Es gibt zu viele Steuern in Deutschland? Mag sein, aber immerhin sind Jungfrauen und Spatzen, Bärte und Überschwemmungen steuerfrei. Das war schon anders.
„Steuern erheben heißt, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viele Federn mit möglichst wenig Gezische bekommt.“ Käme Jean Baptiste Colbert, jener französische Staatsmann, der diese kluge Erkenntnis im 18. Jahrhundert in Worte fasste, ins heutige Deutschland, würden ihm die Ohren klingeln von dem Gezisch, das allenthalben herrscht. Fällt das Wort „Steuern“, reagiert der Durchschnittsdeutsche wie ein pawlowsch konditionierter Hund: Er fängt an zu blaffen und beschwert sich lauthals, sogar über Steuersenkungen, wie Guido Westerwelle messerscharf beobachtete.
„Im übrigen gibt es kein Land auf der Welt, in dem es offenbar schwerer ist, Steuern zu senken, als zu erhöhen. Das gibt es nur in Deutschland“, klagte er in einem Interview im FOCUS und verglich Deutschland glatt mit Absurdistan. Das ist ungerecht, aber das muss am Thema liegen. Geht es um Steuern, ist immer alles ungerecht. Wer Steuern gerecht findet, dem ist nicht zu helfen. Und überhaupt: „Gerechte Steuern“ – wie das schon klingt! Irgendwie unzusammenpassend. Ein Oxymoron. Ein bisschen wie „Friedenstruppen“ oder „Lernferien“ oder „gesund sterben“.
Dabei gibt es im Grunde keinen Grund, sich zu beklagen. Immerhin gibt es eine ganze Menge Dinge, auf die keine Steuer erhoben wird: Die Haltung von Kellerasseln ist zum Beispiel völlig steuerfrei. Purzelbäume schlagen ebenfalls. Küssen, lachen und im Liegestuhl lümmeln – keine Steuern. Dafür sollten wir dankbar sein, denn selbstverständlich ist das nicht. Im Laufe der Jahrhunderte wurden schon absurdere Dinge besteuert.
Kuriose Steuern: Nilschlamm- und Spatzensteuer
Schon die Ägypter waren kreativ und findig, wenn es darum ging, das Staatssäckel zu füllen und die Untertanen zur Kasse zu bitten. Wenn der Nil in der Regenzeit über die Ufer trat, unvorsichtige Bauern auf ihren Feldern ertranken, die Hütten unter Wasser standen und eine dicke Schlammschicht die Straßen unpassierbar machte, dann kostete das richtig Geld. Und zwar die Bauern, denn den Ratgebern der Pharaonen war die ebenso einfache wie brillante Idee gekommen, den fruchtbaren Nilschlamm zu besteuern. Die Steuerberechnung war einfach: Je höher die Überschwemmung, desto höher die Steuerabgaben.
Beinah fantasielos wirkt dagegen die Spatzensteuer, die im 18. Jahrhundert in Baden-Württemberg Gültigkeit hatte. Weil Sperlinge als Schädlinge eingestuft wurden, war der Spatz in der Hand allemal besser als auf dem frisch angesäten Feld. Auf Geheiß der „Steuerfahndung“ wurde der Piepmatz erbarmungslos gejagt. Wer nicht bereit oder nicht in der Lage war, zwölf lebende Spatzen zu fangen und abzuliefern, musste zwölf Kreuzer Spatzensteuer an den Staat zahlen. Wer die Tiere hingegen ordnungsgemäß übergab, erhielt sechs Kreuzer Aufwandsentschädigung. Nur sechs? Das ist aber … Ja, genau, das ist ungerecht! Besonders für die Spatzen, deren beste Überlebenschance die Steuerflucht ins benachbarte Steuerparadies Schweiz oder in die Steueroase Liechtenstein war.
Im 18. Jh. wurde praktisch alles besteuert: Bärte, Perücken und Jungfrauen
Für den russischen Zaren Peter den Großen (1682 bis 1725) wurden Steuern zu einer haarigen Angelegenheit, als er seine Untertanen vor die Wahl stellte: Glatt rasiert und steuerfrei, oder Rauschebart und die stattliche Summe von fünfzig Rubeln jährlich. Um einer öffentlichen Rasur zu entgehen, hatten Bärtige eine Steuermarke in Form einer Kupfermünze bei sich zu tragen.
Ein Spezialist für steuerliche Haarspaltereien war auch der preußische Premierminister Johann Kasimir Kolbe von Wartenberg (1643 bis 1712). Frohgemut besteuerte er Perücken, Hüte, Strümpfe, Kutschen und Kaffee. Er besteuerte sogar Jungfrauen und ließ Unverheiratete (was damals praktisch dasselbe war) zwischen zwanzig und vierzig jeden Monat zwei Groschen Jungfrauensteuer entrichten.
Die holländischen Gardinensteuer und die englische Fenstersteuer
Jetzt ist es Zeit, ein für allemal mit einem Gerücht aufzuräumen und die schockierende Steuerwahrheit über die Niederlande erbarmungslos ans Licht zu zerren: Die Gardinensteuer, mit der oft erklärt wird, warum viele Holländer trotz ebenerdiger Wohnungen keine Vorhänge aufhängen, hat es nie gegeben. Wahrscheinlicher ist, dass die calvinistisch geprägten Niederländer so zeigten, dass sie nichts zu verbergen hatten.
In England war der Ausblick für brave Steuerzahler bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich besser als für Knauser. Denn wer aus dem Fenster sehen wollte, der musste Fenstersteuer bezahlen. Die Höhe der Steuer richtete sich nach der Anzahl und/oder Größe der Fenster – Geizhälse und Arme mauerten daraufhin ihre Fenster zu, wohnten im Dunkeln und litten gebietsweise so stark unter Sonnenlicht- und Vitamin-D-Mangel, dass die daraus entstehende Knochenerweichung (Rachitis) im Rest Europas als „Englische Krankheit“ bekannt wurde. Womit endgültig bewiesen wäre, dass Steuern krank machen…
Übrigens: Deutschland ist nicht nur ein Land mit sehr, sehr vielen verschiedenen Steuern, es ist auch das einzige Land der Welt, das ein Steuermuseum sein eigen nennt. In der Finanzgeschichtlichen Sammlung der Bundesfinanzakademie in Brühl sind mehr als 1.200 Exponate zur Geschichte der Abgaben und Steuern zu sehen.
Lesetipp: „Von der Aufruhrsteuer bis zum Zehnten: Fiskalische Raffinessen aus 5000 Jahren“ von Reiner Sahm ist eine kurzweilige und unterhaltsame Lektüre, in der der Autor ungewöhnliche Steuern und Steuermaßnahmen vorstellt. Alphabethisch sortiert liefern die kurzen Texte herrlich absurden Stoff für Smalltalk im Büro oder auf Cocktailpartys.