Der Schreck­sen­meis­ter und das Ver­lies der sinn­­lo­sen Kü­chen­­geräte

Mannigfaltige Gefahren, verschrobene Legastheniker-Käuze und ge­koch­te Ge­spens­ter machen Walter Moers „Schrecksenmeis­ter“ zu einem spannenden Lese­aben­teuer.

Es gibt ihn in jeder besser eingerichteten Küche – jenen dunklen, unheimlichen Ort, in dem stets staubiges Durcheinander herrscht. Dort, im Ver­lies der sinnlosen Küchengeräte, lauern sie, die gräss­lichs­ten Ungetüme, die je ein mensch­li­cher Geist er­sann: Die Kohl­rabi­saft­quet­sche, die viereckige Pfann­ku­chen­pfanne, das Ra­dies­chen-Miniatur­rosen-Schnitz­gerät und jenes ominöse Kartoffel­folter­werkzeug, mit dem sich der arme Erdapfel in eine fünf Meter lange Spi­rale verwandeln lässt.

Walter Moers und die einzig gerechte Strafe für eine Kohlrabisaftpresse

Auch Eißpin, seines Zeichens Schrecksen­meis­ter von Sledwaya, der ungesun­des­ten Stadt von ganz Zamonien, hat ein solches Verlies, und es ist bis oben­hin voll mit Dingen, die er „in einem Augenblick geistiger Umnachtung auf dem Wochen­markt erworben“ hat. Und er erklärt Echo, seines Zeichens sprechendes Krätz­chen, das bis zu seinem vorzeitig geplanten Tod in den Genuss von Eißpins kuli­nari­scher Gastfreundschaft kommt, wa­rum man Avocadoteiler, Honiglöffel & Co trotz ihrer erwiesenen Nutz­losig­keit auf­hebt.

Kurzweilige Lektüre zum Abtauchen: „Der Schrecksenmeister“ von Walter Moers.

„Nun fragt man sich, warum man diese Geräte nicht einfach auf den Müll schmeißt? Ich sage dir auch das. Man behält sie aus einem einzigen Motiv: aus Rache! Man hält sie, wie mittelalterliche Fürsten ihre Gegner als Gefangene in Hungertürmen gehalten ha­ben. Der schnelle Tod auf der Müllhalde wäre zu gnädig. Nein, sie sollen in einem dunk­len Verlies schmachten, zu ewiger Untätigkeit verdammt. Nur das ist die einzig ge­rech­te Strafe für eine Kohlrabisaftpresse.“

Und dann wirft Eißpin angewidert das Küchenschranktürchen in seiner Schlossküche zu und beendet damit eine der schönsten Szenen im „Schrecksenmeister“. Eine Szene, die wohlgemerkt keine weitere Bedeutung für die Handlung hat. Und zugleich eine Sze­ne, in der Walter Moers, seines Zeichens erfolgreicher und ausgesprochen me­dien­scheu­er Verfasser des Schrecksenmeisters, spürbar wird. Hier zeigt sich jener Mann, der sich so erfolgreich zu verbergen weiß – wer die Augen schließt und die Worte auf sich wirken lässt, sieht Walter Moers vor sich, wie er vor dem Bildschirm sitzt und mit diebischer Freude eine Rache-Ode an seine Kohlrabisaftpresse schreibt.

Der Schrecksenmeister, eine kranke Stadt und ein klapperdürres Krätzchen

Übertrieben, finden Sie? Mag sein, doch das ist bestimmt Walter Moers’ Schuld. Denn wie schon in seinen früher erschienenen Zamonien-Romanen „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“, „Die Stadt der träumenden Bücher“ und „Rumo“ nimmt auch „Der Schrecksenmeister“ seine Leser mit in eine Welt, in der die Fantasie mit dem Tempo eines hochtrainierten Vollblut-Rennpferdes durchgeht.

Das beginnt schon auf der ersten Seite, wenn man bei der Aufzählung all der Krank­hei­ten, Unbillen und Widrigkeiten, die den Bewohnern von Sledwaya das Dasein ver­mie­sen, ein lei­ses Kratzen im Hals zu spüren glaubt. In dieser Stadt, in der sich die Häuser „an­ei­nan­der­leh­nen wie Schwindsüchtige“, ist nur einer glücklich: Eißpin, der sehr Schreck­li­che, dem nur noch ein Ingredienzium für den Zaubertrank fehlt, mit dem er die Herrschaft über die ganze zamonische (und vielleicht sogar außerzamonische) Welt antreten kann: Krätzchenfett.

Unglücklicherweise zählt das Krätzchen (eine Katze, die sprechen kann) in Sledwaya zu den bedrohten Arten. Nur noch ein Einziges ist übrig geblieben, und selbiges hat kein Gramm Fett am Körper. Im Gegenteil – der verwaiste „Echo“ steht kurz vor dem Hungertod, als der Schrecksenmeister ihn in einer düsteren Gasse aufgabelt und ihm ein Angebot macht, das er nicht ausschlagen kann.

Der Schrecksenmeister – ein kurzweiliger Lesespaß

Und so lässt sich Echo auf einen Deal ein: Einen Monat lang, bis der Schrecksenmond voll am Himmel steht, will Eißpin das Krätzchen hegen und pflegen, verwöhnen und auf allerhöchstem kulinarischm Niveau mästen. Echos Gegenleistung: Fressen, sich ver­wöhnen lassen und einen ganzen Monat lang im gustatorischen Paradies leben, be­vor der Schrecksenmeister ihm das Fett auskocht, was unglücklicherweise Echos Tod zur Folge haben wird.

Schon nach kurzer Zeit in Eißpins Schloss macht sich Echos Überlebenswille be­merk­bar, und das Krätzchen denkt an das Undenkbare: Er will den hieb- und stich­fes­ten al­chimistischen Kontrakt brechen und aus der Burg fliehen. Das ist ei­gent­lich völ­lig un­mög­lich und wäre es auch – wären da nicht ein schüchternes, ge­koch­tes Gespenst, ein ein­äugiger Schuhu mit Sprachschwierigkeiten, das Goldene Eich­hörn­chen, Sled­wa­yas letzte Schreckse, die liebestolle Izanuela Anazazi, und die reich­lich un­sym­pathi­schen aber doch sensiblen Ledermäuse.

Sie alle versprechen dem Krätzchen mehr oder weniger eigennützig eine Verlängerung seines Lebens und garantieren dem Leser ein kurzweiliges Lesevergnügen, das nach mannigfaltigen, turbulenten Abenteuern, 377 Seiten und vielen liebevollen Abbildungen ein Ende findet. Ob es ein glückliches ist? Lesen Sie es selbst! 

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