Wandern am Abgrund: Der Felsenpfad Congost de Mont-Rebei

Der Pfad durch die Mont-Rebei-Schlucht ist mein persönliches Wander-Highlight der letzten Jahre, und im Grunde gibt es dazu nur eins zu sagen: Wow! So sehr „wow“, dass sogar ich dafür ein Frühstück ausfallen lasse, und das will was heißen.

Tag sieben unserer Nordspanien-Rundeise führt uns in den durch den „Grand Canyon Kataloniens“. Der Morgen beginnt neblig, regenverhangen und ohne Frühstück. Das gibt es in Bierge nämlich erst ab neun, und da wollen wir längst unterwegs sein, denn die Wanderung, die wir uns vergenommen haben, ist etwas länger. Ein früher Start ist daher sinnvoll.

 

Congost de Mont-Rebei
Bei unserem Besuch im September hängt kurz vor zehn noch der Nebel über dem Fluss. Nachts hat es geregnet, die Temperaturen sind angenehm kühl, und die Stimmung im ersten Teil der Wanderung lässt uns eher an das schottische Hochland denken, als an Spanien. Heute hätten wir wohl auch etwas später starten können – im Sommer empfiehlt sich ein deutlich früherer Start, denn in der Hochsaison wird es an den Felswänden sehr heiß und auf dem schmalen Pfad auch mal voll.

 

Congost de Mont-Rebei
Felswände? Schmaler Pfad? Erstmal sehen wir nicht viel davon, sind aber beeindruckt von den Hochwassermarken am Ufer. So wirklich vorstellen können wir uns nicht, dass der flussabwärts gelegene Stausee einst so hoch und so weit flussaufwärts stand, oder welches Spektakel Hochwasser in der Schlucht bedeutet.

 

Congost de Mont-Rebei
Ein paar Stunden später ist der Durchbruch, den der Fluss Noguera Ribagorzana durch die Vorpyrenäen-Bergkette Montsec gegraben hat, mebelfrei und deutlich zu erkennen.

 

Congost de Mont-Rebei
Nach knapp zwei Kilometern überqueren wir auf der ersten Hängebrücke einen kleineren Seitencanyon. Wer Höhenangst hat, wird an der schmalen, schwankenden Brücke mit dem Gitterboden keine Freude haben. Obwohl wir schwindelfrei sind, wären wir nicht auf die Idee gekommen, auf dem Handlauf der Brücke zu balancieren – wir fragen uns ernsthaft, warum dieses explizite Verbot nötig wurde, wollen es aber im Grunde gar nicht so genau wissen …

 

Congost de Mont-Rebei
Die Mont-Rebei-Schlucht markiert die Grenze zwischen Aragonien und Katalonien. Der größere Teil des Wanderwegs verläuft im östlich gelegenen Katalonien, auf der linken Flussseite (in Fließrichtung gesehen).

 

Congost de Mont-Rebei
Trittsicherheit und gutes Schuhwerk sind auf dem Wanderweg durch die Schlucht unerlässlich. Stöcke fanden wir an vielen unwegsamen Stellen hilfreich, auch wenn wir mit dieser Meinung wohl ziemlich alleine dastanden: Kaum ein Wanderer, der uns begegnete, nutzte Wanderstöcke.

 

Congost de Mont-Rebei
Der spektakulärste Teil des Wanderwegs wurde in die senkrechte Felswand gehauen. Schwindelfreiheit vorausgesetzt ist dieses Wegstück technisch nicht schwierig – der Pfad ist weit weniger unwegsam als manch anderes Stück, und es sind keine Steigungen zu bewältigen. Ein Geländer ist weder vorhanden noch zwingend notwendig – das Halteseil an der Wand haben wir nur dann benutzt, wenn wir uns für ein Foto näher an den Abgrund wagten. Problematisch kann es werden, wenn auf dem Pfad viel los ist, und beim Vorbeigehen keiner die „Außenseite“ benutzen möchte. Die Begegnung von zwei Wandergruppen mit jeweils mehreren Hunden verlief lautstark aber zum Glück unfallfrei.

 

Congost de Mont-Rebei
Orangenkeks mit Aussicht: Rund 500 m tief ist die Mont-Rebei-Schlucht. An der engsten Stelle rücken die senkrechten Felswände bis auf zwanzig Meter aneinander heran. Vom Wanderweg bis zur Wasseroberfläche sind es etwa fünfzig Meter. In den Kurven wurden Picknickbänke aufgestellt.

 

Congost de Mont-Rebei
Anders als es in Deutschland vermutlich üblich wäre, gibt es auch hier kein Geländer, und netterweise auch keine Rücklehnen an den Bänken. So kann man sich wahlweise mit dem Rücken oder mit dem Gesicht zur Schlucht setzen und über dem Abgrund mit den Füßen baumeln. Der Blick ist umwerfend, und „zwingt“ alle paar Meter zum Stehenbleiben, Gucken und Fotografieren.

 

Congost de Mont-Rebei
Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht! Höhenangst darf man allerdings absolut keine haben. An einigen Stellen wird der Weg dann nämlich doch etwas holprig, schmal und schräg …

Congost de Mont-Rebei
Nach dem (weitgehend waagrechten) in die Felswand gehauenen Wegstück führt der Pfad bergab. Schaut man flussaufwärts (linkes Bild), erinnert die Landschaft an Utah und Colorado. Nicht umsonst wird der Congost de Mont-Rebei auch „Grand Canyon Kataloniens“ genannt, wobei der echte Grand Canyon bei weitem nicht so schmal ist. Flussabwärts (rechtes Bild) erkennt man (mit guten Augen …) bereits das nächste Highlight: Die schmale Hängebrücke über den Fluss und die neue Holztreppe, die im Zickzack die Felswand hinunter- bzw. hinaufführt.

 

Congost de Mont-Rebei, Hängebrücke
Atemberaubend: Die Hängebrücke „Pont del Seguer“ verbindet Aragonien und Katalonien an der engsten Stelle der Schlucht. Die Brücke ist zwischen Montañana Huesca im Norden und der Talsperre Presa de Canelles im Süden die einzige Möglichkeit, den Fluss trockenen Fußes zu überqueren. Bis in die Nachkriegsjahre gab es hier eine unsichere Fußgängerbrücke, über die Material aus den Minen der Gegend transportiert wurde. Mit dem Bau der Talsperre 1960 verschwand die Brücke im Wasser des entstehenden Stausees – ebenso wie der damals noch viel tiefer gelegene Weg am Flussufer. Die umliegenden Dörfer der sehr dünn besiedelten Region wurden aufgegeben, und rund sechzig Jahre lang gab es keine Brücke über den Fluss. Dann entschloss sich die Regierung von Aragonien, die Verbindung zwischen den Ufern wieder herzustellen und baute die moderne Metallbrücke, die heute rund fünfzig Meter über der Wasseroberfläche über den Fluss führt.

 

Congost de Mont-Rebei
Das Wegstück nach der Brücke ist anstrengend – es geht steil bergauf, die Steine sind glatt gelaufen und entsprechend rutschig, die Geländestufen sind teilweise kniehoch, und auf dem losen Geröll kommt man schnell mal ins „Kullern“. Die Sonne brutzelt auf die Westwand des Canyons. Später erzählt uns die Wirtin in unserer Pension in Llimiana, dass im Hochsommer an den Felswänden der Schlucht Temperaturen bis zu 62 Grad gemessen wurden, und wir sind froh, dass wir einen Septembertag mit leichtem Wind und vergleichsweise angenehmen Temperaturen von 25-30 Grad erwischt haben.

 

Congost de Mont-Rebei
Dass wir uns die Mühe des Aufstiegs machen, hat nur einen Grund: Den Abstieg. Ich möchte unbedingt zu der Treppe, die ich auf Bildern gesehen habe und völlig absurd fand. Die Realität zeigt: Das Bauwerk hat tatsächlich etwas Absurdes: Mitten in der senkrechten Felswand hängt eine massive Holz-Eisenkonstruktion, die im Zickzack hinab zum Fluss führt. Wieder zuhause stelle ich fest, dass nicht nur ich das so empfinde: „Die Metallbrücke erscheint einigermaßen sinnvoll, da nach der engsten Stelle zwischen den beiden Ufern gesucht wurde und der Durchgang mehr oder weniger dort wiederhergestellt wird, wo bereits eine bestanden hat. Die Laufwege hingegen sind skurriler und statt nach der einfachsten und logischsten Stufe zu suchen, wurde an zwei sehr senkrechten Wänden ein komplexes System aus zick-zack-förmigen Treppen installiert. Das Ergebnis ist spektakulär, mit einem kurvenreichen und ästhetisch anstößigen Verlauf, da die beiden Wände aus der Ferne mit einem großen Zick-Zack-Reißverschluss zusammengenäht zu sein scheinen.“, schreibt der Blogger Marc von engarrista.com und ergänzt, was wir uns auch dachten: „Man hätte viel einfachere Routen finden können, bei denen man auch nicht klettern musste, um wieder abzusteigen. Aber es scheint, dass genau Spektakulärität statt Rationalität angestrebt wurde.“

 

Congost de Mont-Rebei, Treppe
Sei’s drum: Uns freut es, denn die Treppe ist in ihrer Art ziemlich einzigartig, und dass das nicht allzu natürliche Bauwerk den Namen „Camino Natural“ erhalten hat, finde ich witzig. Rund 800.000 Euro soll die Treppe gekostet haben, finanziert von der spanischen Regierung, unterstützt von EU-Zuschüssen. Wie nachhaltig der Bau ist, und wie lange eine der Witterung ausgesetzte Holztreppe sicher und stabil ist, bleibt abzuwarten. Eine Attraktion ist die Treppe allemal – im wenige Kilometer entfernten und bis vor kurzem völlig verlassenen Montfalcó gibt es seit einiger Zeit eine Herberge, die auch das ganze Jahr in Betrieb ist. Sie ist eine der sehr rar gesäten Unterkünfte, die Wanderer in der näheren Umgebung finden, und einer der möglichen Zustiege in die Mont-Rebei-Schlucht.

 

Congost de Mont-Rebei
120 m lang, 215 Schritte, 44 Höhenmeter – sagt das Schild am Fuß der Treppe. Ich selbst zähle knapp 300 Stufen mit entsprechend mehr Schritten, und hätte den Höhenunterschied eher auf +/- 60 Meter geschätzt, aber was Höhen angeht, ist das Gefühl trügerisch, vor allem, wenn man „im Nichts“ steht. So oder so: Die Treppe haut mich um. Erneut sind wir froh um den kühlen Aufwind an der Felswand und ein paar Wolken, die sich freundlicherweise genau zur richtigen Zeit vor die Sonne schieben – bei hochsommerlichen Temperaturen ist der Aufenthalt auf der Treppe eher nicht so, dass es zum Päuschen in luftiger Höhe einlädt …

 

Congost de Mont-Rebei
Am Fuß der Treppe drehen wir um und wandern denselben Weg zurück, den wir gekommen sind – zum Parkplatz Masieta am Nordende der Schlucht. Mittlerweile ist es früher Nachmittag, es ist wärmer und deutlich voller geworden. Schulklassen, Wandergruppen und Hunde drängen sich an manchen Stellen. Letztere müssen auch mal getragen werden.

 

Congost de Mont-Rebei
Auch wenn ich normalerweise kein Freund von „hin und zurück“-Wanderungen bin, und Rundwege deutlich bevorzuge: Die Mont-Rebei-Schlucht ist eine der Ausnahmen, und wird auch am Rückweg nicht langweilig. Wer nicht beide Wege laufen möchte, kann sich mit dem Wassertaxi ein Stück weit bringen lassen oder den Fluss mit dem SUP oder Kajak befahren. Etwa auf Höhe der Hängebrücke/Treppe soll es einen provisorischen Anleger und einen Zustieg zum Wanderweg geben. Das haben wir allerdings nicht überprüft. In der Region gibt es auch mehrere Anbieter für Kajak- und Kanutouren durch die Schlucht.

 

Congost de Mont-Rebei
Die letzten zwei Kilometer Rückweg ziehen sich – mittlerweile ist es mollig warm, und wir sind seit fünf Stunden unterwegs, davon 3 h 20 min reine Gehzeit. Insgesamt kommt die Strecke bis zum Fuß der Treppe und zurück auf gut zwölf Kilometer. Knapp 750 Höhenmeter sind zu bewältigen – eine gute Grundkondition sollte also vorhanden sein. Noch wichtiger sind gutes Schuhwerk, Sonnenschutz und vor allem ausreichend Wasser. Einen halben Liter pro Stunde und Kopf gilt an heißen Tagen als Faustregel – eineinhalb bis zwei Liter sollten immer im Gepäck sein, denn unterwegs gibt es nirgends eine Möglichkeit, die Wasservorräte aufzufüllen. Die häufigsten Notfalleinsätze in der Mont-Rebei-Schlucht rühren nicht von Stürzen, sondern von Dehydrierung, Hitzschlag oder Kreislaufkollaps, weil Besucher die Gegebenheiten unterschätzen.

 

Congost de Mont-Rebei
Zurück am Einstiegspunkt „überfallen“ wir den Kiosk: Die kalte Cola kostet ein kleines Vermögen, ist aber jeden Cent wert. Den Schuhabstreifer dürfen wir kostenlos benutzen. Im Kiosk gibt es neben kalten Getränken auch ein paar Souvenirs sowie Informationen über die Fauna und Flora der Region.

 

Praktische Hinweise zur Wanderung

Die Schlucht ist von drei Richtungen erreichbar – von Montfalcó im Südwesten, vom Pertusa-Parkplatz im Südosten und vom Masieta-Parkplatz im Norden.

 

Congost de Mont-Rebei, Parkplatz
Wir entscheiden uns für den nördlichen Startpunkt am Masieta-Parkplatz. Der Parkplatz ist von Februar bis Mitte Dezember geöffnet und kostenpflichtig. Die Stellplätze sind begrenzt; Besucher mit bereits gebuchten Tickets haben Vorrang. Es empfiehlt sich daher, vorab ein Tagesticket online zu buchen. Außerhalb der Öffnungszeiten ist das Parken hier nicht möglich. Entlang der Straße ist es fast überall verboten (und es werden wohl auch Kontrollen durchgeführt und saftige Strafzettel verteilt), nur an einigen Stellen gibt es Möglichkeiten, um ein Auto abzustellen.

 

Die Öffnungszeiten sind:

  • Vom 5. Februar bis 27. März, 8:30 bis 16:45 Uhr
  • Vom 1. April bis 23. Oktober, 7:30 bis 19:45 Uhr.
  • Vom 28. Oktober bis 11. Dezember, 8:30 bis 16:45 Uhr.

 

  • Der Eingang zur Schlucht ist kostenlos.
  • Es wird empfohlen, die Wanderung spätestens um elf zu beginnen; im Sommer besser früher als später.
  • Mountainbiken auf dem Wanderweg ist untersagt.
  • Hunde sind an der Leine zu führen und sollten mit unwegsamem Gelände und Gitterstegen zurechtkommen (oder leicht genug sein, um sie tragen zu können).
  • Das Mitnehmen von Pflanzen und Mineralien aus der Schlucht ist verboten – das Mitnehmen des eigenen Mülls hingegen ausdrücklich erwünscht. Mülleimer gibt es auf der Strecke übrigens keine.
  • Heimische Tiere dürfen nicht gestört werden – das gilt vor allem für Kletterer, die sich abseits des Pfades bewegen, denn die gesamte Region ist Brutgebiet vieler Raubvögel und Geier.
  • Achten Sie darauf, ausreichend Wasser (und Kekse!!) mitzunehmen – es gibt im gesamten Verlauf der Wanderung keine Einkehrmöglichkeit und keine touristische Infrastruktur.
  • Nehmen Sie je nach Witterung warme Kleidung, Sonnen- und/oder Regenschutz mit.

Wer diese paar Dinge beachtet, kann in der Mont-Rebei-Schlucht eine Wanderung erleben, die man nicht so schnell vergisst, und die ihresgleichen sucht. Wir sind jedenfalls sehr froh, sie gemacht zu haben.

Llimiana
Müde aber zufrieden fahren wir weiter ins knapp vierzig Kilometer entfernte Llimiana, einem beschaulichen kleinen Bergdorf mit grade mal zwanzig ständigen Einwohnern, das oberhalb des Terradets-Stausees liegt. Von dort soll es am achten Tag unserer Nordspanien-Rundreise weitergehen ans Ende der Welt: Zu den Höhlensiedlungen von la Vanse und zum ehemaligen Refektorium bei Pinell de Solsones.

 

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