Sonne, Adler, Wilder Mann: Von Schildwirtschaften und Wirtshausnamen

Sie sind aufwendig und oft fantasievoll gestaltet, setzen den Namen eines Gasthauses bildlich um und prägen manche Fußgängerzone: Einen Wirtshausausleger durfte nur anbringen, wer „gehobene Speisen“ servierte und Reisende samt ihren Fahrzeugen und Tieren beherbergen konnte.

Der Wirtshausausleger der „Alten Post“ in Nagold ist nicht zu übersehen. Weit ragt er aus der Hausecke heraus, und in der Abendsonne glänzt er so sehr, dass es fast in den Augen weh tut. Der wunderschöne Fachwerkbau ist ein Wahrzeichen Nagolds und wurde 1697 als „Gasthof zur Sonne“ erbaut. 1807 wurde hier eine Poststation an der Route Stuttgart-Freudenstadt eingerichtet – das Haus erhielt eine neue Aufgabe, einen neuen Namen, und ein neues Schild, auf dem eine mehrspännige Postkutsche unter einem Posthorn über den Marktplatz trabt. Und auch die Sonne aus dem alten Namen hat ihren Platz bekommen.

 

Alte Post, Nagold
Die „Alte Post“ beherbergte die Großen und Kleinen der Zeit: Hier zechte König Friedrich von Württemberg mit seinem Gefolge, und auch der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss ließ sich hier für eine ausgiebige Rast nieder. Vor allem aber logierten hier die einfachen Menschen: Kutscher, Handwerksgesellen auf der Walz, Wanderer, Boten, Händler und andere Reisende.

 

Weißes Ross, Memmingen, Wirtshausausleger
Längst nicht jede Gaststätte durfte einen Wirtshausausleger anbringen – dazu benötigte der Besitzer eine Schildgerechtigkeit. Das ist ein juristischer Begriff, der das von der Verwaltung erteilte Recht bezeichnet, eine Gastwirtschaft als öffentliches Gebäude zu betreiben und durch Anbringung eines Schilds als solche kenntlich zu machen.

 

Wirtshausausleger, Memmingen
Schildwirtschaften kamen im späten Mittelalter auf. Die Landesfürsten reagierten auf die Zunahme der Reisetätigkeit mit der Förderung der nötigen Infrastruktur, aber auch mit ersten Reglementierungen von Beherbergungs- und Gastbetrieben. Die Schildgerechtigkeit ist damit die Urform der gesetzlichen Qualitätssicherung des Gast- und Hotelleriegewerbes.

 

Wirtshausausleger, Bad Urach
Als Bedingungen für die Genehmigung einer Schildwirtschaft werden in einer deutschen Anordnung vom 19. Juli 1780 folgende Punkte genannt: Der Ort musste „groß und mit Einwohnern besetzt“ sein, an einer stark benutzten Straße liegen, sowie über einen Frucht- oder Viehmarkt oder ein „sonst vorzügliches Gewerbe“ verfügen. Das Haus, in dem die Wirtschaft eröffnet werden sollte, musste mit Stallungen versehen an einer Haupt- oder Nebenstraße liegen. Gewerbe wie Hufschmiede, Sattler oder Wagner sollten in unmittelbarer Nähe ansässig sein. Hier, in der Innenstadt von Bad Urach, waren diese Gegebenheiten vorhanden.

 

Wirtshausausleger Nagold
Mit den Rechten erwarb sich der Inhaber einer Schildgerechtigkeit auch Pflichten. Eine „Schildwirtschaft“ war verpflichtet, Fremde zu beherbergen, sowie „gehobene Küche“ mit aufwendiger zubereiteten Speisen anzubieten. Sie sollte sich damit deutlich von den Schank-, Suppen-, Winkel- und Gassenwirtschaften abgrenzen, in denen es nur Getränke oder sehr einfache Speisen aus dem Suppentopf gab. Außerdem mussten Schildwirtschaften eine Unterbringungsmöglichkeit für Wagen und Kutschen, Pferde und andere Zugtiere haben – sie können als Vorläufer heutiger (Autobahn)Raststätten und Autohöfe angesehen werden.

 

Metzgerei Blum, Calw
Wirtshausausleger kennzeichneten nicht einfach nur eine Gaststätte – wo immer möglich setzten sie auch deren Namen optisch um. In der Metzgerei Blum in Calw war lange Zeit auch ein Gasthof „Zum Bären“ untergebracht. Der kunstvoll geschmiedete Ausleger hatte einen werbenden und einladenden Effekt und signalisierte schon von Weitem, dass es hier gutes Essen und eine Unterkunft gab. Solche Schilder halfen auch bei der Orientierung in der Stadt – in einer Zeit, als ein großer Teil der Bevölkerung nicht lesen konnte, sogar effektiver als Straßennamen.

 

Wirtshausausleger
Linde, Krone, Post, Sonne, Adler und Kreuz gehören zu den häufigsten Gasthausnamen in Deutschland. Für die Namenswahl waren religiöse Begriffe („Kreuz“, „Lamm“) ebenso beliebt wie namensgebende Orte („Am Hafen“), Funktionen („Zollhaus“, „Ratskeller“), heimische Tiere („Zum Hirschen“, „Schwan“, „Weißes Ross“), bürgerliche Werte („Frohsinn“, „Eintracht“) oder die schattenspendenden Bäume im Biergarten („Unter den Linden“, „Grüner Baum“).

 

Wirtshausausleger Hirsch, Baden-Baden
Manche Namen von Hotels und Restaurants wie z. B. „Linde“, „Brauhaus“, und „…-Keller“ sind in ganz Deutschland gleichmäßig vertreten, andere wie „Zugspitzblick“ oder „Zur Rheinfähre“ sind sehr regional. Hotels und Gaststätten „Zum Hirsch“ finden sich vor allem im Süden, besonders in Baden-Württemberg. Hier herrscht allgemein eine Vorliebe für tierische Namen: Auch der Adler, der Bär, der Ochse und der Löwe sind typisch süddeutsch. In Bayern ist „Wirt“ ein auffallend häufiger Bestandteil des Gasthausnahmens; im Norden der Republik wird das Abendessen dafür häufiger im „Krug“ eingenommen.

 

Gasthof zum Schiff, Horb am Neckar
Wirtshäuser mit „Hafen“ oder „Schiff“ im Namen finden sich naturgemäß häufig in der Nähe von Gewässern – hier ist es der Neckar bei Horb. Gasthöfe „Zum Schiff“ weit abseits von Flüssen, Seen oder Küste verweisen hingegen auf einen christlichen Ursprung und das Kirchenschiff. Das kommt noch aus der Zeit, als Gasthäuer rar und Hotels nicht existent waren: Damals waren Klöster beliebte Anlaufstellen für Reisende – für praktisch alle Klosterorden war die Verköstigung und Unterbringung von Reisenden ein Teil der Ordensregeln.

 

Wirtshausausleger Wilder Mann, Bad Urach
Auch außerhalb der Klöster war Gastfreundschaft eine Tugend und hehre Bürgerpflicht. Sie galt für jeden Fremden, unabhängig von Stand, Religionszugehörigkeit oder Herkunft. Bis ins Mittelalter war es auch für Privatleute üblich und ganz selbstverständlich, jedem Besucher Getränke, Speisen und, wenn erforderlich, eine Dach für die Nacht anzubieten – kostenlos und ohne Gegenleistung. In der Realität sah es wohl oft anders aus – als der Theologe und Philosoph Erasmus von Rotterdam um 1500 Deutschland bereiste, hatte er nichts Gutes zu berichten. „Bei der Ankunft grüßt niemand, damit es nicht scheine, als ob sie viel nach Gästen fragten, denn dies halten sie für schmutzig und niederträchtig und des deutschen Ernstes für unwürdig. Nachdem du lange vor dem Hause geschrien hast, steckt endlich irgendeiner den Kopf durch das kleine Fensterchen heraus gleich einer Schildkröte … diesen Herausschauenden muß man nun fragen, ob man hier einkehren könne. Schlägt er es nicht ab, so begreifst du daraus, daß du Platz haben kannst“, schreibt er und lässt sich detailliert über die Zustände in den Wirtschaften aus. Kurz zusammengefasst beschreibt er sie als schmutzig, laut, voll, ungemütlich, mit schlechtem Wein aber üppigem Essen. Man war eben ein bisschen beim „Wilden Mann“ …

 

Wirtshausausleger Wilder Mann, Turckheim
Auch jenseits der Grenze, im französischen Turckheim, logierten Gäste beim „Wilden Mann“ – die Tradition der Wirtshausausleger, auch „Nasenschilder“ genannt, ist in ganz Europa verbreitet. Im deutschsprachigen Raum waren diese Schilder oft mit erheblichem kunsthandwerklichem Geschick geschmiedet, bis sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von gemalten Schildern oder Leuchtreklamen verdrängt wurden. Viele historische Wirtshausausleger verrosteten oder wurden abmontiert. Einige landeten in Museen oder bei historisch interessierten Sammlern. Heute kümmert sich vielerorts die Denkmalpflege um den Erhalt und die Wiederherstellung der alten Nasenschilder.

 

Wirrtshausausleger Prag
Ein Wirtshausausleger neueren Datums verweist auf ein Restaurant in Prag. Was heute international als Begriff für eine Speisegaststätte verstanden wird, bedeutete ursprünglich einfach nur „sich erholen, stärken, erquicken“, aber auch „erneuern, wiederherstellen“. Der Legende nach soll ein Wirt namens Boulanger der Namensgeber gewesen sein. 1765 erstritt er sich gegen den Widerstand der Köchezunft die Genehmigung, neben Suppen auch andere Speisen anzubieten. Über der Tür seines Gasthofs soll er in lateinischer Sprache die Verballhornung eines Bibelverses aufgemalt haben. „Kommt alle zu mir, wenn Euch der Magen knurrt, und ich werde Euch wiederherstellen“, war dort als Motto zu lesen. („Venite ad me omnes, qui stomacho laborantur, et ego vos restaurabo.“ Der Vers machte ihn berühmt, und das „Restaurant“ wurde mit dem Ort gleichgesetzt, in dem man in den Genuss von „erquickender, wiederherstellender Kraftbrühe“ kam.

 

Wirtshausausleger Taverne, Frankreich
Was dem Deutschen sein Gasthaus, ist dem Franzosen seine Taverne, doch im Grunde ist es dasselbe. In Deutschland ist „Tavernwirtschaft“ oder „Tafernwirtschaft“ ein veralteter Begriff für eine Gaststätte, die das „Tafernrecht“ inne hatte. Dieses umfasste nicht nur das öffentliche Schank- oder Krugrecht, das Herbergs- und Gastrecht und das Recht zur Unterbringung von Zugtieren, sondern auch das Braurecht, das Brennrecht (Schnapsbrennerei) und die Backgerechtigkeit (das Recht, einen Backofen anzulegen und Brot zu backen). Auch die Schildgerechtigkeit war Teil des Tafernrechts.

 

Wirtshausschild Mea Culpa
Nicht ganz so stilvoll wie ein Wirtshausausleger, aber immerhin ein Hingucker: Auch heute werben Gasthäuser und Restaurants mit auffälligen Schildern. Oder, wie hier, mit Namen, die zu Denken geben und die Frage aufwerfen: „Was kommt auf mich zu, wenn ich in einer Pizzeria essen gehe, die schon im Vorfeld alle Schuld auf sich nimmt?“

 

Gasthof Hirsch
Keine Möglichkeit, einen Wirtshausausleger anzubringen? Es gibt dennoch Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen!

 

 

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