufgefordert, mit Tüchern zu wedeln und Krach zu schlagen, damit die Spatzen es nicht mehr wagten, sich irgendwo niederzulassen.
Der Lärm in China muss gewaltig gewesen sein – allein in Shanghai fielen innerhalb von drei Tagen offiziell gezählte 88.371 Spatzen vor Erschöpfung tot vom Himmel. Später musste China aus der Sowjetunion Vögel importieren: Weil die natürlichen Feinde fehlten, nahmen die Insekten überhand und wurden zur Plage.
In Amerika war es anders herum: Um 1850 wurden im Central Park in New York fünfzig Spatzen ausgesetzt. Einer Erklärung zufolge sollten die Vögel für die Einwanderer eine Art Maskottchen aus der Heimat darstellen und das Heimweh lindern. Einer anderen Überlieferung zufolge war es ein Shakespeare-Fan, der die ersten Spatzen nach Amerika brachte weil er den Wunsch hatte, dort alle Vögel um sich zu haben, die in den Werken des Dichters vorkamen.
Fest steht, dass schon wenig später in Amerika Spatzen zur Schädlingsbekämpfung ausgesetzt wurden. Die Spatzen fanden in den weitläufigen Steppen und auf den riesigen Feldern Nordamerikas ideale Lebensbedingungen und vermehrten sich dermaßen stark, dass sie selbst zum Schädling wurden.
Hundert Jahre nach seiner Ankunft in der neuen Welt wurde der Spatz auch dort erbittert gejagt. Dabei war die Spatzenverfolgung von Anfang an ein sprichwörtliches „mit Kanonen auf Spatzen schießen“: Die Vogelschutzwarte Frankfurt errechnete, dass Haussperlinge weniger als ein Prozent des Ernteertrags vom Feld stiebitzten – auch, als sie noch in Massen einfielen.
In Deutschland ist kein Platz für Spatzenhirne
Die Zeiten haben sich geändert. Heute landen keine riesigen Spatzenscharen mehr auf den Getreidefeldern, und vielerorts ist längst kein Platz mehr für den Spatz. Seit den Achtzigern hat sich die Zahl der Spatzen halbiert, inzwischen gilt der Deutschen liebster Kosenamengeber als bedroht.
Wie viele Haussperlinge es noch in Deutschland gibt, weiß allerdings keiner so genau; die Schätzungen gehen von bis zu zehn Millionen aus. Ein Bruchteil, verglichen mit früher. 2002 wurde der Spatz vom Deutschen Naturschutzbund zum „Vogel des Jahres“ gewählt; erste Schutzinitiativen sollen den Spatzen wieder von den Dächern pfeifen lassen.
Hauptproblem der Spatzen ist die Wohnungsnot: Als Kulturfolger suchen sie die Nähe des Menschen. Wo Altbauten perfekt saniert, jede Fassadenritze verschlossen und jeder lose Dachziegel befestigt werden, findet der Spatz keine Nestbaumöglichkeit und damit auch kein Weibchen. Denn diese sind anspruchsvoll und lassen sich nur mit Hausbesitzern ein. Dafür bleiben die Spatzendamen dann ein Leben lang treu.
Auch die Futterbeschaffung für den Nachwuchs ist schwierig geworden. Zwar können erwachsene Spatzen nahezu alles fressen – von der Eistüte bis zum Kebaprest – und tun es auch, doch die Jungvögel sind auf Insekten und wirbellose Kleintiere angewiesen. Die sind nicht nur in Städten knapp.
Auch auf dem Land sammeln ertragsoptimierte High-Tech-Landmaschinen dem Spatz die Körner vor der Nase weg; weil durch intensive Nutzung und Düngung auch Insekten, Käfern und anderem Kleingetier die Lebensgrundlage entzogen wird, findet der Spatz auch hier immer weniger Nahrung.
Der „Spatz in der Hand“ braucht Hilfe
Was den Spatz bis jetzt überleben ließ, sind seine Cleverness, seine ungeheuere Anpassungsfähigkeit und sein Gemeinschaftssinn. Der kleine Vogel ist schlauer als sein Ruf: In Experimenten gelang es Spatzen ohne Mühe, geschlossene Milchflaschen zu öffnen – eine Leistung, die man davor nur Meisen zutraute.
Der Spatz hat auch gelernt, an allen möglichen und unmöglichen Orten zu leben. Etwa im Elefantengehege im Münchner Tierpark Hellabrunn. Auch das Sozialverhalten des „Spatzenhirns“ ist beachtlich: Wenn Spatzeneltern verunglücken, dann stoßen deren Junge nach einiger Zeit „Bettelrufe“ aus. Die Fütterung wird dann von Spatzennachbarn übernommen.
Trotz seiner Anpassungsfähigkeit hat der Spatz zu kämpfen. Helfen können Sie dem kleinen Piepmatz mit Nistkästen und indem Sie wenigstens eine Ecke Ihres Gartens verwildern lassen und auf Pestizide verzichten.
Der Spatz wird es Ihnen danken – mit einem lauten Pfeifkonzert, das bereits rund zwanzig Minuten vor Sonnenaufgang einsetzt, und das Ausschlafen unmöglich macht. Dafür brauchen Sie mit dieser Vogeluhr keinen Wecker mehr.