Geflügelte Gottheit, schlimmster Feind und bester Freund: Bis in die Neuzeit hielt man Drachen für real existierende Tiere. Aus Fantasyfilmen und -büchern ist das mythologische Mischwesen aus Vogel, Reptil und Raubtier nicht wegzudenken.
Der erste Drache in meinem Leben war böse. Katla, der feuerspeiende Schrecken aus „Die Brüder Löwenherz“, ausgestattet mit einer bösen, unberechenbaren Intelligenz, nur darauf aus, zu töten. Katla weckte Angst, Wut und Trauer in mir. Wie habe ich sie beim Lesen gehasst – und zugleich tat sie mir leid, weil sie selbst gefangen und unterjocht war, und vom menschlichen Bösewicht zum Töten missbraucht wurde.
Gut, böse, ambivalent: Der Drache in Mythologie, Märchen und Religion
Der zweite Drache in meinem Leben war gut. Fuchur, der Glücksdrache aus „Die unendliche Geschichte“, freundlich, sanft, stets zuversichtlich und hilfsbereit. Er tröstete mich über den tragischen Verlust des Pferdes hinweg. (Sie erinnern sich? Die Sache mit dem Sumpf?) Fuchur weckte die Sehnsucht nach dem Fliegen und nach unverbrüchlicher Freundschaft mit einem magischen Wesen.
Und dann war da noch Frau Mahlzahn, die Drachendame, die in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ Kinder entführen ließ, und sich am Ende in den goldenen Drachen der Weisheit verwandelte. Frau Mahlzahn ließ mich ratlos zurück – war sie gut oder böse? Oder doch beides? Wie konnte sie beides sein? Frau Mahlzahn weckte eine Idee von Versöhnlichkeit und dem Glauben an einen „guten Kern“ im Bösen.
Auch in der Mythologie ist der Drache unterschiedlich besetzt: Während er im Orient und in der westlichen Kultur ein Sinnbild für Chaos und Zerstörung ist, ist er im ostasiatischen Raum ein Wesen mit überwiegend positiven Attributen.
Der westliche Drache droht, Sonne und Mond zu verschlingen, und die Welt gleich mit. Er muss daher von einem Helden besiegt und getötet werden.
Der chinesische Drache ist hingegen meist ein Glücks- und Regenbringer, ein Symbol der Fruchtbarkeit und der (kaiserlichen) Macht. Er vereint die Merkmale von neun Tieren in sich – am deutlichsten ist dabei der lange, schlangenförmige Körper.
Dem beschützenden Drachen steht auch in China ein (weniger bekannter) zerstörerischer Drache als Widerpart entgegen – der Drache ist also auch im ostasiatischen Raum kein durchweg gutes, sondern ein ambivalentes Wesen.
Drachentöter und Helden: Der Drache als Symbol des Bösen und Hüter von Schätzen
In der westlichen Kultur ist der Kampf gegen den Drachen ein wiederkehrendes Motiv. Zwei sehr bekannte Beispiele: Der Heilige Georg, der den Drachen von einem Schimmel aus mit dem Speer erlegt. Der Drache steht dabei symbolisch für den Teufel. Georg tötet nicht einfach nur ein bedrohliches Untier, sondern verhilft dem Guten zum Sieg über das Böse.
Auch Siegfried, Held des Nibelungenlieds, besiegt den Drachen. Er nimmt danach ein Bad im Drachenblut, weil dieses ihn unverwundbar werden lässt. Unglücklicherweise bemerkt er nicht, dass ein Blatt zwischen seine Schulterblätter gefallen ist. Statt mit einem hundertprozentigen Panzer entsteigt er dem Bad mit einer Schwachstelle, um die er nicht weiß, und die er daher nicht schpützt. Prompt führt das zu seinem späteren Tod.
Siegfrieds Motive hatten weniger mit Gut und Böse zu tun, und mehr mir Ruhm und Mammon: Der Drache in der Nibelungensage bewachte einen goldenen Hort; sein Tod stärkte nicht nur Siegfrieds Ruhm als unerschrockener und unbesiegbarer Held, sondern machte ihn auch steinreich.
In „Der kleine Hobbit“ greift J. R. R. Tolkien später das Motiv des Drachen auf, der einen Goldschatz von unermesslichem Ausmaß bewacht. Anders als in den Nibelungen wird der Drache hier nicht getötet und auch nicht besiegt, sondern von einem ausgesprochen unheldenhaften Wesen mit einer List bestohlen. Stärke allein reicht eben nicht.
Die bekannte Thematik Drache-Held-Prinzessin stammt aus der griechischen Mythologie: Perseus, der Andromeda vor dem Seeungeheuer rettet bildet die Grundlage für ein Motiv, das bis heute immer wieder variiert wird. Praktisch immer wird die Prinzessin gerettet – der Drache muss nicht zwangsläufig sterben. Im Animationsfilm „Shrek“ zum Beispiel findet der Drache seine große Liebe im permanent quasselnden Esel.
Welche Wissenschaft beschäftigt sich mit Drachen?
Der Drache in der Naturwissenschaft
Der Drache ist „[…] eine ungeheure grosse Schlange, die sich in abgelegenen Wüsteneyen, Bergen und Stein-Klüfften aufzuhalten pfleget, und Menschen und Vieh grossen Schaden zufüget. Man findet ihrer vielerley Gestalten und Arten; denn etliche sind geflügelt, andere nicht; etliche haben zwey, andere vier Füsse, Kopff und Schwantz aber ist Schlangen-Art.“ So heißt es in Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Viele Naturforscher waren damals von der Existenz realer Drachen überzeugt.
Es gab Klassifizierungsversuche (ein Wasserdrache sieht schließlich ganz anders aus, als ein Tatzelwurm oder ein fliegender, feuerspeiender Drache mit drei Köpfen) und mögliche Erklärungen über die Herkunft: So war es eine gängige Meinung, dass Drachen auf den Schlachtfeldern aus den Leibern erschlagener Menschen entstehen können. Immerhin konnten in Tierkadavern ja auch Maden „entstehen“, das war mit den Drachen praktisch dasselbe, nur in Groß.
Obwohl es schon früh Zweifler und Gegenstimmen gab, hielt sich der Glaube an die Existenz von Drachen recht lange. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die großen Saurierskelette entdeckt wurden, erhielt die Kryptozoologie (die Beschäftigung mit Tieren, für deren Existenz es außerhalb von Sagen und Märchen kaum Belege gibt) neuen Aufschwung. Immerhin bewiesen die Fossilien die Existenz riesiger Ungeheuer, die schon in der Bibel erwähnt wurden. Wenn es die einen gab – warum dann nicht auch die anderen?
Der Drache in der Moderne: Töten, kuscheln und reiten
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erlebt der Drache eine Renaissance und Neuinterpretation: In der Fantasyliteratur ist der Drache mit Attributen wie Stärke, Weisheit und magischer Begabung ausgestattet. Er kann fliegen und Feuer speien, er ist oft nicht mehr einfach nur böse oder gut, sondern nimmt beide Seiten ein, und ist in mehr oder weniger großem Rahmen zur Verbundenheit und Freundschaft mit dem Menschen fähig (und gewillt).
In „Das Lied von Eis und Feuer“, das die Buchvorlage für „Game of Thrones“ liefert, sind die Drachen ein zentrales Element der Macht: Mit ihnen als Waffe setzt Daenerys Targaryen ihren Anspruch auf den eisernen Thron durch. Die Drachen bleiben furchteinflößend – sie sind nur sehr begrenzt gezähmt und beherrschbar, und es ist wenigen Auserwählten vorbehalten, sie zu kontrollieren und zu reiten.
Weit freundlicher sind da die Drachen im Animationsfilm „Drachenzähmen leicht gemacht“ – zwar können auch diese Drachen immer noch töten, sind starke, wilde und freiheitsliebende Geschöpfe, aber zugleich sind sie freundlich, solidarisch und „ihrem“ Menschen in Treue und Freundschaft verbunden. Der freundliche Drache wird hier hier als Stilmittel genutzt, um zu zeigen, dass es sich lohnt, das Fremde und Furchteinflößende nicht einfach zu töten, sondern es kennenzulernen und sich damit anzufreunden. Das kann auch als Allegorie für den Umgang mit zwischenmenschlichen oder inneren „Drachen“ herhalten.
Endgültig zum liebenswerten Kuscheltier wird der Drache in Zeichentrickserien und Kinderbüchern: Der grüne Drache Tabaluga, der Halbdrache Nepomuk (Jim Knopf), der Halbdinosaurier Urmel aus dem Eis, der kleine Drache Kokosnuss und Grisu, der kleine Drache, der so gerne Feuerwehrmann wäre, aber leider versehentlich das ein oder andere in Brand steckt: Diese Drachen haben nichts mehr mit den Ungeheuern der Antike zu tun, sondern sind durch und durch liebenswert und gut.
Diese Umdeutung der alten Schreck- und Feindbilder wird nicht nur positiv gesehen: Wenn man Sinnbilder für den Teufel und das Böse ihrer Bedeutung beraube, könnten diese auch nicht mehr ihre Funktion erfüllen, nämlich bei der Bewältigung des Bösen in der Wirklichkeit zu helfen, sagen Kritiker.
Bücher und Filme mit Drachen
Ob real oder erfunden – Drachen bleiben faszinierende Wesen, die die Fantasie anregen. Sie wollen Ihren persönlichen Lieblingsdrachen finden? Furchteinflößend und grausam, hilfsbereit und freundlich, tollpatschig und niedlich, weise und bedacht: Wir haben Bücher und Filme mit Drachen für jeden Geschmack zusammengestellt und wünschen viel Freude bei einem Streifzug in die Welt der geflügelten Feuerspeier.