Gib dir die Kugel: Die Geschichte der Murmel

Seit fünftausend Jahren begeistert die Murmel Kinder und Kai­ser. Ein deutscher Glas­augen­hersteller ebnete ihr den Weg zum Massenprodukt.

Das Murmelspiel ist eines der ältesten Kinder­spie­le der Welt. Ausgrabungen belegen, dass auch Ägypter, Babylonier und Germanen schon Murmeln besaßen. Die ältesten Murmeln wer­den auf drei­tausend vor Christi datiert; sie wur­den als Beigabe im Grab eines ägyptischen Kin­­des gefunden.

Kaiser Augustus liebte das Murmelspiel

Auch die Römer waren passionierte Murmel­spie­ler. Doch nur die wohlhabenden Bür­ger konn­ten sich echte Steinmurmeln für ihre Kinder leisten. Alle anderen spielten mit Nüssen. Das Mur­mel- oder Nussspiel galt als typisches Kin­derspiel, und der Ausdruck „die Nüsse zu­rück­lassen“ (nucibus relictis) stand für das Erwachsenwerden. Kaiser Augus­tus leg­te auf das Er­wachsen­werden offenbar wenig Wert: Er soll stets eine Hand­voll Mur­meln bei sich getragen und sich, höchst unmännlich, beim Gang durch Roms Straßen an den Spielen der Kinder beteiligt haben. Wer diese Partien gewann, ist nicht überliefert.

Das Murmelspiel gehört zu den ältesten Spielen der Welt. Die ursprünglich in Handarbeit hergestellten und dadurch teuren Glasmurmeln sind heute ein günstiges Massenprodukt: Die Großpackung Murmeln (204 Stück/~1 kg) kostet gerade mal 10,95 Euro.

Gemurmelt wurde und wird weltweit und das seit Tausenden Jahren. „Die Kugel ist die Urform des Universums. Ball- und Murmelspiele, von Boule bis Fußball, sind seit Jahr­tau­senden ein Dauerbrenner der menschlichen Kultur“, meint Stefan Metzler von der Kugelmühle Neidlingen.

Der Diplom-Agraringenieur ist einer der Letzten, der die Kunst der Steinmurmel­her­stel­lung beherrscht. Die Kugelmühle, die er 2005 in Neidlingen auf der Schwäbischen Alb baute, funktioniert nach altem Vorbild. Im Wesentlichen besteht die Mühle aus zwei Tei­len – dem „Genger“, einem liegend fixierten Mühlstein mit eingehauenem Rillenprofil, und dem „Läufer“, einem Mühlrad, das passgenau dasselbe Rillenprofil aufweist und sich über dem Genger dreht. Auf diese Weise werden die Steinrohlinge, die zwischen Gen­ger und Läufer gelegt werden, kugelrund geschliffen.

Steinmurmeln wurden als Munition auf Segelschiffen eingesetzt

Während solche Kugel- oder „Märbelmühlen“ im süddeutschen Raum meist ein kleiner Nebenerwerb der Landwirte und Bergbauern waren, waren sie im Thüringer Wald jahr­hun­derte­lang ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor. Millionen Stein- und Ton­mur­meln wur­den hier her­gestellt. Die Steinkugeln landeten nur zum Teil in den Kin­der­zimmern.

Steinmurmeln aus der Kugelmühle Neidlingen. Heute eine Spielerei – früher ein Wirtschaftszweig, denn Steinmurmeln wurden als Munition auf Segelschiffen geschätzt.

„Der Debit (Absatz) dieses Artikels hängt einzig und allein von politischen Ereignissen, vom Krieg und Frieden ab, indem bei Seekriegen die Märbel, die in dem Tauwerk der Schiffe mehr Schaden anrichten, als die eisernen Kugeln, stark, in Friedenszeiten aber weit weniger gesucht werden“, berichtet die Handlungskommission Sonneberg Johann Georg Otto am 14. September 1804. Weil die „Engelländer mit diesem Kriegs-Be­dürf­nis ihre Magazine größtentheils schon aufgefüllt“ hätten, sei „vorerst schwerlich noch auf einen ansehnlichen Absatz zu rechnen“.

In den 1950ern wurden im Zuge der Enteignung der Privatbetriebe die letzten Thüringer Märbelmühlen geschlossen. Die meisten sind verfallen; ihre Ruinen zeugen unbeachtet von einer vergangenen Zeit. In einer dieser Mühlen entsteht seit einigen Jahren das Deut­sche Murmelmuseum. „Die Murmel hat in Thüringen eine lange Geschichte“, be­grün­det Axel Trümper, warum er mit viel Mühe die alte Märbelmühle in Sachsenbrunn res­tau­riert und zum Museum ausbaut. „Hier wurden nicht nur Stein- und Tonmärbeln pro­du­ziert, son­dern auch die Glasmurmel erfunden“

Ein Thüringer Glasaugenhersteller erfand die Glasmurmel

Die Glasmurmel wurde 1848 erfunden – vom Christoph Simon Karl Greiner, der ein Gerät entwickelte, mit dem sich weiches Glas in Kugelform pressen ließ. Mit dieser „Märbelschere“ wollte Greiner die Produktion von Glasaugen billiger und rationeller gestalten. Das gelang ihm auch, doch es war das „Nebenprodukt“ Glasmurmel, das einen weltweiten Siegeszug antrat. Mit filigranen Mustern versehen waren diese hand­gefertigten Glasmurmeln kleine Kunstwerke und schon früh begehrte Samm­ler­stücke. Be­son­ders in Amerika waren diese Murmeln gefragt. Bis heute gibt es dort Samm­ler­ver­ei­nigungen für deutsche Glasmurmeln.

Eigentlich wollte Christoph Simon Karl Greiner die Glasaugenproduktion vereinfachen, doch es war das „Abfallprodukt“ Glasmurmel, das ihn reich machte. Heute werden Glasmurmeln nicht mehr von Hand mit der Zange hergestellt, sondern sind längst ein billiges Massenprodukt.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war Deutschland die führende Nation in der Mur­melherstellung, doch mit dem Beginn des ersten Weltkriegs wurde die Mur­mel­pro­duk­tion in Deutschland unterbrochen. Etwa gleichzeitig entwickelten die Ameri­ka­ner Ma­schi­nen für die Murmelherstellung und übernahmen bald darauf den Murmel­markt. Das war das Aus für die handgemachte deutsche Murmel.

Heute werden Murmeln hauptsächlich in Fernost und Mexiko hergestellt und sind längst zum Massenprodukt geworden. Ihren Charme haben sie dennoch nicht verloren, und wer der Murmel einmal verfallen ist, der kommt nicht mehr von ihr los. „Murmelspielen ist trotz der einfachen Regeln ein hochtaktisches und ungeheuer spannendes Spiel“, beteuert Alex Paul, der mit seinem Team vom Södeler Klickerverein bereits zum zwei­ten Mal in Folge den Weltmeisterschaftstitel im Kuhlenmurmeln errang. Wer es nicht glaubt, der kann es jederzeit ausprobieren – eine Kuhle im Boden und ein paar Ku­geln oder Nüsse genügen.

Tipp: Einfache „Katzenaugen“-Glasmurmeln kosten heute kein Vermögen mehr. Die Großpackung mit 204 Stück gibt es für 10,95 Euro. Ein Komplettset mit 21 Glasmurmeln im Murmelsäckchen, Metalldose und einem 72-seitigen Buch mit klassischen und neuen Spielideen gibt es für 12,95 Euro.

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