Vorurteile sind arm dran: Sie fallen dem Vorurteil zum Opfer, abwertend und negativ zu sein. Dabei kämen wir ohne sie kaum zurecht.
Vorurteile sind eine feine Sache, denn sie erleichtern das Leben ungemein. Die Neigung, Erlebtes in Kategorien zu verstauen ist angeboren. Neunzig Prozent des menschlichen Denkens und Fühlens sind, so schätzen Forscher, von Vorurteilen geprägt. Das ist an sich nichts Schlechtes, denn es hilft dem Gehirn bei der Arbeit.
Vorurteile erleichtern die Orientierung im Datennetz des Gehirns
Ungeheuere Datenmengen muss das Gehirn täglich verarbeiten. Das schafft es, indem es Gehörtes, Gesehenes und Erlebtes in „Schubladen“ steckt und die Inhalte der einzelnen Schubladen über Assoziationen miteinander verknüpft. Laufend werden neue Kategorien geschaffen; ein riesiges Netzwerk entsteht. Schubladendenken und Vorurteile vereinfachen die Komplexität, sparen Zeit und erleichtern die Navigation im Datendschungel.
Vorurteile entstehen aus Einzelbeobachtungen. Werden diese dann aufs Gesamte übertragen, verzerren sie das Bild. Weil Vorurteile von einem auf alle und von allen auf einen schließen, pauschalisieren und verallgemeinern sie. Auf diese Weise werden alle Schweizer zu gemütlichen aber pünktlichen Menschen, alle Frauen zu Quasselstrippen und alle Bayern zu Lederhosenträgern.
Weil ein Vorurteil fast immer ein komplizierter Mix aus wahr und falsch ist (es gibt ja tatsächlich quasselnde Frauen) ist ihm kaum beizukommen. Vorurteile sind in allen Bildungsschichten zu Hause und machen vor keiner sozialen Schicht halt. Wo sie haften, sind sie nicht mehr wegzukriegen. Mitunter werden sie sogar von einer Generation auf die nächste weitergegeben und werden auf diese Weise steinalt.
Vorurteile selektieren und pauschalisieren
Zwei Mechanismen greifen bei der Entstehung von Vorurteilen ineinander: Selektive Wahrnehmung und die Tendenz, zu generalisieren. Der Mensch sucht sich aus, was er sehen möchte, und das Gehirn passt das Gesehene und Erlebte an das Vorurteil an, anstatt umgekehrt: Eine schlecht einparkende Frau gießt das gängige Vorurteil in Beton, und hundert perfekte Parkerinnen können daran nichts ändern.
Der Bremer Sozialpsychologe Jens Förster fand vor einigen Jahren heraus, dass Vorurteile auch auf die Betroffenen selbst wirken. In Experimenten fand er heraus, dass Blondinen schlechter rechnen, wenn man ihnen vor dem Test Blondinenwitze erzählt, und dass es Männern am Wortschatz mangelt, wenn sie im Experiment mit diesem Klischee konfrontiert werden. Im Fahrsimulator stellten sich Frauen ungeschickter an, wenn sie zuvor ihr Geschlecht angegeben hatten.
Eine amerikanische Forschergruppe um die Sozialpsychologin Richeson machte Vorurteile sogar sichtbar: Mit Hilfe eines Magnetresonanztomografen wurden die Gehirnaktivitäten von Studenten gemessen, denen Fotos weißer und schwarzer Männer gezeigt wurden. Die Gehirnaktivitäten im präfrontalen Cortex, jenem Gehirnbereich, in dem Umweltreize kontrolliert und sortiert werden, waren dabei in bestimmten Arealen stärker als in anderen. Das Muster dieser Aktivitäten zeige, so die Interpretation der Forscher, dass die Versuchsteilnehmer beim Anblick Andersfarbiger versuchten, bestehende Vorurteile zu unterdrücken.
Der Implizite Assoziationstest deckt „Schubladendenken“ auf
Welche vorgefassten Meinungen und Vorurteile (Forscher sprechen lieber von „impliziten Assoziationen“) Sie selbst haben, können Sie beim Impliziten Assoziationstest (IAT) herausfinden. Dabei wird überprüft, mit welcher Geschwindigkeit Menschen bestimmte positive und negative Worte einem Bild (zum Beispiel Gesichter) oder einer Kategorie (zum Beispiel männlich/weiblich) zuordnen. Vereinfacht lässt sich sagen: Je stärker die Assoziation (das Vorurteil), desto kürzer die Reaktionszeit. Auf der Website der Harvard University finden Sie umfangreiche Hintergrundinformationen und deutschsprachige Demo-Tests.
Dabei zeigt sich, dass Vorurteile in beide Richtungen funktionieren und „Vorschusslorbeeren“ nichts anderes als ins Positive gekehrte Vorurteile sind. Was wiederum zeigt, dass wir auch dem Vorurteil gegenüber Vorurteile haben: Wer von einem „Vorurteil“ spricht, verwendet das Wort fast immer negativ. Obwohl – vielleicht ist auch das nur eine Vorurteil.