Das Ritterturnier wurde als edler Wettstreit und Schaukampf ins Leben gerufen. Im 15. Jh. war davon nichts mehr zu spüren, und das Turnier nicht mehr als eine effektascherische Prügelei.
Einmal im Leben Ritter sein! Der gute natürlich, denn es gibt immer zwei davon: Einen armen, aber aufrechten Landmann, der es mit Charme oder Ehrgeiz zum Ritter gebracht hat, und ein degenerierter adeliger Bösewicht. Und beide konkurrieren um die Gunst derselben Dame. Um ihr Herz (oder wenigstens ihr Taschentuch) zu gewinnen, beweisen sie sich im edlen Wettstreit eines Turniers.
Die Auseinandersetzung geht über mehrere Runden, in denen der Held verletzt wird, weil der Schurke mogelt. Angeschlagen reitet der Held schließlich in den „Tjost“, den berittenen Zweikampf mit der langen Lanze.
Klingende Fanfaren. Glänzende Rüstungen. Stampfende Pferdehufe. Ritteraugen verengen sich zu Schlitzen. Auf ein unsichtbares Kommando hin preschen die schweren Schlachtrösser aufeinander los. Holzlanzen zerbrechen an Brustpanzern, ein Helm fliegt davon, und als sich die Staubwolke legt, liegt der Bösewicht am Boden, während der rechtschaffene Gewinner den Siegespreis seiner Herzensdame entgegennimmt.
Die Dame ist gerührt, der inkognito anwesende König ist beeindruckt und ergriffen, der Landmann, der doch noch kein echter Ritter war, wird zum Ritter aus Ehre geschlagen. Etc, etc, man kennt das aus Filmen.
Ritterlichkeit und Ehrgedanken: Die Entstehung des Turniers
Ein Blick in die reale Geschichte vermittelt anfangs ein beinahe ähnliches Bild: Im elften Jahrhundert etablierte sich das Rittertum, und an den europäischen Höfen setzten sich ein neuer Lebensstil und ein neuer Ethos durch. Kern der ritterlichen Lebensweise war die „mâze“ durch „zuht“ – das Maßhalten in allen Dingen, erreicht durch Erziehung und Selbstzucht.
Freundlichkeit, Demut, Großzügigkeit, Beständigkeit, Tapferkeit, Treue, Würde und ein heiteres Gemüt galten ebenfalls als ritterliche Tugenden. Das Turnier, das sich im Hochmittelalter aus den ursprünglichen Waffenübungen entwickelte, bot den Rittern die Gelegenheit, diese Tugenden unter Beweis zu stellen.
Als Erfinder des höfischen Turniers gilt der westfränkische Ritter Godefroi de Preuilly: Er soll maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, um 1066 aus den notwendigen Übungskämpfen der Ritter eine reine Zurschaustellung des Kampfgeistes und des Mutes („pro solo exercitio, atque ostentatione virium“) zu machen.
1688 beschreibt der Historiker und Philologe Charles de Cange das „Tourneamentum“ in seinem Glossarium, einem frühen Wörterbuch, als kriegerische Übung, die „nicht in feindseligem Geist ausgeführt“ wird („nullo interveniento odio“).
Auch ohne feindseligen Geist waren die Turniere lebensgefährlich. Vor allem im Tjost (Zweikampf) und im Buhurt (Gruppengefecht) endeten Gefechte oft blutig oder gar tödlich. Auch mit entschärften Waffen und verbessertem Regelwerk blieben die Turniere nicht ungefährlich.
Dennoch – oder vielleicht auch gerade deswegen – erfreuten sie sich zunehmender Beliebtheit und wurden bald mit Pracht und Prunk ausgerichtet. Der Ablauf folgte klaren Regeln und höfischer Etikette.
Moralische Ehre – finanzieller Ruin
Allmählich entarteten die Turniere. Um überhaupt teilnehmen zu können, war immer mehr Prunk nötig. Die Kosten für die vielfältige Spezialausrüstung trieb manchen Ritter in den finanziellen Ruin.
Ein Ausweg bestand im kommerziellen Lanzenbrechen: Die ersten Berufs-Turnierreiter traten auf den Plan und bekämpften sich für einen Lohn, der aus mehr bestand als aus dem Kuss oder dem Tüchlein einer holden Jungfrau.
Weil es kaum offizielle Siegesprämien gab, nutzten diese Ritter jede Möglichkeit, um an Geld zu kommen. So musste der Überwundene sein Pferd und seine Rüstung gegen ein hohes Lösegeld beim Sieger eintauschen; tat er das nicht freiwillig, wurde nachgeholfen. Viele Ritter führten Knechte mit, die mit eisenbeschlagenen Keulen auf Zahlungsunwillige einschlugen.
Die Turniere sanken auf das Niveau gemeiner Prügeleien herab. Wichtiger als die Pflege der ritterlichen Tugenden war die Wirkung auf das Publikum. Beim Turnier zu Ehren der Hochzeit König Kasimirs IV. von Polen (1447 – 1492) trugen die Ritter mit Rotwein gefüllte Schweineblasen unter ihren Rüstungen. Bei einem Lanzentreffer des Gegners sollten diese „einen Schwall roten Blutes“ über die Rüstung ergießen.
Adel verpflichtet? Der Niedergang der höfischen Etikette
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts endete die Zeit der großen Turniere allmählich. Der Glanz war dahin, die Veranstaltungen waren nur noch wüste Raufereien und eine überaus kostspielige Volksbelustigung. Was den Ehrenkodex angeht, hätten sich Godefroi de Preuilly und den ersten Rittern wohl die Nackenhaare aufgestellt.
1609 gibt Georg Engelhard von Löhneysen in seinem Werk „Wie man Jung vom Adel aufziehen soll“ noch einige Empfehlungen für das Verhalten beim Turnier. Als „alt Reiterstücklein“ rät er etwa, „ mit einem Streitkolben versehen, den anderen hinterrücks vom Roß“ zu schlagen oder dem Gegner mit dem Schwert um den Hals zu fallen und diesen beim Fortreiten „vom Roß hinab zu reißen“.
Neben ritterlicher Tugend war auch Reitkunst auf diesen Turnieren Mangelware. Die Pferde schleppten riesige Lasten, die schwer gepanzerten Recken standen mit gestreckten Beinen in hochlehnigen Stehsätteln ihrer wuchtigen Rösser. Beweglichkeit hatten Ritter in der Rüstung kaum – Einfluss auf sein Pferd nahmen sie mit langen Sporenspießen und martialischen Gebissen.
Heute erlebt das höfische Turnier auf Mittelalterveranstaltungen eine Rennaissance und zieht zuverlässig Schaulustige an. Nur selten wird dabei „getjostet“; einen Buhurt bekommen Zuschauer kaum je zu sehen.
Stattdessen wird wieder mehr Wert auf Reitkunst gelegt: In verschiedenen Disziplinen wie Ringestechen oder Lanzenwerfen messen sich die nobel gewandeten Ritter (und, historisch nicht ganz einwandfrei, auch Ritterinnen) und stellen Geschick und Können unter Beweis. Ganz nach der ursprünglichen Tradition des Ritterturniers wird dabei meist „nur“ um die Ehre geritten.
Große Ritterturniere mit Schauwettkämpfen, Festumzug, Tjost und Gauklerprogramm werden regelmäßig auf Schloss Kaltenberg in Oberbayern ausgetragen. Das Kaltenberger Ritterturnier wurde 1979 von Luitpold Prinz von Bayern initiiert und findet jedes Jahr an drei Juliwochenenden statt.