Nach zwanzig Jahren Ehe lässt ein Storchen-Hallodri seine Partnerin sitzen. Noch erstaunlicher: Für seine neue Liebe lässt er sogar sein Nest zurück.
Störche sind ausgesprochen treu – ihrem Eigenheim. Der erste Storch, der im Frühjahr aus dem Winterquartier zurückkommt, besetzt das bis zu zwei Meter große und kunstvoll geflochtene Nest aus Ästen und Gräsern. Wer zuerst da ist, hat nicht nur das Wohnrecht, sondern muss auch renovieren. Eifrig wird ausgebessert und auf das andere Geschlecht gewartet.
Störche sind ihrem Partner nur so lange treu, wie es ihnen in den Kram passt
Lange glaubte man, Störche seien sich ein Leben lang treu. Mittlerweile weiß man, dass sie zwar langjährige Beziehungen eingehen, einem schnellen Flirt oder Partnertausch aber nicht abgeneigt sind. Der oder die Erstbeste, der den Horst anfliegt, wird der Partner.
Das geht nicht immer ohne Dramen ab. Erwischt der Vorjahresliebhaber seine Ex in flagranti, setzt es Schnabelhiebe. Mitunter finden die alten Paare so wieder zusammen. Doch nicht immer gibt es dieses Happy End.
In Riedlingen, einer mittelgroßen Kleinstadt an der Donau, leben mehrere Storchenpaare. Sie sind so etwas wie das lebende Wahrzeichen der Stadt, an ihrem Schicksal wird rege Anteil genommen.
Das Storchenpaar vom Rathausdach galt lange als eines der ältesten Storchenpaare der Welt.Mehr als zwanzig Jahre lang teilten die beiden ein Nest, und das obwohl der Nachwuchs in den letzten Jahren ausblieb.
2009 feierte das Storchenweibchen seinen fünfunddreißigsten Geburtstag, ihr Long-time-lover den dreißigsten. Pünktlich packte den Herrn die Midlife-Crisis (obwohl er das „Mittelalter“ längst überschritten hat und schon lange zum alten Eisen gehört).
Riedlingen: Der Storchenopa und die junge Badenerin
2010 machte der Storchen-Methusalem die Fliege. Er ließ seine langjährige Gefährtin in ihrem Nest sitzen und ließ sich stattdessen mit einem vierundzwanzig Jahre jüngeren, badischen Storchenweibchen aus dem benachbarten Ertingen ein.
Die alte Störchin blieb in ihrem Nest und harrte der Dinge. Nach drei Wochen Singledasein hatte auch sie einen neuen Partner – einen munteren Zweijährigen.
Ihr neues Glück wurde jedoch nicht alt. Was da vorgefallen war, weiß keiner so genau, doch die Storchenoma wurde kurz darauf reichlich mitgenommen auf einer Wiese aufgefunden.
Schließlich wurde der Sorgenvogel zur Storchenstation am Affenberg bei Salem gebracht, wo die alte Dame jetzt ihren Lebensabend verbringen kann.
Ihr Ex hat inzwischen eine neue Familie gegründet – ein Umstand, über den Vogelfreunde und Storchenexperten gleichermaßen erstaunt sind, hatte man doch angenommen, dass der alte Herr längst seine Manneskraft eingebüßt hat. Und auch das Nest der alten Störchin ist wieder besetzt: Ein Storchenmännchen vom Illmensee hat sich hier mit einer Jungstörchin mit Helgoländer Ring niedergelassen und macht Riedlingen storchenmäßig überregional.
Die deutsche Storchenpopulation erholt sich allmählich
Der Weißstorch ist der einzige Großvogel, der sich freiwillig dem Menschen angeschlossen hat. Kein Wunder, dass er ein solcher Sympathieträger ist und eine geradezu mythologische Bedeutung bekam.
Als Symbol der Fruchtbarkeit sollten Störche die Babys bringen. Heute sind sie selbst wieder „in guter Hoffnung“: Nachdem ihre Zahl in den Nachkriegsjahren dramatisch sank, erholen sich die Bestände jetzt wieder.
1970 brüteten in Baden-Württemberg gerade noch fünfzehn Storchenpaare. Jetzt zeigen die Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen Wirkung: Allein in der Storchenstation am Affenberg brüten heute wieder zwanzig Storchenpaare. Insgesamt gibt es in Baden-Württemberg mehr als dreihundertfünfzig Brutpaare; rund viertausendfünfhundert sind es in ganz Deutschland.
Störche berühren Menschen – auch jene, die nur am Rande mit ihnen zu tun haben. Mit ihren roten Schnäbeln und Füßen, ihrem schwarz-weißen Gefieder und dem bedächtig-staksenden Gang sind sie ein Anblick, der erfreut. Kein Wunder, dass Einzelschicksale wie das der Riedlinger Storchenoma die Gemüter bewegen.
Damit Interessierte sich über sie und ihre Verwandten auf dem Laufenden halten können, hat das Regierungspräsidium Tübingen eine Karte mit Informationen zu den Störchen Oberschwabens zusammengestellt.
Sie wollen auch einen Storch im Garten? Wenn kein echter nisten will, tut es vielleicht auch ein Storchennest mit einer fast lebensgroßen Storchenfamilie.