Steampunk: Zukunftsvision der Vergangenheit

Science-Fiction trifft Vergangenheit, High-Tech trifft Nostalgie, Fantasy trifft Geschichte: Steampunk lebt von Anachronismen und einer viktorianischen Zukunftsvision. Zentrales Element: Die Dampfmaschine.

Wir schreiben das Jahr 1900. Königin Vicotria sitzt mit schwindender Gesundheit auf dem Thron von England, das viktorianische Zeitalter neigt sich dem Ende zu, die feinen Herren tragen Zylinder, die Damen Reifröcke, und die Unterschicht macht sich in den aufstrebenden Fabriken die Hände schmutzig. Der elektrische Strom wurde zwar kürzlich entdeckt, aber eigentlich sehen nur Visionäre, Eigenbrötler und Spinner darin Potenzial. Die treibende Kraft dieser Zeit ist Dampf.

Die Dampfmaschine als ästhetisches Zentrum einer Fantasiewelt

Dampflok
Die Eisenbahn mit ihren Dampflokomotiven war der Katalysator der industriellen Revolution: „[Der Dampfwagen eilt] durch die volkreichsten Straßen, ohne Gefahr für die Zuschauer dahin, eine völlige Umwandlung aller Weltverhältnisse versprechend und vorbereitend, denn mit Vogelschnelligkeit […] läuft er daher, alle Entfernungen auf den vierten Theil zusammenziehend, wie es die Dampfboote auf dem Meere thun.“ schrieb Carl Herloßsohn 1835 über die neumodische Erfindung.
Dampfloks bringen Reisende in fast schon halsbrecherischer Geschwindigkeit an ihr Ziel (manchmal explodieren sie auch unterwegs), Dampfschiffe verdrängen die Segelschiffe von den Ozeanen (oder versuchen es zumindest), moderne Hausfrauen nutzen Dampfdruckkochtöpfe (auch sie können spektakulär explodieren), Dampfmaschinen beheizen Bäder und Gewächshäuser, und manch mechanischer Webstuhl in den Fabriken wird mit einer Dampfmaschine angetrieben, bevor er von unzufriedenen Arbeitern in Trümmer gehauen wird.

Die Industrialisierung bringt umwälzende Veränderungen mit sich, und lässt ahnen, dass sie erst am Anfang steht. Was wird sie noch bringen? Wie geht es weiter? Wie haben sich Menschen der damaligen Zeit wohl die Zukunft vorgestellt? Das ist die zentrale Frage Steampunk-Bewegung.

Trotz vieler viktorianischer Anleihen bezieht sich Steampunk nicht auf eine Zeit, die tatsächlich existiert hat, sondern auf eine Fantasiewelt. Damit ist Steampunk dem Retro-Futurismus zuzuordnen, also einer Vorstellung der Zukunft aus der Perspektive der Vergangenheit.

Dampfmaschine Steampunk-Treffen Buxtehude
Im Geiste des Steampunk spielt die Elektrizität eine untergeordnete Rolle und findet sich eher als spirituelles Heilmittel und fast-magisches Wunderwerk. Als wahre Triebfeder der Innovation gilt die Dampfmaschine. FOTO: Christian Herrmann

Wie sähe die Welt heute aus, wenn der elektrische Strom in Vergessenheit geraten und die Industrialisierung weiterhin mit Dampf stattgefunden hätte. Gäbe es dampfbetriebene Computer? Dampfbetriebene Kanonen und Pistolen, dampfbetriebene Flugzeuge und Drohnen, Autos und Motorräder? Teleskope, Zahnbürsten, Telefone, Kühlschränke, Roboter, Waschmaschinen, Raumschiffe, 3D-Drucker, Mikrowellen und Zeitmaschinen – alles mit Dampf betrieben.

Steampunk kombiniert Erfindungen des heutigen Alltags mit solchen, die es in der realen Welt nie gegeben hat, und orientiert sich dabei an dem, was nach dem damaligen Stand der Technik theoretisch machbar gewesen wäre.

Steampunk-Maschinen sind fantastische Gebilde aus Kupfer, Messing und Holz, deren Funktionsweise möglichst offen gelegt wird, statt sie unter glatten Oberflächen zu verstecken. Denn: Steampunk „feiert die Ästhethik der Kolben, Bolzen und Zahnräder“ (Zitat Wikipedia) – die Dampfmaschine ist namensgebendes Element („steam“ engl. „Dampf“)  und ästhetisches Bindeglied der unterschiedlichen Steampunk-Strömungen.

Steampunk als Lebensgefühl

Wer sich für den Steampunk begeistert, baut und bastelt sich seine Ausrüstung meistens selbst – das Ergebnis sind Einzelstücke statt Massenware, Recycling statt Wegwerfkultur. Darin spiegelt sich auch ein Lebensgefühl wieder, das ein romantisiertes und idealisiertes viktorianisches Wertemodell mit Ideen wie Nachhaltigkeit und Do-it-Yourself-Mentalität verbindet.

Steampunk-Band
Band beim Steampunk-Treffen in BuxtehudeFOTO: Christian Herrmann

Auf Steampunk-Festivals trifft man auf feine Damen und kultivierte Herren, auf Erfinder und Freigeister, auf Gentleman-Gauner und fleißige Unterschicht-Arbeiter, auf Frauen in klassischen Männerberufen und Männer die stilvoll dem Müßiggang frönen. Sie alle verbindet ein ungeschriebener Kodex von Ehre, Höflichkeit, gegenseitiger Unterstützung und tief empfundener Wertschätzung von Individualismus, Kreativität und Handwerkskunst. Gerne unterstützen Steampunker lieber kleine, lokale Unternehmer, als große Internetkonzerne, viele haben ein Faible für Selbstversorgung und für die romantisch-funktionale Ausführung ihrer Ausrüstung.

Woher kommt Steampunk eigentlich?

Steampunk Paar
Exzentrisch-historischer Stil: Steampunk lebt von viktorianisch anmutendem Outfit mit vielen Anan

Die Wurzeln des heutigen Steampunk finden sich in den fantastischen Romanen von Jules Verne (1828-1905) und H. G. Wells (1866-1946). Vernes U-Boote und Luftschiffe, Wells‘ Zeitmaschine und Kampfroboter regten die Fantasie an (und tun es bis heute). Nachfolgende Autoren griffen diese Motive auf und kombinierten sie mit Abenteuerromantik, Science-Fiction und Krimi-Elementen.

Der Begriff „Steampunk“ ist hingegen erst 1987 entstanden. In Anlehnung als den gerade erst aufkommenden Cyberpunk schlug der amerikanische Horror- und Science-Fiction-Autor Kevin Wayne Jeter „Steampunk“ erstmals als Genrebezeichung für den „gonzo-historical“ (exzentrisch-historischen) Stil seiner eigenen Romane und der seiner Kollegen James Baylock und Tim Powers vor.

Steampunk-Mode: Elegant und extravagant

Steampunk
Eleganz und Extravaganz: Steampunk-Treffen in Buxtehude. FOTO: Christian Herrmann

So individuell wie ihre Maschinen, ist auch das Outfit von Steampunk-Anhängern. Basierend auf dem viktorianischen Kleidungsstil, hat sich längst ein eigener Modestil entwickelt: Japanische Lolita-Mode und amerikanische Cowboy-Kleidung hatten dabei ebenso Einfluss darauf, wie regionale Trachten oder Gothic-Mode.

Auf Steampunk-Treffen sieht man Frauen in Korsett und Reifrock, Corsage und Reithose. Männer tragen Frack und Zylinder, Anzug und Weste, und irgendwas zwischen Sherlock Holmes und Phileas Fogg. Mützen und Hüte sind nahezu unverzichtbar, vor allem der Zylinder steht hoch im Kunst. Echte Steampunk-Enthusiasten sind erst dann glücklich, wenn auch ihre Objekte und Kostüme auch eine echte Funktion haben: Zahnräder am Zylinder treiben einen Ventilator an, in der Schweißerbrille ist ein funktionierende Kompass eingebaut, und ein Uhrwerk öffnet und schließt den Reisekoffer.

Ein weiteres Must-have und so etwas wie ein Markenzeichen des Steampunk sind die großen, runden Brillen: Eine Nickel-, Schweißer oder Fliegerbrille gehört zu jedem Kostüm – egal, ob sie vor den Augen oder als Accessoire auf dem Kopf getragen wird. Gerne auch beides; zu viele Brillen geht gar nicht.

Gerne tragen Steampunker zudem Waffen und Accessoires. Schön verzierte Piratenpistolen, zierliche Damenrevolver, Brechstangen und Vorschlaghammer sind ebenso zu sehen wie elegante Gehstöcke, schicke Handtaschen, elegante Fächer und Schirme mit viel Spitze.

Steampunk
Man kann gar nicht genug Brillen tragen! Am liebsten groß, rund und am allerliebsten mit irgendeiner obskuren, nicht auf den ersten Blick erfassbaren Funktion. FOTO: Christian Herrmann

Der Fantasie sind so gut wie keine Grenzen gesetzt (außer ein paar rechtlichen, wenn es um das Tragen von Waffen  geht …): Diese gestalterische Freiheit macht den Charme einer Bewegung aus, die sich nicht an der Realität orientiert und dadurch keinen kreativen Zwängen unterliegt.

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