Kaum ein Symbol ist so eng mit dem Weihnachtsfest verbunden wie der geschmückte Tannenbaum. Dabei ist der Brauch vergleichsweise jung, hat heidnische Wurzeln und wurde von den Katholiken erst vor wenigen Jahrzehnten offiziell übernommen.
„Früher war mehr Lametta!“ Mit diesem Satz beklagt Loriot in seinem legendären Sketch „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ den Niedergang der guten alten Zeiten, in denen Weihnachten noch viel besinnlicher war. Gemütlicher. Mit besserem Fernsehprogramm, besseren Weihnachtsgedichten und besseren Geschenken. Mit mehr Glanz und Gloria. Lamettamäßiger eben.
Früher war tatsächlich mehr Lametta …
Das war 1976, und Loriot war mit seiner Klage dem Zeitgeist voraus, denn damals war Lametta von deutschen Weihnachtsbäumen kaum wegzudenken. Die dünnen, silbernen Stanniolfäden, die an Eiszapfen erinnern sollen, gehörten für viele Deutsche ebenso selbstverständlich auf den Weihnachtsbaum, wie bunte Eier ins Osternest und Nüsse in den Nikolausstrumpf.
Mittlerweile wurde Opa Hoppenstedts Beschwerde längst von der Realität überholt: Lametta sind out. So dermaßen out, dass der letzte deutsche Hersteller die Produktion von Lametta 2015 einstellte. Zu unrentabel war es geworden, die Silberfäden herzustellen, nachdem die verarbeitete Menge von rund fünfzig Tonnen jährlich auf wenige hundert Kilo zurückgegangen war.
„Diese Jahr bleibt der Baum grün! Naturgrün!“
Die Gründe dafür sind vielfältig. Trends und Moden ändern sich, gerade auch an Weihnachten. (Wer hängt heute noch Panzer, Kriegsschiffe und Imitiationen der Bombe „dicke Berta“ an den Baum, wie es zur Zeit des Ersten Weltkriegs in kriegsbegeisterten Familien üblich war?) Für viele wirken Lametta obendrein eher altbacken als nostalgisch (eine Retro-Welle könnte das ändern …).
Der Aufwand, den Lametta beim Schmücken und vor allem beim Abschmücken des Baums macht, mag ein weiterer Grund sein. Weihnachtsbäume werden in Deutschland nur entsorgt, wenn sie frei von Schmuck und Lametta sind, und es ist ein ziemliches Geduldsspiel, die wenig stabilen Silberfäden aus den Ästen zu zupfen. Brutal gesagt machen Lametta unnötige Arbeit und ebenso unnötigen Müll.
Viele Deutsche entscheiden daher so, wie Mutter und Vater Hoppenstedt es bereits 1976 taten, als sie Opas Lametta-Ansinnen strikt zurückwiesen: „Dieses Jahr bleibt der Baum grün! Naturgrün.“ „Mit frischen, natürlichen Äpfeln.“ „Naturfrisch und umweltfreundlich!“
Heidnische Wurzeln: Immergrüne Lebenskraft
Dabei sind die „natürlichen Äpfel“ nicht nur naturfrisch und umweltfreundlich – der Apfel ist vermutlich der älsteste Christbaumschmuck überhaupt. Der Vorläufer der (roten) Christbaumkugel hing am 24. Dezember schon am Tannenbaum, als dieser noch gar kein Weihnachtsbaum war.
Doch der Reihe nach: Das Aufstellen eines geschmückten (Weihnachts)Baums hat seine Ursprünge in den (heidnischen) Bräuchen verschiedener Kulturen. Immergrüne Pflanzen verkörperten Lebenskraft und die Hoffnung auf die Wiederkehr des Frühlings. Holte man sie ins Haus, holte man damit auch Gesundheit ins Haus.
Als Sinnbild des ewigen Lebens schmückten Ägypter, Chinesen und Hebräer ihr Heim mit immergrünen Bäumen, Kränzen und Girlanden. Die Römer bekränzten zum Jahreswechsel ihre Häuser mit Lorbeerzweigen, im Mithras-Kult wurde mit dem geschmückten Baum zur Wintersonnwende dem Sonnengott gehuldigt, und in nördlichen Regionen sollten immergrüne Tannenzweige im Haus böse Geister fernhalten.
Paradies und Sündenfall: Äpfel am Christbaum
Im Mittelalter tauchen dann am 24. Dezember die ersten geschmückten Tannenbäume in den Kirchen auf. Allerdings nicht als Weihnachtsbäume, sondern als „Paradiesbäume“. Bis zur Liturgiereform beim zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) galt der 24. Dezember nämlich als Gedenktag für Adam und Eva.
Um den Sündenfall für das einfache Volk besser begreifbar zu machen, wurde dieser szenisch nachgestellt – ähnlich einem Krippenspiel, nur mit einer anderen Geschichte zum Inhalt. Eva pflückte den Apfel vom Baum, Adam nahm ihn entgegen, aß davon, und das Malheur war passiert.
Das „Paradiesspiel“ erinnerte dabei nicht nur an den Sündenfall, sondern auch an die Ankuft Jesu auf Erden – und damit des Erlösers, der die Menschheit von der durch Adam und Eva begangenen Erbsünde befreite.
Noch weit bis ins 19. Jahrhundert waren Adam, Eva, Äpfel und eine Schlange aus Holz oder Gebäck ein üblicher Christbaumschmuck in Norddeutschland. Mit den Jahren wurde der Behang üppiger, bunter und süßer.
Weltweite Verbreitung des Weihnachtsbaums
Der Siegeszug des Weihnachtsbaums durch die Wohnzimmer und auf die öffentlichen Plätze der Welt, ging eher gemächlich vor sich. Die ältesten schriftlichen Erwähnungen finden sich um das Jahr 1527. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts popularisierte sich der Brauch allmählich.
Johann Wolfgang von Goethe ist einer der ersten, der den „aufgeputzten Baum“ in der deutschen Literatur erwähnt: In den „Leiden des jungen Werthers“ (1774) besucht der Protagonist am Sonntag vor Weihnachten seine Angebetete und schwärmt von den Zeiten, als der mit Wachslichtern, Äpfeln und Zuckerwerk geschmückte Baum den Betrachter in paradiesisches Entzücken versetzte.
Da Tannenbäume zur damaligen Zeit in Mitteleuropa selten und teuer waren, konnten sich nur die oberen Gesellschaftsschichten einen Weihnachtsbaum leisten. Erst mit der vermehrten Anpflanzung von Fichten- und Tannenwäldern ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte der Weihnachtsbaumbedarf für Privatleute gedeckt werden.
Bald verbreitete sich der Weihnachtsbaum nicht mehr nur im mitteleuropäischen und insbesondere im deutssprachigen Raum: Deutsche Auswanderer brachten den Brauch nach Nordamerika, nach England, Russland, Italien und in die Niederlande.
Zögerliche Liaison: Die Katholiken und der Christbaum
Der Weihnachtsbaum galt von jeher als Symbol des Bürgertums. Für die evangelischen Gläubigen wurde er zum zentralen Element der Weihnachtsfeier. Den Katholiken hingegen war der „heidnische Brauch“ suspekt – für sie stand von jeher die Weihnachtskrippe im Mittelpunkt des Festes.
Besonders in Deutschland setzten sie dem Christbaum großen Widerstand entgegen. Entweder Krippe oder Weihnachtsbaum – beides ging nicht. Der Gegensatz markierte vielerorts die Grenze zwischen den Konfessionen.
Das änderte sich erst um 1870 im Deutsch-Französischen Krieg, dem letzten der drei „deutschen Einigungskriege“. Die Zugehörigkeit zum Deutschtum war plötzlich wichtiger als der Unterschied zwischen den Glaubensbekenntnissen. Kofessionsübergreifend wurde der Weihnachtsbaum im Kriegsjahr in allen Soldatenquartieren aufgestellt und zu einem „typisch deutschen“ Symbol.
Bis die katholische Kirche den Weihnachtsbaum offiziell übernahm, vergingen noch einige Jahre: Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Aufstellen von Weihnachtsbäumen in katholischen Kirchen erlaubt. Der Vatikan selbst zögerte noch – erst Papst Johannes Paul II. führte den Brauch im Kirchenstaat ein, als er 1982 den ersten Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz in Rom aufstellen ließ.
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