Wegkreuze und Kreuzwege: Religiöse Klein­denk­ma­le in Deutschland

Flurkapellen, Bildstöcke, Brückenheilige und Gedenksteine: Die Vielfalt religiöser Kleindenkmale ist überraschend. Manch eines hat eine düstere Geschichte.

Am Emerberg bei Zwiefalten: Gedenkstein für den ermordeten elfjährigen Josef Wiker.

Ende August bekommt der elfjährige Josef Wi­ker von seinem Patenonkel eine Uhr ge­schenkt. Wenige Tage später, am 6. Sep­tem­ber 1818, wird er auf dem Nachhause­weg von der Latein­schule überfallen, be­raubt und er­sto­chen. Sein Mörder, ein arbeits­lo­ser Knecht, wird verurteilt und hingerich­tet.

Heute erinnert nur noch ein Gedenk­stein an die Bluttat. Aufgestellt haben ihn die An­gehörigen des Opfers. Er steht mitten im Wald, fast vergessen an der Kreuzung meh­re­rer auf­ge­lassener Forstwege. Die In­schrift ist verwittert, Moos und Flechten be­de­cken den Stein.

Das Aufstellen eines Kreuzes war Be­stand­teil vieler Sühneverträge

Solche Gedenksteine gibt es in ganz Deutschland, an Wegen, unter einzelnen Bäumen, mitunter auch mitten im Dorf. Bei den Wenigsten ist der Grund für die Aufstellung so gut dokumentiert wie bei Josef Wiker. Oft ist die Inschrift nicht mehr zu entziffern oder fehlt ganz. Viele dieser steineren Zeitzeugen sind Unachtsamkeit, Unwissenheit oder mut­wil­liger Zerstörung zum Opfer gefallen, ihre Geschichte ebenso verloren gegangen, wie die Steine selbst. Fest steht, dass die meisten im Zusammenhang mit Tötungs­de­lik­ten oder Un­glücksfällen aufgestellt wurden.

Sühnekreuz, vermutlich aus dem 30-jährigen Krieg.

Dies gilt auch für die Sühnekreuze, die vorwiegend zwischen dem 13. und 16. Jahr­hun­dert gesetzt wurden. Diese gedrungenen, meist aus einem Block gehauenen Gra­nit-, Sandstein- oder Basaltkreuze finden sich hauptsächlich in Mitteldeutschland und der Oberpfalz, wobei Basaltkreuze fast ausschließlich in der Eifel vorkommen. Sie zäh­len zu den ältesten erhaltenen Flurdenkmalen. Nicht die Verwandten des Opfers, son­dern der Täter selbst oder dessen Familie stellten diese Kreuze auf.

Wurde jemand im Streit oder anderweitig ohne Absicht getötet, musste sich der Schul­dige mit den Angehörigen des Opfers einigen, indem er mit ihnen einen pri­vat­recht­li­chen Sühnevertrag schloss. Das Aufstellen eines Kreuzes an der Un­glücks­stel­le war in katholischer Zeit häufig Bestandteil solcher Sühneverträge. So soll­ten Vo­rü­bergehende angehalten werden, für die Seele des Getöteten, der ohne Er­halt der Sterbesakra­men­te zu Tode gekommen war, Fürbittgebete zu halten.

 

In reformierten Gegenden wurden keine Heiligen dargestellt

Wegkreuz und Marterl sind typisch für katholische Regionen.

Mit dem Beginn der Reformation und dem Bildersturm hörten die Steinkreuzsetzungen in evangelischen Gegenden um 1530 schlagartig auf. Die fast zeitgleiche Einführung der Peinlichen Halsgerichtsordnung („Carolina“, Karl V, 1532), die die alten Süh­ne­ver­trä­ge ablöste, war ein weiterer Grund, dass kaum noch Sühnekreuze auf­ge­stellt wur­den.

Die Tradition der Gedenksteine oder -kreuze hingegen ist erhalten geblieben – in Form schlichter Holzkreuze, die an verkehrsreichen Straßen an Unfallopfer erinnern. Laut Stra­ßenverkehrsordnung ist das Aufstellen solcher Unfallkreuze übrigens verboten. Aus na­he­liegenden Gründen wird diese aktive Form der Trauerarbeit aber meist toleriert.

Neu restauriert: Die Peterskapelle am Emerberg. Viele religiöse Kleindenkmäler verfallen und verwahrlosen, weil Zeit und Geld zur Erhaltung fehlen.

Wer seine Augen offenhält, entdeckt neben Sühnekreuzen und Gedenksteinen noch ei­ne Menge anderer religiöser Kleindenkmale am Wegrand. Flurkreuze und Weg­ka­pel­len gehören ebenso dazu wie Bildstöcke, Totenbretter, Lourdes-Grotten oder Kreuz­we­ge, Brunnen- oder Brückenfiguren. Im weiteren Sinne können auch Gipfelkreu­ze und sogar Grabsteine dazu gezählt werden.

Grabsteine einmal ausgenommen, finden sich diese Kleindenkmale fast ausschließlich in katholisch geprägten Regionen. In Anlehnung an das zweite Gebot („Du sollst dir kein Bildnis machen“) lehnten die Anhänger der Reformation jede bildliche Darstellung Chris­ti oder der Heiligen als Götzendienst ab; allenfalls wurden schlichte Kreuze ohne Cor­pus aufgestellt.

Flurkreuze sind Ausdruck des Glaubens und der Frömmigkeit

Viele Wegkreuze sind aufwändig gearbeitet.

Im katholischen Glauben wurde und wird das zweite Gebot großzügiger ausgelegt. „Der Mensch besteht aus Geist und Leib“, so Pfarrer i. R. Erwin Binder. „Religion muss sich auch verleiblichen. Es ist wichtig, auch außerhalb des Kirchenraumes Zeichen des Glau­bens zu setzen.“ Er sieht die religiösen Flurdenkmale als Ausdruck der Fröm­mig­keit und des Dankes. „Flurkreuze wurden oft errichtet, um den Segen Gottes für die Felder zu erbitten, oder um etwa für eine überstandene Krankheit zu danken.“

Dieses Wegkreuz gemahnt als das Dasein als Sünder und kommt ein wenig vorwurfsvoll daher.

Meist sind diese Kreuze aus Holz oder Metall, oft sind sie übermannshoch und schon aus großer Enfernung zu sehen. Damit sind sie auch wichtige, auf topographischen Land­karten eingezeichnete, Landmarken. Auch wenn alle die Kreuzform gemeinsam haben, sind doch kaum zwei gleiche darunter. Während manche nur aus zwei einfachen Holzbalken bestehen, sind andere aufwändig gearbeitet, mit geschnitzten, oft blatt­gold­überzogenen Jesus-Skulpturen und sorgfältig gearbeiteten Inschriften.

Auf Kreuzwegen empfanden Christen den Leidensweg Jesus’ nach

An den vierzehn Kreuzwegstationen empfanden Christen den Leidensweg Jesu nach.

„Gott segne unsere Fluren“, heißt es auf einem. Schlicht und einfach „Danke!“ auf ei­nem anderen. Ein drittes hat einen düsteren und fast ein wenig vorwurfsvollen Unter­ton. „Sieh oh Sünder hier dein Werk“, steht auf dem Sockel des 1907 gestifteten Kreuzes. „Im Kreuz allein ist Heil“, auf einem vierten, das zugleich Bestandteil eines Kreuzweges ist.

„Kreuzwege stellen den Leidensweg Christi nach“, erklärt Erwin Binder. „Viele Christen hatten das Bedürfnis, diesen nachzugehen, konnten sich aber keine Pilgerfahrt ins Hei­lige Land leisten. Um sich wenigstens geistig auf die Reise zu begeben, bildeten sie die Via Dolorosa mit den Kreuzwegstationen nach.“

Die Wegkreuzgruppe erinnert an Golgotha.

Meditationstexte können auch Nichtchristen helfen, einen Zugang zum Kreuzweg zu finden.

Für gewöhnlich sind es vierzehn solcher Stationen, von der Verurteilung Jesu zum Tod bis zur Grablegung. Gelegentlich findet sich mit der Kreuzauffindung durch Kaiserin He­lena oder mit der Auferstehung auch eine fünfzehnte Station. Oft sind sie in Form von Bild­stöcken gehalten, das sind Säulen oder Pfeiler mit einem tabernakelartigen Auf­satz, die ein Bild oder eine Figur von Jesus, Maria oder eines Heiligen enthalten. Die­se Bild­stöcke oder „Marterl“ sind hauptsächlich in Süddeutschland verbreitet, häufig finden sie sich an Wegkreuzungen oder an Hofzufahrten. Mitunter sind sie so großzügig ge­stal­tet, dass der Übergang zur Feldkapelle fließend ist.

An vielen Kleindenkmalen nagt der Zahn der Zeit

Religiöses Kleindenkmal: Der doppelgesichtige Marienbrunnen in Zwiefalten-Baach.

Auch Brücken- und Brunnenfiguren haben oft religiöse Motive als Sujet: Der heilige Chris­tophorus, der das Jesukind über den Fluss trägt, findet sich häufig auf Brü­cken­ge­ländern; Maria ist eine beliebte Brunnenfigur. Eine echte Besonderheit ist der dop­pel­gesichtige Marienbrunnen in Zwiefalten/Baach: Weil eine Brunnenstatue auf dem Dorf­platz von allen Seiten gesehen wird und von hinten reichlich langweilig wirkt, hat ihr der Künstler einfach zwei Vorderseiten verpasst und zwei Gesichter, die sich al­ler­dings nur einen Heiligenschein teilen.

Auch Grabsteine gehören zu den religiösen Kleindenkmalen.

Erst kürzlich wurde dieser Brunnen restauriert und die abblätternde Farbe erneuert. Vie­len Kleindenkmalen ergeht es weniger gut: Sie sind in schlechtem Zustand und müss­ten dringend restauriert werden. Meist fehlt aber das nötige Kleingeld um alle über­wu­cherten, vernachlässigten, bröckeligen oder zerstörten Denkmale zu renovieren. Häu­fig sind die Besitzverhältnisse und damit die Zuständigkeit unklar; oft fehlt auch das In­te­resse. Das ist schade, denn mit ihnen verschwindet auch immer ein Stück Geschich­te.

Der pen­sio­nierte Pfarrer Erwin Binder ergänzt: „Kreuzwege, Feldkapellen und Bild­stöcke sind Orte der inneren Einkehr und der Besinnung. Es ist schade, wenn sol­che Plätze vernachlässigt und nicht mehr genutzt werden.“

Wer sich spirituell weiter mit dem Thema auseinandersetzen möchte, dem seien die Meditationstexte von Weihbischof Florian Kuttner ans Herz gelegt. Legenden, Sagen und Geistergeschichten rund um Wegkreuze, Marterln und Kapellen liefert das Buch von Helene Reißmann.

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