Bestsellerautor Sebastian Fitzek erzählt, auf welche Probleme er bei der Recherche zu seinem Buch „Der Augensammler“ stieß und wie er damit umging.
Ein Serienmörder treibt sein Unwesen in Berlin. „Der Augensammler“ spielt das älteste Spiel der Welt: Verstecken. Er spielt es auf eine Weise, die Familien zerstört. Er tötet die Mutter, entführt das Kind und gibt dem Vater fünfundvierzig Stunden Zeit, um es zu finden. Auch nach der dritten Entführung gibt es keine Zeugen und keine brauchbare Spur. Da meldet sich die blinde Physiotherapeutin Alina Gregoriev. Sie behauptet, über Körperberührung in die Seele und in die Vergangenheit ihrer Patienten blicken zu können. Sie behauptet auch, den Augensammler behandelt zu haben. Der Journalist Zorbach nimmt die Spur auf und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln.
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Sebastian Fitzek fragt sich: Was wäre, wenn ich ein Serienmörder wäre?
So weit die Kurzzusammenfassung von Sebastian Fitzeks Psycho-Thriller „Der Augensammler“. Doch wie kommt jemand auf solche Ideen? „Das ist die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird“, meint Sebastian Fitzek im Gespräch. „Meistens ist es eine Begegnung oder eine einzelne Begebenheit, die mich zu meinen Büchern inspiriert. Ein Schlüsselmoment für den Augensammler war ein Besuch bei meiner Physiotherapeutin, die regelmäßig versucht, mir mit Druckpunktmassage meinen Haltungsschaden wegzukneten. Sie erklärte mir, dass Verspannungen auch seelische Gründe haben; dass diese oft in der Vergangenheit liegen und dass die Art einer körperlichen Verspannung Einblick in die Psyche des Behandelten gibt.“
Sebastian Fitzek, der sich selbst als skeptischen Realisten bezeichnet, schenkte dem zuerst nicht allzu viel Aufmerksamkeit oder gar Glauben. Stutzig wurde er erst, als ihm seine Physiotherapeutin zu seiner bevorstehenden Vaterschaft gratulierte, von der er selbst erst seit wenigen Stunden wusste und von der er nichts erzählt hatte. Da stellte er sich die „magische“ Frage, die am Beginn jedes seiner Bücher steht: Was wäre wenn?
Und weil Sebastian Fitzek eben Thriller schreibt und keine Gutenachtgeschichten, lauteten seine Fragen: „Was wäre, wenn ich ein gesuchter Serienmörder wäre, der eben im Keller eine Leiche zerstückelt hat? Was wäre, wenn meine Physiotherapeutin das sehen oder spüren könnte?“ Dann, so musste er sich eingestehen, würde seine Geschichte sehr kurz ausfallen. „Zwar würde man meine Zeugin vermutlich als verrückt einstufen, aber sie könnte trotzdem ein Phantombild zeichnen lassen und eine Personenbeschreibung abgeben“, so Sebastian Fitzek. „Für mich war diese Figur deshalb von Anfang an blind.“
Der Augensammler: Sebastian Fitzeks bisher rechercheintensivstes Buch
Worauf er sich mit seiner blinden „Augenzeugin“ Alina Gregoriev einließ, war dem Autor zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. „Das war bisher mein rechercheintensivstes Buch“, erzählt er im Rahmen einer Lesung. „Es ist ja nicht so, dass sich im Vorfeld alles recherchieren und klären lässt. Vielmehr stieß ich mit jedem geschriebenen Satz auf neue Fragen, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe.“
Fragen wie: Haben Blinde Glühbirnen in ihrer Wohnung? (Sie haben.) Wie sortieren Blinde ihre Bunt- und Weißwäsche? (Es gibt dafür Farberkennungsgeräte.) Wie träumen Blinde, die nie etwas gesehen haben? „Über ein Blindenforum im Internet kam ich mit Blinden in Kontakt, die mir meine Fragen beantworteten, mir weiterhalfen, Kapitel Korrektur lasen und mich mit mehr Informationen versorgten, als ich verarbeiten konnte“, erzählt Sebastian Fitzek. „Dafür bin ich ungeheuer dankbar.“
Es gibt einen Unterschied zwischen Realität und Fiktion: Fiktion muss glaubwürdig sein
Bei seiner Recherche stieß der Autor auf Blinde, die Basketball spielen, Schi-Abfahrtslauf fahren oder als Schülerlotsen arbeiten. Er stieß auf Ben Underwood, einen blinden Jungen aus Sacramento (USA), der Skateboard fährt, ganz selbstverständlich eine Playstation bedient, sich mit einem „Echolot-Sinn“ wie ein Delphin anhand von Schallwellen orientiert und in Interviews trotzig klarstellt, dass er nicht blind ist, sondern einfach nur nichts sehen kann.
Fasziniert von solchen Geschichten stieß Sebastian Fitzek auf ein weiteres Problem. „Hätte ich solche Informationen eins zu eins übernommen, hätte ich jedem Buch eine Demo-DVD mit Beweismaterial beilegen müssen, damit man mir glaubt“, meint er. Weil das nicht gut geht, stellt er sein Recherchematerial zumindest teilweise auf seiner Website zur Verfügung und gibt damit nicht nur Einblicke in die Welt der Blinden, sondern auch in die Arbeitsweise eines Bestsellerautors.
Sebastian Fitzek: Auch Sehende sind oft blind
Auch auf seinen berühmt-berüchtigten Lesungen erklärt er viel zum Thema Blindheit und Wahrnehmung, macht neugierig und stimmt nachdenklich. „Die Blinden, mit denen ich gesprochen habe, kämpfen nach ihrer Aussage alle mit demselben Vorurteil“, bedauert er. Das lautet kurz und knapp „blind = blöd“, und ist wie alle Vorurteile gründlich falsch.
„Zu Beginn meiner Recherche fragte ich mich, wie viel die Zeugenaussage eines Blinden wert ist“, erzählt Sebastian Fitzek, der sich auch als Mensch, nicht nur als Autor, von der Thematik berühren ließ. „Am Ende fragte ich mich, wie viel denn die Zeugenaussage eines Sehenden wert ist. Wir sehen ja nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn. Und das lässt sich täuschen und passt die Realität an die Erfahrung an, statt umgekehrt. So sehen wir nur, was wir kennen oder sehen wollen und sind oft blinder als ein Blinder.“
Info: Der Augensammler, Sebastian Fitzek, Psychothriller, Knaur Verlag, ISBN 978-3426503751