Häuserkaskaden und Kastanienwälder, ein verheerendes Erdbeben und blutige Partisanenkämpfe, weite Ausblicke und kurzsichtige Entscheidungen: Im Hinterland Liguriens finden wir verschlafene Dörfer, stolpern über einen Berg und blicken aufs Meer. Die Tagestour führt von Sanremo über Ceriana nach Bajardo und über den Monte Bignone wieder zurück.
Die Tour ins Gebirge startet in der Hafenstadt Sanremo. Mit rund 57.000 Einwohnern gehört Sanremo zu den größten Orten der Blumenriviera und ist einer der renommiertesten Urlaubsorte: Hier überwinterten deutsche Kaiser, englische Lords und russische Zaren.
Alfred Nobel kaufte sich hier einen hochherrschaftliche Wohnsitz, Adelige, Künstler und Schriftsteller stiegen in Jugenstilvillen ab, flanierten an der palmengesäumten Seepromenade und versuchten ihr Glück im Casinò Municipale, das zwischen 1904 und 1906 gebaut wurde und der Stadt noch heute Millionen einbringt. Auch wenn der Massentourismus den Charme früherer Jahrzehnte an vielen Stellen überdeckt, ist Sanremo mit seinen Jugenstilvillen und eleganten Hotels einen Besuch wert.
Sanremo liegt in einer weitläufigen Bucht an der Riviera di Ponente. Die orientalisch anmutende Altstadt mir ihren Villen, das Casino und die Sandstrände locken Scharen von Touristen an. Im Osten der Stadt führt die SP 55 rasch ansteigend in die Ausläufer der Ligurischen Alpen.
Die Straße ist gesäumt von Gewächshäusern, viele davon längst aufgelassen. Sie deuten darauf hin, woher die Blumenriviera ihren Namen hat: Hier wurden die schönsten Rosen Italiens und viele weitere Gewächse kultiviert. Heute spielt die Blumenzucht als Wirtschaftsfaktor kaum noch eine Rolle.
Kurvenreich führt die SP 55 durch Wein- und Ölbaumterrassen ins Gebirge. Nur etwa acht Kilometer sind es von der Querung der Küstenautoban bis nach Ceriana – gefühlt ist die Fahrt viel länger und führt in eine gänzlich andere Welt, fernab von Massentourismus und Trubel.
Wie ein „Häusergebirge“ türmt sich die Altstadt von Ceriana am Steilhang über dem Armeafluss auf.
Ein Gewirr schmaler Gewölbegassen und Treppen verbindet die höher gelegenen Ortsteile mit dem Fluss.
Wir haben bei dieser Tour in einem sehr schönen und gut ausgestattetem Appartment * in der Nähe von Bordighera gewohnt. Die Terrassen mit Liegen und Sitzplätzen laden zum Verweilen ein. Es gibt einen kurzen Fussweg zum Strand. Auch die Altstadt und die Strandpromenade von Bordighera können in 15-20 Minuten zu Fuß erreicht werden. Von hier kann man sehr schöne Ausflüge entlang der italienischen und französischen Küste machen und das Hinterland mit den wunderschönen alten Dörfen entdecken. Narda, die Besitzerin, hat uns tolle Tipps gegeben und war sehr hilfsbereit. Wir haben uns die Woche sehr wohl gefühlt.
Eigenheim mit großem Garten? Eher nicht … In den Bergdörfern Liguriens bekommt „verdichtete Bauweise“ eine andere Bedeutung …
Die katholische Kapelle Oratorio della Visitazione di S.Maria (Heimsuchung der Jungfrau Maria) ist eine von insgesamt 17 (!) Kirchenbauten in Ceriana. Sie wurde im 15. Jahrhundert auf römischen Mauern erbaut und nutzt den vorhandenen Platz optimal aus: Links bleibt ein schmaler Durchgang zwischen Kapellenwand und natürlichem Fels; rechts führt eine Galerie am Abgrund entlang.
Rot gepflastert: der touristische „Hauptweg“ ist an dem Streifen roter Pflastersteine zu erkennen – und daran, dass er breit genug ist, um zu zweit nebeneinander zu laufen. Meistens … Von dieser Galerie unterhalb der Kapelle hat man einen schönen Blick ins Tal …
… und auf das Oratorium Santa Caterina d’Alessandria (links) und die Chiesa dei Santi Pietro e Paolo (rechts). Mit dem Bau des Oratoriums wurde im 14. Jahrhundert begonnen – fertiggestellt wurde der Bau erst 1737 im Barockstil. Die Alte Kirche von St. Peter und Paul wurde 1546 geweiht und zeigt viele romanische Elemente. Fälschlicherweise wird sie oft als „Kirche des Heiligen Geistes“ bezeichnet. Durch ihre Lage am Ortsrand wurden die beiden Kirchen auch als Friedhöfe genutzt.
Im wahrsten Sinn des Wortes gut gefahren sind wir bisher mit den Mietwagen von billiger-mietwagen.de *. Die Angebote sind recht günstig, die Buchungen sind einfach und Stornierungen bis 24 Stunden vor Mietbeginn problemlos möglich. Wir achten dabei immer auf eine gute Vermieterbewertung und nehmen nur Angebote mit "Vollkasko- und Diebstahlschutz ohne Selbstbeteiligung (durch Erstattung)". Der Vorteil daran ist, dass im Schadenfall die Selbstbeteiligung zunächst beim Vermieter vor Ort bezahlt wird, diese aber vom Veranstalter erstattet wird. Das funktioniert nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, wie wir bei einem Schadensfall in Italien festgestellt haben.
1633 vermachte der wohlhabende Secondino De Ferrari zwölftausend genuesische Lire für den Bau einer neuen Pfarrkirche. Die alte Kirche abseits des Dorfes und unten am Fluss konnte nicht mehr die gesamte Bevölkerung aufnehmen und war obendrein ungünstig gelegen. Außerdem wünschten sich die Würdenträger Cerianas etwas mehr Pomp, den sie mit der neuen Kirche auf der Piazza del Popolo in der Nähe des Rathauses auch bekamen. Um das Niveau der Piaza zu erreichen wurden andere Bauten abgerissen und der „Unterbau“ erstellt.
Neue Kirche – alte Heilige: 1774 wurde die neue Kirche auf die Heiligen St. Peter und Paus geweiht – so wie bereits die alte. Auf Wunsch des Stifters wurde sie zusätzlich auch er Jungfrau Maria Himmelfahrt und dem Heiligen Johannes dem Täufer empfohlen. Der große, helle Innenraum ist im spätbarocken Stil gehalten und beherbergt eine Reihe von wertvollen Kunstschätzen.
Die neue Kirche thront über der Altstadt und prägt bis heute die Ortsansicht von Ceriana. Noch höher steht nur der Turm des Oratorio di Sant’Andrea, einer frühchristlichen Basiklia aus dem 4. Jahrhundert. Das Gebäude wurde entweder auf den Ruinen eines alten heidnischen Apollontempels oder einer ligurischen Burg aus der frühgeschichtlich-römischen Zeit erbaut. Das Oratorium selbst ist ein unauffälliger Bau – weit auffälliger ist der Stadturm direkt daneben.
Der Turm wurde als Wachturm gegen die Invasionen der Türken und Sarazenen gebaut und markiert den höchsten Punkt Cerianas.
Unterhalb des Stadtturms befindet sich einer der zauberhaftesten Plätze Cerianas, die Piazza di Sant’Andrea. Auf dem gepflegten Platz finden im Sommer oft Konzerte geistlicher und profaner Musik statt.
Rund um den Platz finden sich malerische Ecken, aber wenig Leben: Bis auf ein paar Katzen ist uns in Ceriana praktisch niemand begegnet. Viele Häuser der Altstadt stehen leer und verfallen.
Wirklich verwunderlich ist das nicht: So pittoresk der Ort auch ist – er liegt abgelegen, die Infrastruktur ist schwachund die Häuser der Altstadt sind nur zu Fuß und oft über viele Treppenstufen erreichbar. Wer viel Glück hat, wohnt so, dass er seinen Jahresvorrat an Brennholz immerhin mit der Schubkarre transportieren kann und nicht Scheit für Scheit in der Rückentrage …
Heute leben noch knapp 1200 Menschen in Ceriana (Stand Ende 2019) – und eine ganze Reihe von Legenden und Geschichten, wie die von den tanzenden Hexen und dem sprechenden Brunnen, der mal als Orakel auftrat, ein andermal Wünsche erfüllte.
Folgt man der SP 55 weiter nach Nordwesten, gelangt man nach einer etwa zehn Kilometer langen Fahrt durch Kastanien- und Mischwälder ins Bergdorf Bajardo, das überaus malerisch auf einer Hügelkuppe thront und das Land überblickt.
Mystische Lage am heiligen Berg des Apollo: Bajardo liegt rund 900 Meter über dem Meeresspiegel an der Spitze eines (kleinen) Berges. Es war bereits im 1. Jahrtausend vor Christi bewohnt und diente den Druiden als Kultstätte für ihre heidnischen Rituale, bis die Römer den Ort im dritten Jahrhundert einnahmen und in eine Festung umbauten.
Ein Erdbeben erschütterte 1887 den Ort und ließ das Kirchendach einstürzen: Rund einhundert Bauern, die sich zur Feier des Aschermittwochs in der Kirche versammelt hatten, fanden dabei den Tod.
Die Kirchenruine strahlt heute eine eigenwillige Faszination aus – fast fühlt man sich zurückversetzt zu der keltischen Anbetung Gottes (oder der Götter) unter freiem Himmel.
Nach dem Erdbeben verließen die meisten Überlebenden ihre Häuser am oberen Berghang (obwohl diese nicht zerstört worden waren, ließen sie sich weiter unterhalb nieder und bauten den neuen Ort auf.
Eines der mittelalterlichen Häuser direkt neben der verfallenden Kirche wurde in den 1930ern von einer Musikerfamilie gekauft. Während des zweiten Weltkriegs teilte sich Bajardo in drei Lager: Die Faschisten, die Partisanen und die politisch Unbeteiligten. Die Musikerfamilie gehörte zu letzteren und versuchte, den Krieg um sich herum zu ignorieren, obwohl sich die Region um Bajardo zu einer Bastion der Partisanen entwickelte und es zu äußerst gewalttätigen Aktivitäten kam. Nach einer Reihe von Drohungen sah sich die Familie 1944 gezwungen, ihr Haus mitten in der Nacht zu verlassen und zu fliehen. Heute sind in dem Gebäude Ferienunterkünfte untergebracht.
Vom Vorplatz hat man einen schönen Blick ins waldreiche Gebirge und auf den neueren Teil von Bajardo.
Auch in der anderen Richtung öffnet sich der Blick weit ins Land – wer Stille und einen Picknickplatz mit grandioser Aussicht sucht, ist in Bajardo richtig.
Goldener Gockel: Logisch, dass ein Wasserhahn so aussieht! Die goldenen Zeiten hat Bajardo allerdings hinter sich. Heute leben nur noch etwa 340 Menschen in dem Gebirgsdorf (Stand Ende 2019), viele Häuser stehen leer, und der Ort verfällt zusehends.
Bajardo ist vom Tourismus weitgehend unberührt geblieben. Mit einem groß angelegten Renovierungsprojekt sollen die Häuser des historischen Ortsteils rund um die Kirche restauriert und wieder bewohnbar gemacht werden. Hier sieht man bereits gut instand gesetzte Teile der ehemaligen Burg.
Über die SP 56 führt die Tour zurück an die Küste. Nach etwa sieben Kilometern zweigt am Passo Ghimbegna rechts eine schmale Straße zum Monte Bignone ab, dessen Gipfel man nach eineinhalb Kilometern erreicht. Wir sind eher versehentlich dort gelandet, was sich als echter Glücksfall herausstellte – auch wenn die Straßenqualität auf den letzten eineinhalb Kilometern doch zu wünschen übrig ließ. Das Kirchlein auf dem Gipfel ist verriegelt – so wie alle anderen Gebäude auf dem Gipfel ist es verlassen und dem Verfall preisgegeben.
Vom grasbedeckten Gipfel des Monte Bignone (1.299 m) hat man einen wunderbaren Ausblick in alle Richtungen. Nördlich sieht man die ligurischen Alpen, deren über 2.000 Meter hohe Gipfel oft schneebedeckt sind.
Im Südwesten überblickt man die Küste und das Meer.
1936 wurde am Monte Bignone eine Rekord-Seilbahn eröffnet: Mit 7.645 Metern Gesamtlänge war sie damals die längste Seilbahn der Welt. Im letzten Abschnitt betrug der Abstand zwischen zwei Pylonen 1.742 Meter – auch das war ein Weltrekord. Die Seilbahn war überaus beliebt und hätte zur langfristigen Goldgrube werden können, doch es kam anders: Krieg, Misswirtschaft, Animositäten zwischen den Geldgebern, kurzsichtige Entscheidungen, gestohlene Motoren, Sprengstoffanschläge und Verzögerungen im Bauprojekt führten schließlich dazu, dass die Seilbahn 1981 geschlossen wurde. Jeder neue Bürgermeister der Region verspricht in seinem Wahlprogramm die Wiedereröffnung – doch diese wird von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher. Heute ist die Seilbahnstation ein Lost Place.
Das gilt auch für die restlichen Gebäude auf dem Monte Bignone: Vom ehrgeizigen Projekt, ein Feriendorf auf dem Berggipfel zu errichten, ist nicht mehr geblieben, als ein halbfertiges Hotel, das bereits wieder verfällt – und mit einem „Vendesi“-Schild auf einen Käufer hofft.
Die Fahrt auf den Berggipfel lohnt sich aber dennoch – oder vielleicht auch deswegen: Außer ein paar Wanderern und Mountainbikern trifft man auf dem Monte Bignone niemanden. Die Ruhe der Natur, kombiniert mit der eigenwilligen Stimmung der verlassenen Gebäude ist allemal einen Abstecher wert. Zurück auf der SP 56 geht es südwärts über San Romolo zurück nach Sanremo.
Tipp: Liguriens Hinterland hat noch mehr zu bieten: Hier geht’s zu den Tagestouren durch West-Ligurien . Wir führen Sie ins Argentina-Tal, das Hexendorf Triora , zum Fuß des Monte Saccarello, ins Künstlerdorf Apricale , ins aussichtsreiche Bajardo , das verwinkelte Ceriana und auf den Monte Bignone oder nach Dolceaqua .