Der Gartenzwerg gilt als „typisch deutsch“. Mit provokanten und lasziven Modellen erobert der Vorgartenspießer eine neue Zielgruppe: die Gartenzwerghasser.
Oskar liegt tot neben der Vogeltränke. Sein Rücken ist blutig, zwischen seinen Schulterblättern steckt ein großes Messer. Trotzdem lächelt er tapfer. Gartenzwerge sind Kummer gewohnt, seit den Neunzigern mehr als je zuvor. Da nämlich entdeckten Zwergenhersteller den schwarzen Humor, revolutionierten das betuliche Vorgartenidyll und setzten so manchem Zwergendasein ein fabriksneues Ende auf der Guillotine oder am Galgen.
Moderne (oder mordende) Zwerge tragen Peitsche und Lendenschurz statt Gießkanne und Schürze
Vorbei sind die Zeiten, in denen Gartenzwerge in beschaulicher Daseinsfreude die Petunien gossen und ihre Schubkarre durch die Tagetes schoben. Deutsche Schrebergärtner mögen es neuerdings skurrill und makaber. Immer häufiger lassen sie den klassischen Gartenzwerg links liegen und greifen stattdessen zur Zwergenleiche, zur Gnomen-Domina oder zum Vorgartenexhibitionisten.
Die Zwergenhersteller haben sich mit solchen Modellen eine neue Zielgruppe erschlossen: die ehemaligen Gartenzwerghasser. Denn gerade diese sind es, die sich immer häufiger einen Zipfelmützenträger kaufen. Nur stehen bei ihnen nicht Schneewittchen und die sieben Zwerge, sondern Oskar Lafontaine, Helmut Kohl und Joschka Fischer in trauter Eintracht und im Handtaschenformat auf der Terrasse.
Moderne Gartenzwerge haben längst ein Handy am Ohr oder einen Laptop auf den Knien. Die weniger harmlosen schwingen sich, nur mit Lendenschurz bekleidet, an einer Liane durch die Büsche, zeigen Spaziergängern den Stinkefinger, peitschen im aufreizenden Lackkostüm unterwürfige Artgenossen und brechen nachbarschaftliche Kleinkriege vom Zaun, die häufig vor dem Richter enden.
So fühlten sich die Parteien einer Essener Wohnanlage von einem Zwerg belästigt, der in exibitionistischer Pose auf dem Garagendach des Nachbarhauses thronte. Die Kläger gewannen, der Zwerg musste in den Schuppen. Wer provoziert, muss mit Konsequenzen rechnen.
900 Euro kostete die Hinrichtung eines Gartenzwergs
Manchmal jedoch ist schon ein naiv lächelnder Zwerg mit roter Zipfelmütze Provokation genug. „Heute morgen, als ich die Rollos hochgezogen habe, stand wieder einer dieser fiesen Gartenbewohner im Blumenbeet und hat mich schelmisch angegrinst. Das hat mein ästhetisches Empfinden zutiefst verletzt“, begründete eine Düsseldorfer Studentin ihre Überreaktion auf einen Gartenzwerg.
Sie richtete den Wicht mit einem Kopfschuss hin und musste sich wegen Lärmbelästigung, Gefährdung der Nachbarschaft, Sachbeschädigung und Besitz einer illegalen Schusswaffe vor Gericht verantworten. Außer einer Geldstrafe von knapp 900 Euro brachte ihr der Feldzug wenig ein. Der gemeuchelte Zwerg wurde durch ein neues, angeblich „unkaputtbares“ Exemplar ersetzt, dem sich die Täterin bis auf zweihundert Meter nicht nähern darf.
Gerichtsentscheid: Gartenzwerge sind „Ausdruck des schlechten Geschmacks“
Auch zwei harmlose Musikanten einer Hamburger Wohnanlage mussten per Gerichtsentscheid entfernt werden. Als ein Wohnungseigentümer die beiden fünfzehn und fünfundzwanzig Zentimeter großen Zwerge im Gemeinschaftsgarten aufstellte, ging eine andere Hauspartei vor Gericht. Das aggressive Rot der Zipfelmützen und der dauernde Blick auf die Wichtel sei störend und unzumutbar, behauptete sie.
Nach vier Jahren Prozessdauer und durch drei Instanzen hindurch entschied das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg schließlich: Die beiden Musikanten müssen weg. Gartenzwerge seien „Ausdruck von Beschränktheit und Zeichen des schlechten Geschmacks“ und würden „den optischen Gesamteindruck der Wohnanlage in nicht unerheblicher Weise beeinträchtigen“, hieß es. Die immerhin elfseitige Urteilsbegründung ließe sich auch mit zwei Worten zusammenfassen: zu spießig.
Der Mützenträger nimmt’s gelassen, so wie er in den letzten hundertvierzig Jahren seiner bewegten Zwergengeschichte alles mit bewundernswerter Gemütsruhe hinnahm. Ausgedient hat er noch lange nicht, im Gegenteil. Längst ist er über sein angestammtes Habitat, den Vor- und Schrebergarten hinausgewachsen und erobert als Klorollenhalter, Bücherstütze, Sparzwerg und teures Designerobjekt die Wohnzimmer. Und wenn er sich dabei bisweilen frech und unartig präsentiert, dann hat er nach über hundert Jahren züchtigen Benehmens ein wenig Nachsicht verdient. Schließlich sind auch Gartenzwerge nur Menschen.