„Bukephalos“ trug Alexander den Großen von Griechenland bis Indien. „Vizir“ und Napoleon ritten von Paris nach Paris – mit einem mehr als kleinen Umweg.
„Auf dem Rücken der Pferde liegt unsere Geschichte. Nie ging ein Tier so völlig im Dienste des Menschen auf, wie das Pferd. (…) Sein Rücken wurde zum Thron des Herrn der Welt“, schreibt Hans-Heinrich Isenbart in „Das Königreich des Pferdes“. Recht hat er. Ohne Kavallerie wäre manche Schlacht anders ausgegangen, und unsere Geschichtsbücher läsen sich anders, wären Dschingis Khan, Napoleon und Alexander der Große Fußgänger gewesen.
Reitervölker eroberten die Welt. Pferde brachten die Menschheitsgeschichte auf Trab. Pferde trugen ihre Reiter in die Schlacht, trugen sie zu Sieg und Niederlage, in alle Ecken der Welt und bis ans Ende der eigenen Kraft. Im Dienst des Menschen vollbrachten Pferde immer wieder unvorstellbare Leistungen. Oft genug bezahlten sie mit dem Tod.
„Nie sind Sanftmut und Gehorsam, nie die Ergebenheit so ausgenutzt, so schlecht gelohnt worden, wie Menschen sie den Pferden lohnten“, schreibt Isenbart weiter und ergänzt: „Nie aber ist größerer Ruhm, ist gleiche Verherrlichung einem Tier zuteil geworden.“
Bukephalos, der Ochsenkopf: Das bekannteste Pferd der Antike
Der Wunsch nach großen Eroberungen soll in Alexander dem Großen geweckt worden sein. als es ihm als Halbwüchsiger gelang, einen ungebärdigen Junghengst zu reiten. Noch nie hatte das Tier einen Reiter auf seinem Rücken geduldet.
Alexander erkannte, dass der Hengst sich vor dem Schatten von Pferd und Reiter fürchtete. Er drehte den Junghengst so, dass er den Schatten nicht sehen konnte, und das Pferd ließ sich problemlos reiten. Alexanders Vater bezahlte für das Tier einen völlig überzogenen Preis, der dem Monatssold von 1.500 Soldaten entsprach.
Die horrende Ausgabe wurde zur lohnenden Investition: Bukephalos, der „Ochsenkopf“, war Alexander beinahe dreißig Jahre lang ein treuer Begleiter in Schlachten und Feldzügen. Der Hengst galt bald als Wunderpferd. Er konnte angeblich sprechen und trug seinen Reiter von seiner griechischen Heimat Pella über Damaskus, Babylon und Samarkand bis an die Grenze Nordindiens.
In der Schlacht am Hydaspes, Alexanders letzter und verlustreichster Schlacht, verlor der Feldherr schießlich auch sein Pferd: Bukephalos soll im Fluss ertrunken sein.
Alexander der Große ließ dem Hengst zu Ehren ein Mausoleum errichten und beerdigte seinen treuen Begleiter prunkvoll. Auf dem Schlachtfeld gründete er die Stadt Alexandreia Bukephalos, das heutige Jhemal in Pakistan.
Wie Bukephalos aussah, woher er stammte und warum Alexander ihn „Ochsenkopf“ nannte, ist nicht bekannt. Vermutet wird, dass das berühmteste Pferd der Antike von einem Berberhengst und einer thessalischen Stute abstammte und nicht unbedingt eine betörende Schönheit war.
6000 km von Paris nach Paris: Vizir und ein langer Umweg
Napoleon Bonaparte soll ein begeisterter Schimmelreiter gewesen sei. Wann immer möglich, zog er weiße Pferde andersfarbigen vor. Er soll außerdem ein sehr schlechter Reiter gewesen sein, der auf dem Pferd eine miserable Figur machte. Doch „trotz seines oft unverantwortlich fahrlässigen Sitzes war er ein ausdauernder und vor allem schneller Reiter“ (Barbara Bartos-Höppner, „Auf dem Rücken der Pferde“).
1804 erhielt Napoleon den arabischen Schimmelhengst „Le Vizir“ als Geschenk des türkischen Sultans. Acht Jahre später, am 9. Mai 1812 brach Napoleon auf Vizirs Rücken von Paris nach Litauen und von dort zu seinem fatalen Russlandfeldzug auf.
Am 24. Juni überquerte Napoleon er mit mehr als einer halben Million Mann und knapp 250.000 Pferden die Memel und drang ins Innere Russlands vor. Am 14. September zog er in das brennende Moskau ein. Der frühe Wintereinbruch und die fatale Versorgungslage zwangen Napoleon zur Umkehr. Mehr als 350.000 Gefolgsleute und rund 167.000 Pferde ließen auf dem Feldzug ihr Leben.
Napoleon selbst überlebte – ebenso wie sein Pferd. Obwohl für die Wüste geschaffen, waren es überwiegend Pferde mit viel Araberblut, die den harten Winterritt überlebten. Vizir trug Napoleon zurück nach Paris, das sie am 19. Dezember 1812 erreichten.
Mehr als sechstausend Kilometer in acht Monaten hatten Pferd und Reiter zurückgelegt. Vizir begleitete seinen Reiter auch ins Exil auf St. Helena, wo das Pferd fünf Jahre nach dem Tod seines Herrn starb. Der recht zierliche Schimmelhengst wurde nach Frankreich überstellt und steht heute ausgestopft im Hôtel des Invalides in Paris.
Wien-Berlin in knapp drei Tagen: Athos und der „Metzelritt“
Wer hat die bessere Kavallerie? Österreicher und Deutsche wollten es wissen, als sie 1892 mehr als zweihundert Reiter auf den Weg von Wien nach Berlin schickten und dem schnellsten Reiter eine beachtliche Siegerprämie von 20.000 Mark in Aussicht stellten.
Gekämpft wurde auf dem Ritt auch um die Ehre, wer die leistungsfähigeren Pferde und Reiter hatte. Außerdem sollte der Ritt die einst verfeindeten und nun im Kriegsfall verbündeten Heere zusammenschweißen. Die Wahl der Route, das Reittempo und die Ruhezeiten wurde den Reitern überlassen – die Offiziere sollten schließlich auch ihr Pferdewissen, ihr Einschätzungsvermögen und ihr reiterliches Können unter Beweis stellen.
Die Preußen ritten von Berlin nach Wien, die Österreicher von Wien nach Berlin. Letztere waren dabei leicht im Vorteil, denn sie ritten zuerst im schwierigen, dann im leichteren Gelände. Geritten wurde nicht nur Tag und Nacht, sondern auch bis weit über die Grenzen der Leistungsfähigkeit und Erschöpfung hinaus. Von Siegwillen und Ehrgeiz getrieben ritten etliche Reiter ihre Pferde zuschanden.
Auch der österreichische Oberleutnant Wilhelm Graf Starhemberg trieb sein neunjähriges, englisch-ungarisches Halbblut „Athos“ zu Höchstleistungen an. Er gönnte dem Wallach insgesamt nur elf Stunden Pause – das Pferd bewältigte die 570 Kilometer lange Strecke in einer Gesamtzeit von 71 Stunden und 26 Minuten.
Wenige Tage nach dem Rennen starb Athos an den Folgen der immensen Anstrengung. Er war nicht das einzige Pferd, das sich für seinen Reiter zu Tode lief: „Lippspringe“, die zweitplatzierte Stute, brach bereits im Ziel zusammen und starb zwei Tage später. Fünfundzwanzig Pferde aus dem Teilnehmerfeld waren innerhalb einer Woche tot.
In der englischen Presse wurder der Wien-Berlin-Ritt als „Metzelei“ bezeichnet, welche durch die hohen Preisgelder noch angheizt wurde. „Der Rekord, den wir jetzt überblickn, thut beim Lesen weh“, hieß es zum Rittbericht von 1892.
Der Kavallerieritt Wien-Berlin war der traurige Beginn des Distanzreitens in Deutschland. Heute werden Distanzpferde auf Langstreckenritten engmaschigen Tierkontrollen unterzogen und müssen auch am Folgetag ihre Reittauglichkeit unter Beweis stellen. Athos hilft das nichts mehr – der zähe, aufopferungsvolle Halbblüter ist heute nicht mehr als eine Fußnote in der langen gemeinsamen Geschichte von Mensch und Pferd.