Markus Zusaks „Bücher­diebin“ und der Tod als brillan­ter Er­zähler

Über den Tod wurden viele Geschichten geschrieben. Doch sel­ten eine, die so intim und berührend ist. Denn es ist der Tod selbst, der in der „Bücherdiebin“ erzählt.

Liesel Meminger ist neun, als sie bei der Be­er­digung ihres Bruders ihr erstes Buch stiehlt, und ohne lesen zu können, der Macht und dem Zau­ber von Worten verfällt. Doch auch wenn die Bü­cher­diebin ihre Geschichte später auf­schreibt, so wird sie doch nicht von ihr er­zählt, sondern von einem treuen Begleiter ihres Lebens: Dem Tod.

„Eine kurze Bemerkung am Rande: Ihr werdet sterben“

Tanzen mit dem Tod: „Die Bücher­diebin“ von Markus Zusak.

… warnt dieser Erzähler den Leser bereits auf der ersten Seite, und stellt klar: „Ich bin nicht gewalttätig. Ich bin nicht bösartig. Ich bin das Ergebnis. (…) Irgendwann einmal werde ich über euch allen stehen, so freundlich, wie es mir möglich ist. Eure Seelen werden in meinen Armen liegen. Auf meiner Schulter wird eine Farbe ruhen. Sanft werde ich euch davontragen.“

Der Tod trägt viele davon in der Geschichte der Bücherdiebin Liesel Meminger. Auf Deutschland fallen Bomben, und die Menschen sterben in Schützengräben, Luft­schutz­kellern und Vernichtungslagern. Zusak lässt den Tod mit großer Klarheit und manch­mal schockierender Direktheit erzählen. Er lässt ihn achtsam, voller Anteilnahme und Mit­gefühl, aber ohne jede Sentimentalität erzählen. Er lässt ihn eigenwillig ver­win­kelt er­zäh­len, mit Rand- und Zwischenbemerkungen, und auf todernste Weise witzig. Zusaks Tod präsentiert sich als brillanter Erzähler und feiner Beobachter. Nur eins ist er nicht: Nett.

„Bitte verlangt nicht von mir, nett zu sein. Nett zu sein ist mir völlig fremd“

Liesel Meminger, Tochter eines toten Vaters und Schwester eines toten Bruders, be­rührt den Tod auf eine Weise, die für ihn schwer auszuhalten ist. Denn „die Über­le­ben­den sind es, deren Anblick ich nicht ertrage, und in meinem Bemühen, sie nicht an­zu­se­hen, versage ich häufig. Ich konzentriere mich absichtlich auf die Farben, um die Über­le­ben­den aus meinen Gedanken zu verbannen, aber hin und wieder werde ich Zeuge, wie die Zurückbleibenden zwischen den Puzzlestücken der Erkenntnis, Über­ra­schung und Verzweiflung zusammenbrechen.“

„Die Bücherdiebin“ ist die Geschichte einer solchen „Expertin im Zurückbleiben“. Nur eine von vielen Geschichten, die der Tod bei sich trägt, und von denen jede „ein Ver­such ist – ein ungeheuer mächtiger Versuch –, mir zu beweisen, dass ihr und eure menschliche Existenz es wert sind.“

Rosa Hubermann und die Zärtlichkeit der Beschimpfung

Liesel Memingers Geschichte beginnt mit Verlusten: Sie verliert ihren Bruder an den Tod und ihre Mutter an den Krieg. Liesel Memingers Geschichte beginnt mit einem Gewinn: Dem Trost ihres ersten gestohlenen Buchs (ein Handbuch für Totengräber) und der Ankuft bei ihren Pflegeeltern Hans und Rosa Hubermann in Molching bei München.

Hans Hubermann, von Beruf Anstreicher, ist ein freundlicher, bedächtiger Mann, der nie auffällt. Er spielt Akkordeon, hat „Augen, die aus Freundlichkeit gemacht sind und aus Silber“, bringt Liesel das Drehen von Zigaretten bei und wird ihr Halt in einer Welt, in der nichts haltbar ist.

Rosa Hubermann ist 1,55 Meter groß, kocht scheußlich und besitzt eigentlich nur ein Talent: Zu wüten. Sie flucht heftig und so maßlos, dass sie nicht nur die Nachbarn, sondern auch den Leser vor den Kopf stößt. Jedes zweite Wort ist „Arschloch“, und wenn sie Liesel als „dreckiges Schwein“ und „Saumensch, du dreckiges“ beschimpft, weicht wohl mancher Leser erschrocken zurück.

Und dennoch gelingt Markus Zusak hier ein sprachliches Kunststück: Er gibt den sprö­den, auf Papier gedruckten Buchstaben eine Stimme mit, in der Rosa Huber­manns hilflose Zärtlichkeit und Liebe zu Liesel mitschwingen, und aus dem „Sau­mensch“ ein Kosewort machen, das beim Lesen bald ein Lächeln auslöst.

Liesels Kindheit in den frühen Kriegsjahren ist geprägt vom Glück einer ersten un­schul­digen Liebe zum Nachbarsjungen und von der ständigen Angst vor einem Bomben­angriff. Als die Hubermanns den jüdischen Faustkämpfer Max Vandenburg im Keller verstecken, bekommt die Angst ein neues Gesicht, und „Die Bücherdiebin“ eine neue Schärfe.

Die Bücherdiebin: Große Tragödien, kleines Glück und ein berührendes Lese­erlebnis

Der 1975 geborene und in Sydney lebende Markus Zusak hat den Krieg nicht miterlebt – und schildert ihn dennoch auf eine Weise, die unter die Haut geht. Es ist eine dunkle Geschichte, in der trotzdem viel Zärtlichkeit steckt, und in der die große Tragödie des Krieges Hand in Hand geht, mit dem kleinen Glück eines gestohlenen, perfekten Au­gen­blicks.

Mit einer Wortgewalt in der zugleich viel Kargheit liegt, spannt Zusack die Oberfläche seiner Geschichte so sehr, dass ein Eintauchen nicht mehr möglich scheint. Und zer­bricht diese Spannung mit einem einzelnen Satz, der den Leser im Eiswasser ver­sin­ken lässt. Zusak erzählt auf eine Weise vom Krieg, die berührt und betroffen macht – nicht obwohl, sondern weil er nie den Zeigefinger hebt, um mit dünnen Worten mo­ra­lisch zu bewerten, was sich Worten entzieht.

Mit der „Bücherdiebin“ ist dem jungen Schriftsteller ein kraftvolles und eindringliches Buch gelungen, das nach dem Erscheinen 2005 nicht umsonst von Lesern und Kritikern gleichermaßen begeistert aufgenommen wurde, und mit dem sich Markus Zusak als großartiger Erzähler beweist.

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