Burgen der Schwäbischen Alb: Schloss Lichtenstein bei Reutlingen

Wenn eine Burg die Bezeichnung „Märchenschloss“ verdient hat, dann Schloss Lichtenstein am Albtrauf bei Reutlingen. Immerhin verdankt sie ihre Existenz einem Dichter und Märchenautor der Romantik.

1826 schrieb der schwäbische Märchendichter Wilhelm Hauff seinen ersten Roman. „Lichtenstein“ handelt von einem (frei erfundenen) verarmten Landadeligen, der sich die Ehe mit seiner Geliebten Marie von Lichtenstein verdienen möchte. Dafür zieht er in den Krieg – erst für den Schwäbischen Bund und gegen Württemberg, dann andersrum. Auf seiner Reise nach Schloss Lichtenstein wird er verwundet, gesund gepflegt, windet sich aus Schwierigkeiten, verhält sich mal mehr, mal weniger gewitzt und heldenhaft und darf am Ende seine Angebetete zum Altar führen.

Schloss Lichtenstein – eine Burg aus einem Buch

Wilhelm Hauff Cover Lichtenstein, Wikimedia
Das Cover von Wilhelm Hauffs Roman „Lichtenstein“.

Eine weitere Hauptfigur ist der (real existierende) geächtete Herzog Ulrich, welcher auf der Flucht vor dem Schwäbischen Bund zeitweilig Unterschlupf in der spätmittelalterlichen Burg Lichtenstein und der benachbarten Nebehlhöhle gefunden haben soll.

Mit „Lichtenstein“ schrieb Hauff einen der ersten historischen Romane Deutschlands und war Mitbegründer einer literarischen Gattung, in der fiktionale Charaktere und deren ebenso fiktionale Lebensgeschichte mit einem echten historischen Hintergrund kombiniert und ohne den Anspruch der geschichtlichen Exaktheit mehr oder weniger realitätsnah miteinander verknüpft werden.

Doch der Einfluss des romantischen Werks ging über die Welt der Literatur hinaus. Einer der Leser war Wilhelm Graf von Württemberg, Vetter des Königs und späterer Herzog von Urach. Dieser hegte großes Interesse für mittelalterliche Geschichte, und war ein glühender Fan von Hauffs Roman.

Schloss Lichtenstein
Frappiernde Ähnlichkeit: Schloss Lichtenstein am Albtrauf wurde von einem Roman und einem Buchcover inspiriert.

Er war außerdem ein leidenschaftlicher Sammler von Waffen, Rüstungen und Gemälden – für ihre stilvolle und sichere Aufbewahrung wollte er eine möglichst authentische Ritterburg erwerben.

Auf dem Cover von Wilhelm Hauffs „Lichtenstein“ fand Graf Wilhelm, was ihm vorschwebte. Seine Begeisterung ging so weit, dass er das Gelände der ehemaligen Burg Lichtenstein erwarb und das Forst- und Jagdhaus abreißen ließ, das zur damaligen Zeit dort stand.

Auf den Grundmauern der alten Burg ließ Wilhelm zwischen 1840 und 1842 das heutige Schloss Lichtenstein bauen – nach den Plänen von Carl Alexander Heideloff, welche sich am Roman von Hauff orientierten und viele Ideen und Anregungen des Grafen selbst enthielten.

Huldigung an das Mittelalter

Zugbrücke Schloss Lichtenstein
Zugbrücke muss sein! Graf Wilhelm wollte eine möglichst authentische Burg, in der seine Kunstschätze im Zweifelsfall auch vor einem ernsthaften Angriff feindlicher Truppen geschützt waren.

Entstanden ist ein Schloss, das den gängigen, romantisierenden Vorstellungen entsprach, die Menschen im 19. Jahrhundert von mittelalterlichen Ritterburgen hatten. Graf Wilhelm wollte damit nicht nur einen persönlichen Zweitwohnsitz schaffen, sondern auch ein „patriotisches Denkmal für das Haus Württemberg“ und eine „Huldigung an das Mittelalter“.

Der neugotische Baustil wurde auch im Innenbereich konsequent durchgezogen: Es gibt so viele Gemälde, Wandmalereien, Kassettendecken, Ornamente und reich verzierte Möbel, dass Gehirn und Augen gut beschäftigt sind, um die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Die Innenräume sind nur mit einer Führung zu besichtigen – diese lohnt sich auf alle Fälle.

Schloss Lichtenstein Eugenienturm
Schloss Lichtenstein im Winter. Im Eugenienturm waren früher die Pferdeställe untergebracht.

1867 ließ der Graf, welcher mittlerweile zum Herzog von Urach erhoben worden war, die Außenanlagen von Schloss Lichtenstein erweitern. Der passionierte Artillerieoffizier ließ nach eigenen Plänen die Vorburgbefestigungen ausbauen: Es entstand eine Festungsanlage mit vier Türmen und Kaponnieren (ein vorstehender, gedeckter Gang im Festungswall, von dem aus Angreifer auf der Sohle des Burggrabens beschossen werden können), ein Graben um die Vorburgmauer und eine Zugbrücke. In den Bastionen wurden Kanonen aufgestellt.

Bis 1908 wurde Schloss Lichtenstein um weitere Nebengebäude ergänzt. Neben der Kernburg am Felsabbruch gehören heute Gero- und Fremdenbau, Fürsten- und Ritterbau, Augustenturm, Marienturm, Eugenienturm, Mathildenturm und der romantische Schlosshof zum Schloss Lichtenstein.

Augustenturm Schloss Lichtenstein
Im Augustenturm oder Kanonenturm sind Geschütze ausgestellt.

Trotz der vielen Gebäude und der Größe der Anlage wirkt diese überraschend klein – das mag an der teilweise verschachtelten Bauweise und/oder an der exponierten Lage direkt am Felsabbruch liegen. Dieser wurde übrigens von Hand noch weiter abgetragen, um den Abgrund noch spekatkulärer wirken zu lassen, als er ohnehin schon ist.

Schloss Lichtensteins Geschichte reicht bis ins Mittelalter

Alte Burg Lichtenstein
Viel ist nicht mehr übrig von der alten Burg Lichtenstein, etwa einen halben Kilometer südöstlich des heutigen Schlosses.

Auch wenn Schloss Lichtenstein heute ein wenig „unecht“ wirkt, hat es doch eine Geschichte, die tatsächlich bis ins Mittelalter zurückreicht. Bereits um 1100 befand sich etwa einen halben Kilometer entfernt die Burg der Herren von Lichtenstein. Diese wurde 1381 im Schwäbischen Städtekrieg zerstört – von der Alt-Lichtenstein sind heute nur noch einige Mauerreste vorhanden.

1390 wurde die Neue Lichtenstein auf dem Felsen über dem Echaztal gebaut. Sie galt als eine der wehrhaftesten Burgen des Spätmittelalters und hatte nicht nur dekorativen, sondern auch strategischen Wert. 1567 verlor die Burg ihren Status als Herzogsitz und wurde als Forsthaus genutzt; im Laufe der Zeit verfiel sie zunehmend.

Als 1687 der letzte Lichtensteiner im Kampf gegen die Türken fiel, starb das Geschlecht aus – das Wappen mit dem goldenen Engelsflügel auf blauem Grund ist heute im Rittersaal zu finden.

Schloss Lichtenstein
Schloss Lichtenstein vom gegenüberliegenden Traifelberg aus gesehen. Der Albabbruch umrahmt hier das obere Echaztal. Die Felsen am Traifelberg bieten einen grandiosen Ausblick auf Reutlingen und die Lichtenstein, vor allem, wenn diese von der Morgensonne angestrahlt wird. FOTO: Christian Herrmann

1802 wurden Teile der Burgruine abgetragen und auf ihren Mauern das Forst- und Jagdhaus errichtet, das Graf Wilhelm knapp vierzig Jahre später abreißen ließ, um Platz für das heutige Schloss Lichtenstein zu schaffen.

Schloss Lichtenstein besuchen

Schon kurz nach seiner Erbauung weckte Schloss Lichtenstein das Interesse der Öffentlichkeit. Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Grafen und seines Architekten Heideloff erschienen mehrere Publikationen mit Bildern des Schlosses. In Kombination mit Hauffs erfolgreichem Roman „Lichtenstein“ machten sie die Burg populär und lockten Besucher aus  dem In- und Ausland und aus allen Gesellschaftsschichten an.

Schloss Lichtenstein: Hauptburg mit Wilhelmsturm, Mathildenturm, Fürstenbau, Tor und Ritterbau.
Schloss Lichtenstein: Hauptburg mit Wilhelmsturm, Mathildenturm, Fürstenbau, Tor und Ritterbau sind in verschiedenen Bauphasen zwischen 1840 und 1908 entstanden. Stilistisch wurde beim Bau der neueren Gebäude darauf geachtet, dass sie sich in die historische Anlage einordenen. So entstand ein homogenes und stimmiges Gesamtensemble, das schon kurz nach der Fertigstellung Besucher anlockte.

In den erhalten gebliebenen Besucherbüchern finden sich Einträge von Königin Mary von Großbritannien und Irland (eine geborene Fürstin von Teck), Fürst Albert I. von Monaco, Mitgliedern der württembergischen Königsfamilie und dem Offizier und Luftschiff-Bauer Ferdinand Graf von Zeppelin.

Abenteuerpark Lichtenstein
Elf Parcours mit mehr als 230 Stationen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden: Im Abenteuerpark am Schloss Lichtenstein kommen Anfänger und Kletterprofis voll auf ihre Kosten.

Bereits 1911 gab es Überlegungen, wie Besuchern der Zugang zur Burg erleichtert werden könnte. Der Bau einer Seilbahn von Honau zum Forsthaus Lichtenstein wurde diskutiert, aber aufgrund von Protesten der Naturschützer wieder verworfen. Eine Seilbahn sei ebenso überflüssig wie hässlich, fanden diese und setzten sich damit auch durch.

Heute ist Schloss Lichtenstein gut mit dem Auto erreichbar – ein großer (gebührenpflichtiger) Besucherparkplatz steht etwas unterhalb des Schlosses zur Verfügung. Dort befinden sich auch zwei Gaststätten sowie ein Kletter- und Abenteuerpark, der sportlichen Besuchern den Aufenthalt in den Baumwipfeln ermöglicht. Plattformen in bis zu achtzehn Metern Höhe, Seilrutschen und ein Sprung über acht Meter sind dabei nichts für schwache Nerven.

Unweit von Schloss Lichtenstein findet sich mit der Nebelhöhle (in der sich angeblich der flüchtige Herzog Ludwig versteckt hielt) eine weitere Attraktion der Schwäbischen Alb: Die gut vierzig Meter tiefe Tropfsteinhöhle soll ein Verbindungsportal zwischen Ober- und Unterwelt sein. Der größte Tropfstein der Höhle, ein mehr als viereinhalb Meter hoher Stalagnat, der Höhlendecke und -boden verband, wurde 1961 abgesägt und entfernt. Der in Scheiben geschnittene Tropfstein wurde für die Restaurierung der im Zweiten Weltkrieg beschädigten Schmuckfelder in der Wandverkleidung das Neuen Schlosses in Stuttgart verwendet. Die Höhle kann selbständig besichtigt werden.

Lust auf noch mehr Burgen? Dann stöbern Sie in unserer Übersicht der vorgestellten Burgen und Schlösser auf der Schwäbischen Alb.

 

 

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