Nachts schwirren Mottenschwärme ins Zimmer? Ameisen überrennen die Küche? Silberfische das Bad? Früher hätte man die Biester exkommuniziert.
Nicht jeder mag es, wenn die Spatzen von den Dächern pfeifen. Ein Dresdner Pfarrer etwa, regte sich 1559 so über das „verdrießlich große Geschrei“ der Sperlinge auf, dass er die dreisten Vögel, die es gewagt hatten, seinen Gottesdienst zu stören, kurzerhand exkommunizierte.
Die Exkommunikation von Tieren richtete sich gegen den Teufel
Der Spatz war nicht das einzige Tier, das exkommuniziert wurde, weil es die Andacht störte. Als um 1124 die Kirche von Foigny geweiht wurde, fielen Fliegen in ungewöhnlich großer Anzahl über die Messebesucher her. Der Heilige Bernhard von Clairvaux (1090 bis 1153), welcher die Messe hielt, erledigte sie im Handumdrehen, indem er sie bannte.
Anders als die Spatzen, überlebten die Fliegen die kirchliche Exkommunikation (excommunico eas) nicht. Am nächsten Tag lagen die Tiere allesamt tot am Boden des Gotteshauses und konnten weggeschaufelt werden. Nach Zeitzeugenberichten erlagen sie der Verfluchung (maledictio) des Kirchenmanns. Möglicherweise auch einem plötzlichen Kälteeinbruch, denn die Episode spielte sich im November ab. Weil der Teufel auch „Beelzebub“ heißt, und weil das „Herr der Fliegen“ bedeutet, war Bernhards Sieg über das Ungeziefer auch ein symbolischer.
Für gewöhnlich richtete sich so ein Kirchenbann nicht gegen einzelne tierische Individuen, sondern gegen die ganz Art. Seuchen und Landplagen sollten so eingedämmt werden: Frösche, Heuschrecken, Raupen, Käfer oder Ratten waren Ziel solcher Maßnahmen.
Offiziell angeklagt und verbannt: Maikäfer und Blutegel
Erzbischof Ecbert von Trier verfluchte im zehnten Jahrhundert die Schwalben, welche die Stiftskirche mit ihren Exkrementen verunreinigten. 1451 wurde in Lausanne gegen die Blutegel im Genfersee ein förmliches, geistliches Strafverfahren angestrengt. Die teuflischen Blutsauger erhielten einen Klagebescheid, wurden vorgeladen und hochoffiziell ausgewiesen. Die widerspenstigen Biester ignorierten das Urteil. Drei Mal wurden die Blutegel verwarnt, bevor sie wegen Ungehorsams gegen die Kirche verflucht wurden. Blutegel, die der Ausweisung nun noch immer keine Folge leisteten, wurden von Stund an erbarmungslos totgeschlagen.
Ähnlich verstockt waren auch die Maikäfer von Avignon. Trotz großzügig gewährter Fristen verweigerten sie den Abzug aus der Region und warteten so lange, bis das Kirchengericht sie exkommunizierte, von den Bäumen schütteln und an die Hühner verfüttern ließ. Die Liste lässt sich fortsetzen: 1478 wurden in Bern Getreideschädlinge exkommuniziert, 1516 und 1633 traf es die Raupen von Troyes und Stramboni, 1713 hatten die Ameisen aus Piedade No Maranho zu verschwinden.
Die Bibel rechtfertigte Tierprozesse
Gelegentlich traf die Exkommunikation auch einzelne Tiere. So schreibt der Augustiner-Eremit Gottschalk Hollen im 15. Jahrhundert: „Ein Rabe stahl den Ring des Abtes von Corbie; dafür wurde er exkommuniziert. Dem Tier gingen daraufhin die Federn aus und es verlor seinen Appetit.“ Meistens wurden einzelne „Tierverbrecher“ aber nicht von der Kirche, sondern von einem weltlichen Gericht verurteilt.
Schon im Altertum konnten Tiere, die einen Menschen töteten, von dessen Angehörigen angeklagt werden. Eine der rechtlichen Grundlagen für solche Tierprozesse findet sich in der Bibel, im Buch Exodus (21,28-32). „Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau stößt, dass der Betreffende stirbt, dann muss man das Rind steinigen …“, heißt es dort. Der Besitzer des Tieres ging (bis auf den Verlust des Tieres) straffrei aus.
Mit einer Ausnahme: „Hat das Rind aber schon früher gestoßen und hat der Eigentümer, obwohl man ihn darauf aufmerksam gemacht hat, auf das Tier nicht aufgepasst, so dass es einen Mann oder eine Frau getötet hat, dann soll man das Rind steinigen, und auch sein Eigentümer soll getötet werden.“
Die meisten Tierprozesse gab es in Frankreich, doch auch in Deutschland wurde gegen Tiere prozessiert. Laut Schwälmer Landrecht endeten Gänse, die fremde Felder plünderten, am Galgen. Scharfrichter enthaupteten Kühe oder ertränkten Schweine; Uhus und Katzen landeten als Verbündete des Teufels auf dem Scheiterhaufen.
Freies Geleit für schwangere Mäuse: Der Mäuseprozess von Glurns
Einer der spektakulärsten Tierprozesse des Mittelalters fand in Glurns im Vinschgau statt. Am 21. Oktober 1519 erschien dort Simon Fliß aus Stilfs vor dem Richter und erhob offiziell Anklage gegen die Feld- und Lutmäuse (in Scharen auftretende Wühlmausart). Die Klage wurde als rechtmäßig angenommen; für die menschlichen Kläger wurde ein Anwalt und für die vierbeinigen Angeklagten ein Verteidiger bestellt.
Der Prozess zog sich hin. Bis alle Zeugenaussagen, Klagen und Verteidigungsreden angehört waren, ging ein halbes Jahr ins Land. Am 2. Mai 1520 fällten Richter Konrad Spergser und zehn Geschworene das Urteil: Die Lutmäuse seien „unvernünftige Tierlein“, die in Stilfs seit alters beheimatet seien, hieß es.
Die Kläger, unzufrieden mit diesem großzügigen Ergebnis, gaben zu verstehen, dass die Mäuseplage es ihnen unmöglich mache, sich noch selbst zu ernähren oder gar ihre Jahreszinsen an die Obrigkeit abzuliefern. Das war ein durchschlagendes Argument und das Aus für die Lutmäuse.
Die Mäuseverteidiger verlegten sich nun aufs Bitten und versuchten, wenigstens möglichst gute Konditionen für die Lutmäuse herauszuschlagen. Am Ende einigte man sich darauf, dass die Mäuse das Gebiet von Stilfs innerhalb von vierzehn Tagen „für ewige Zeiten“ zu verlassen hätten. Alle Mäuse, die schwanger, zu krank oder zu jung waren, um die Reise zu schaffen, müssten entsprechend später aus dem Gebiet abwandern – unter freiem und sicherem Geleit.
Weiterführende Informationen zu diesem eher ungewöhnlichen Thema finden Sie in „Das Tier in der Rechtsgeschichte“ aus der Schriftenreihe des Deutschen Rechtswörterbuchs und in „Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess“ von Peter Dinzelbacher.