Wenn die dunkle Jahreszeit beginnt, haben Kerzen Hochsaison. Das warme, lebendige Licht verbreitet Gemütlichkeit und Geborgenheit. Symbolisch steht es für das Licht Gottes und die Seele, die dem Dunkel des Todes trotzt.
Adventskerze, Adventskranz und Lichterbaum: Kerzen gehören ebenso zur (Vor)Weihnachtszeit dazu, wie der Adventskalender, das Abstauben und Aufstellen der Weihnachtskrippe und das Besorgen des Weihnachtsbaums.
„Advent, Advent, ein Lichtlein brennt“
An Weihnachten wird die Geburt Jesu Christi gefeiert – als „Licht der Welt“ kommt er im christlichen Glauben auf die Erde, um die Menschheit von ihren Sünden zu erlösen.
Die vier Kerzen im Adventskranz, die nach und nach an jedem Adventssonntag entzündet werden, symbolisieren die Zunahme des Lichts als Ausdruck der größer werdenden Vorfreude auf dieses Ereignis.
Das Tannengrün steht für die Hoffnung auf (ewiges) Leben – schon bei den Kelten und Römern findet sich der Brauch, im Winter immergrüne Zweige ins Haus zu holen, um an die Wiederkehr des Lebens im Frühjahr zu erinnern. Aus diesen heidnischen Riten ging auch der Brauch des Weihachtsbaums hervor.
Eher an die Tradition des Adventskalenders angelehnt sind einzelne Adventskerzen: Jeden Tag wird so eine Kerze bis zu einer bestimmten Markierung abgebrannt. Das verdeutlicht vor allem Kindern die Wartezeit bis Weihnachten.
Rußend und stinkend: Frühe Kerzen hatten wenig mit Gemütlichkeit zu tun …
Auf den Weihnachtsbaum schafften es Kerzen zum ersten Mal im Jahr 1611. Als Herzogin Dorothea Sibylle von Schlesien damals das erste Mal Kerzen auf einem Christbaum entzündete, waren echte Kerzen aus Wachs noch ein Luxusartikel, der den besseren Gesellschaftsschichten vorbehalten war.
Das gemeine Volk verwendete stattdessen Kerzen aus Talg – sogenannte „Unschlittkerzen“ oder auch „Binsenlichter“, die stark rußten, stark rochen, stark tropften und insgesamt mehr Arbeit machten als Romantik zu verbreiten: Regelmäßig musste der Docht solcher Kerzen „geschneuzt“ oder „geputzt“ (also gekürzt) werden, um das Rußen und Tropfen zu vermeiden.
Bis heute ist spezielles „Kerzenwerkzeug“ im Handel erhältlich: Dochtscheren, Dochttrimmer und Kerzenlöscher (sie sollen verhindern, dass der Docht ausglimmt) muten ein wenig nach Mittelalter und ein wenig nach Chirurgenbesteck an, und sind für die meisten modernen Kerzen eigentlich überflüssig.
Weiße Kerzen aus dem Kopf von Pottwalen
Im 17. Jahrhundert wurden Talgkerzen mit Arsenik geweißt – das ließ sie weniger schmutzig aussehen, nahm ihnen aber nicht den strengen Geruch (und versetzte die Kerzen zudem mit Giftstoffen). Ab 1725 gab es mit dem Walrat einen Kerzengrundstoff, der von Natur aus weißer Farbe war.
Walrat (auch „Spermazeti“ oder „Weißer Amber“) ist eine fett- und wachshaltige Substanz aus der Melone (einem Organ, das für die Echoortung wichtig ist) im Kopf von Pottwalen. Der Bedarf an Walrat machte den Pottwal zu einem bevorzugten Ziel für den industriellen Walfang: Rund 2650 Kilogramm Walrat liefert ein einziger, fünfzehn Meter langer Pottwal.
„Walratkerzen (Spermacetikerzen), die besonders in England und Nordamerika sehr gebräuchlich sind, werden aus gereinigtem Walrat […] gegossen. Sie sind sehr schön durchsichtig u. farblos, brennen mit hoher, hell leuchtender Flamme, verzehren sich aber ziemlich schnell und sind daher teuer“, schreibt Meyers Konversationslexikon von 1885 über den kostspieligen Artikel.
Wegen der hervorragenden Leuchtkraft wurde Walratöl auch zum Betrieb von Straßenlaternen und Leuchtfeuern in Leuchttürmen eingesetzt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde es praktisch vollständig durch billigeres, effizienteres Paraffinöl ersetzt.
Gewickelt, geknetet, gegossen: Kerzen in der Neuzeit
„Walratkerzen sind in neurer Zeit durch das ganz ebenso gute billigere und schöne Paraffin bei uns fast ganz verdrängt worden“, heißt es in Merck’s Warenlexikon von 1884 etwas gespreizt.
Etwa zeitgleich kamen Kerzen aus Stearin auf den Markt – bereits 1823 meldete Eugène Chevreul, der Begründer der Fettchemie, ein Patent für nichttropfende Kerzen aus Stearin an.
Heute bestehen die meisten Kerzen aus etwa zwei Dritteln Paraffin und einem Drittel Stearin. Hinzu kommen Härtungszusätze, Trübungsmittel und gegebenenfalls Farbpigmente.
Während Kerzen bis zum 19. Jahrhundert fast ausschließlich gezogen wurden (der Docht wurde so oft in das flüssiges Wachs getaucht, bis die gewünschte Dicke erreicht war), werden sie heute überwiegend durch Gießen oder Pressen hergestellt.
Kerzen von Hand zu ziehen, ist eine interessante Erfahrung, die vielerorts als Workshop angeboten wird. Hochwertige Bienenwachskerzen werden bis heute gewickelt (oder geknetet) – das bietet sich an, weil das Wachs als flache Wabe aus dem Bienenstock kommt.
Seit Ende des 20. Jahrhunderts hat sich zudem der Trend verbreitet, Kerzen in fantasievollen, bunten Formen herzustellen: Die Ergebnisse finden Kerzenfreunde auf jedem Kunsthandwerker- oder Weihnachtsmarkt.
Seelenlicht und Osterkerze – Symbolik von Kerzenlicht
Eine Kerze zu entzünden, spielt in vielen Religionen und Kulturen eine bedeutsame Rolle. Die brennende Kerze symbolisiert die Seele, die im dunklen Raum des Todes leuchtet: Mit lange brennenden „Seelenlichtern“ wird die Erinnerung an die Toten wach gehalten.
Mit Votivlichtern wird in Kirchen weltweit ein sichtbares Zeichen des Gebets und des Glaubens gesetzt – meist wird eine solche Opferkerze begleitend zu einem besonderen Anliegen entzündet. Mit der Flamme sollen Dank und Bitte zu Gott aufsteigen.
Als Osterkerze wird die Kerze zum Symbol für die Auferstehung und den Triumph Jesu Christi über den Tod – an Weihnachten kündigt sie seine Ankunft auf Erden an. Unabhängig von Glaubensvorstellungen und Ritualen verbreiten Kerzen in der dunklen Jahreszeit ein heimeliges und gemütliches Licht – eine Kerze, eine Decke, eine Tasse Tee und ein gutes Buch: Mehr braucht es nicht, um glücklich zu sein.