Die Kehrwoche: Geschichte einer schwä­bischen Institu­tion

Samstags kehren Schwaben den Dreck vor ihrer Tür weg, selbst wenn es Kröten hagelt. Warum? Weil man eine 500 Jahre alte Gewohnheit nicht einfach wegfegt.

Als Eberhard im Bart, erster Herzog von Würt­tem­berg, seine Residenz nach Stuttgart ver­leg­te, stank ihm einiges in seiner Hauptstadt ganz gewaltig und zwar im wahrsten Sinn des Wor­tes. Auf den Straßen suhlten sich Schweine, der Abfall türmte sich, tote Ratten verwesten. Und sehr zum Verdruss des Herzogs trans­por­tierte der Nesenbach Fäkalien und Dreck direkt aufs Rad der Schlossmühle.

1492: ein historisch bedeutendes Jahr für Schwaben

Das Kehrwochen-Schild hängt auch heute noch in vielen Mietshäusern und erinnert an Pflichten.

„Ist wohl bedacht, allen Gestank und Unrat, so aus der Stadt käme, soll ich in dem Haus und Garten haben?“, wetterte Eberhard, fuhr mit eisernem Besen ins aufräumfaule Volk und führte die Kehrwoche ein. Das war 1492, und während am anderen Ende der Welt ein spanischer Seemann Indien nicht fand, wurden die Schwaben dazu verdonnert, einmal in der Woche ihren Müll vor die Stadt zu bringen und die Straße vor ihrer Haustür gründlich zu fegen.

1988 wurde die Kehrwoche offiziell abgeschafft, doch fünfhundert Jahre Alltagskultur lassen sich nicht mir nichts, dir nichts abschaffen. Auch wenn sie ursprünglich keiner außer Eberhard wirklich wollte, ist die Kehrwoche doch längst eine feste Institution, und viele Schwaben halten sich strikt daran. Vom Rest der Bundesbürger ernten sie Spott, wenn sie jeden Samstag mit grimmiger Entschlossenheit den Besen schwingen, selbst wenn ein Herbststurm ihre Bemühungen sofort zunichte macht.

Die Kehrwoche und das königlich verordnete Denunziantentum

Christl Hirner vom Besenmuseum „Besenwelten“ in Günzburg weiß, dass es bei der Kehrwoche aber ohnehin nicht nur um saubere Straßen ging. „Unter dem Württem­ber­gi­schen König war Arbeiten Pflicht“, erklärt sie. „Wer sich auf die faule Haut legte, wurde bestraft. Und wer Saumselige nicht anzeigte, musste ebenfalls mit Strafe rechnen. Das samstägliche Kehren war ein klares Signal, dass gearbeitet wurde.“ Man fegte aus Bürgerplicht und um sich vor Verruf, übler Nachrede und Denunziation zu schützen. Und man legte Wert darauf, beim Fegen gesehen zu werden – deswegen wurde vor dem Haus gründlicher und ausgiebiger gekehrt, als im Hinterhof.

Dass die Kehrwoche auch heutzutage noch eine ernstzunehmende Angelegenheit ist, zeigt schon der Umstand, dass es keine Verniedlichungsform dafür gibt. In einem Land, in dem Fremde mit einem herzlichen „Grüß Gottle“ willkommen geheißen werden, spricht niemals jemand vom „Kehrwöchle“. Vielerorts in Baden-Württemberg ist die Kehrwoche nach wie vor fester Bestandteil des Mietvertrags, und ihre Einhaltung wird teilweise penibel überwacht. In Mehr­parteien­häusern ist es durchaus üblich, dass das Schildchen mit der Aufschrift „Kehrwoche“ im Haus zirkuliert und von Tür zu Tür wan­dert. Wer schludert oder gar durch Pflicht­vergessenheit unangenehm auffällt, setzt nicht nur sein Ansehen, sondern auch den Hausfrieden aufs Spiel.

Kehrwochen-Kurse sollen die Integration von Nichtschwaben erleichtern

Ein „Kehrwochen-Kompaktkurs auch für Nichtschwaben“ der VHS Calw versprach vor einigen Jahren Hilfe. Im Kurs erlerne man den richtigen Umgang mit Besen und Kud­der­schaufel (Kehrblech) und sei nach erfolgreicher Absolvierung in der Lage, selb­stän­dig ein Stück Straße zu kehren. Das erleichtere die Integration im Schwa­ben­land, hieß es. Kursinhalt sei neben einer theoretischen Einführung in die his­to­risch-so­zio­logische Bedeutung der Kehrwoche auch eine Materialkunde sowie „das Erlernen der wesent­lichen Griff-, Halte-, Schwung- und Schrubbtechniken“. Mit­zu­brin­gen seien Kittel­schürze, Kopftuch und ein Rundholz für Griffübungen. Wer den Kurs erfolgreich absol­viere, dürfe an einer Exkursion in ein schwäbisches Dorf teil­nehmen, wo er „die im Kurs erlernten Techniken in der authentischen Atmosphäre eines Samstag­vormittags in der professio­nel­len Anwendung“ beobachten könne.

Klingt wie ein Aprilscherz und sollte auch einer sein, das hätte spätestens der Kurs­be­ginn am 1. April deutlich machen sollen. Doch trotz des überzogenen Ankündi­gungs­tex­tes und einer stolzen Kursgebühr gab es mehr als hundert ernst­ge­mein­te Anmeldun­gen. Drei Ortsverwaltungen baten um Platzreservierung für ihre Ge­mein­de­ar­beiter. Der Leiter der VHS wollte die vielen Lernwilligen nicht ent­täu­schen und führte den Kehrwo­chen-Unterricht tatsächlich durch. Was darin genau gelehrt wurde und ob die zahl­rei­chen, im Volksglauben überlieferten Kehrvorschriften und Kehr­verbote ebenfalls Be­ach­tung fanden, ist allerdings nicht bekannt.

 

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