Cova de la Vansa und Pinell de Solsonès: Wohnen am Ende der Welt

Wer die Behausungen in der Vansa-Höhle sehen will, braucht Pfadfindergene und eine gute Wanderkarte. Auch das zur Herberge umgebaute Refektiorium in Pinell de Solsonès ist gut versteckt. Der Lohn: Sehr viel Ruhe und ein bisschen Abenteuer.

Tag acht unserer Nordspanien-Rundreise ist ein bisschen wie Ostern: Wir suchen ziemlich viel, und finden ein paar schöne Überraschungen (aber keine Schokolade). Nach der langen Wanderung in der Mont-Rebei-Schlucht am Vortag starten wir heute mit einem späten (und eher übersichtlichen) Frühstück auf dem Hauptplatz von Llimiana in den Tag. „Hauptplatz“ ist hoch gegriffen – Llimiana hat gerade mal zwanzig ständige Einwohner und ist entsprechend beschaulich.

 

Roca Regina, Terradets-Stausee
Llimiana liegt auf dem linken Hügel oberhalb des Terradets-Stausees. Der von Westen nach Osten verlaufende Gebirgszug Serra del Montsec ist bis 1676 m hoch. Der Fluss Noguera Pallaresa hat sich in einer engen Schlucht tief eingeschnitten und teilt die Serra del Montsec in ihren östlichen und mittleren Teil. Weiter im Westen ist es der Noguera Ribagorzana der mit der Mont-Rebei-Schlucht den dritten Teil der Serra del Montsec „abtrennt“ und zugleich die Grenze zwischen Aragonien und Katalonien markiert.

 

Llimiana
In Llimiana ist es ruhig, vor allem im September, am Ende der Saison. Wir wohnen im Hostal Restaurante Centre del Montsec (links im Bild), einer netten Herberge mit großzügigen Zimmern und dem einzigen Restaurant des Ortes. Die Gassen sind schmal, die Steinhäuser sind teilweise liebevoll restauriert und zu Ferienwohnungen umgebaut, etliche stehen aber auch leer.

 

Llimiana
Sehr schön ist der Blick von der Plaça Era de l’Abat. Sitzbänke, ein beachtlicher Stapel Stühle in der Ecke, und ein Tischfußball lassen vermuten, dass hier im Sommer deutlich mehr los ist.

 

Mirador del Doll
Von Llimiana fahren wir auf der C-13 nach Süden. Die Straße folgt dem Fluss Noguera Pallaresa durch eine enge Schlucht zu einem weiteren Stausee. Vom Mirador del Doll öffnet sich der Blick über den Pantà de Camarasa (wörtlich übersetzt „Sumpf“; sinngemäß „Stausee“) auf die Serra del Montsec im Norden. Daheimgebliebene, denen wir regelmäßig Fotos schicken, sind ziemlich neidisch und noch immer unsicher, wo wir unterwegs sind: Der ein oder andere tippt auf eine Fernreise in den Westen der USA …

 

Für noch mehr USA-Feeling fahren wir in einem weitläufigen Bogen über die C-26 und die L-512 nach Nordosten. Wir möchten die Höhlensiedlung in der Cova de la Vansa besichtigen. Das stellt sich als gar nicht so leicht heraus, denn die Behausungen in den Felsüberhängen der Fontfreda-Schlucht sind gut versteckt. Zwischen Montagrull und Folquer fangen wir an zu suchen. Hinweisschilder gibt es keine, Google Maps leitet uns zuversichtlich auf schlaglochübersäte Feldwege, während unser Navi andere, aber nicht minder schlaglochübersäte Feldwege vorschlägt. Beide führen uns irgendwo ins Nirgendwo, und verabschieden sich mit einem „Sie befinden sich in der Nähe Ihres Ziels“.

Das stimmt zwar, hilft uns aber wenig, denn die vorgeschlagene Luftlinie führt über eine Geländestufe von gut und gerne fünfzig Metern. Senkrecht … Am Ende befragen wir unsere Tracking-App (Naviki) und entscheiden uns anhand der Karte für den Zustieg entlang des Flusslaufs. Wir parken unterhalb von Tòrrec, an der kleinen Straße Richtung Lluçars und wandern in der Fontfreda-Schlucht nach Norden.

 

Cova de la Vansa
Allzuweit können wir dem (ausgetrockneten) Flussbett nicht folgen: Tiefe Pfützen und große Felsblöcke erschweren den Durchgang. Ein Trampelpfad führt uns seitlich aus dem Tal nach oben. Von hier sehen wir ein Geflecht von Schluchten, die hier zusammenkommen: Die Coveta- und Tartera-Schlucht münden von Nordwesten in die Fontfreda-Schlucht (mittig im Bild, rechts des mittleren Felsmassivs), die Planes-Schlucht von Nordosten.

 

Cova de la Vansa, Wanderweg
Der Wanderweg zu den Höhlen ist solala. Wegweiser gibt es keine, Markierungen vereinzelt un. An einigen Stellen ist der Pfad gut als solcher erkennbar – an anderen muss man raten oder ein paar Büsche beiseite schieben. Mehrere Etappen führen quer über die Konglomeratfelsen – nach einem kurzen Regenguss werden diese tückisch rutschig, und obwohl der Weg bei weitem nicht so spektakuär am Abgrund verläuft wie der Felsenpfad in der Mont-Rebei-Schlucht oder die Steige bei Alquézar, stufen wir ihn für deutlich gefährlicher ein und sind erneut froh um unsere Wanderstöcke. Die „Brücke“ rechts im Bild haben wir umgangen. Durch’s Gebüsch, das immerhin keine Dornen hatte …

 

Cova de la Vansa
Nach etwa einer halben Stunde Kraxelei sehen wir die Cova de la Vansa in der westlichen Steilwand der Fontfreda-Schlucht. Die kleine Siedlung erinnert uns an die Pueblos von Mesa Verde in Colorado. Der Felsüberhang der Cova de la Vansa erstreckt sich über eine Länge von 135 Metern und führt bis zu 21 Meter in die Felswand. An der höchsten Stelle ist der Überhang neun Meter hoch. Im westlichen und dem Eingang der Schlucht näher gelegenen Teil finden sich die Überreste eines zweistöckigen Gebäudes mit mehreren Abteilungen.

 

Cova de la Vansa
Die Höhlen wurden vermutlich schon in prähistorischer Zeit bewohnt und/oder als Unterschlupf genutzt. Über die Geschichte der Höhlensiedlungen erfahren wir wenig – Informationstafeln vor Ort gibt es keine, der Reiseführer schweigt sich aus, und selbst im Netz finden wir nur ein paar kärgliche Hinweise. Es scheint fast, als wären die Höhlen vergessen worden.

 

Cova de la Vansa
Fest steht, dass die Höhlen bis ins Jahr 1932 dauerhaft von der Familie Puigpinós bewohnt wurden. Während des Bürgerkriegs dienten sie als Versteck; von 1941 bis 1950 wurden sie noch von Ventura Puigpinós bewohnt, welcher Anfang des 20. Jahrhunderts im Casa de la Vansa, dem „Höhlenhaus“,  geboren wurde. Danach wurde die Cova de la Vansa verlassen; die Gebäude dem Verfall überlassen. Heute sind noch etliche Mauern erhalten und mehrer Räume deutlich erkennbar.

 

Cova de la Vansa
Der Türsturz der Casa de la Vansa stammt aus dem Jahr 1710. Viele der verbauten Quadersteine sind noch deutlich älter: Beim Bau der Ställe und des Hauses wurden Steine der alten Festung und der Kirche von Torrec wiederverwendet. Die Ställe blieben vermutlich am längsten in Benutzung – ob sie heute noch als Unterstand für Vieh dienen, ist unklar. Wer Zeit (und eine Taschenlampe) hat, kann in den Ruinen Zeugnis vergangener aber auch aktueller Zeiten finden: alte Weinfässer und neuen Abfall zum Beispiel. Wir haben wenig Zeit – eine nahenden Regenfront treibt uns zur Eile.

 

Cova de la Vansa
Die Cova de la Vansa ist ohne Zweifel ein besonderer Ort. Dass die Höhlensiedlung tourisitsch so gar nicht „ausgeschlachtet“ wird, ist einerseits ein bisschen traurig, vor allem in Hinblick auf die ungewisse Zukunft eines historisch bedeutsamen Erbes, andererseits bekommt man als Besucher einen unverfälschten Eindruck und fühlt sich ein bisschen priveligiert, den Ort entdecken zu dürfen.

 

Cova de la Vansa
Für den Rückweg wählen wir den etwas längeren Weg östlich durch die Planes-Schlucht in Richtung Tòrrec. Zum Ort selbst steigen wir nicht hinauf – wir folgen einem Forstweg unterhalb der Ortschaft, der uns zurück zum Parkplatz am Bach bringt. Insgesamt brauchen wir knapp eineinhalb Stunden für die gut fünf Kilometer zur Cova de la Vansa und zurück. Gerne hätten wir die Ruinen und die Schlucht (in der es noch weitere Höhlen geben soll) noch länger erkundet – im Regen ist das Gelände allerdings keine wirkliche Freude.

 

Madrona
Auch unser nächstes Ziel müssen wir ein bisschen suchen: Am Morgen dachten wir noch, dass man im winzigen Llimiana doch ganz schön abgeschieden lebt – am Nachmittag stellen wir fest, dass unsere Unterkunft für die heutige Nacht noch bei weitem einsamer liegt. Madrona gehört zur Gemeinde Pinell de Solsonès in der Provinz Lleida. Im Bild das „Zentrum“ des Orts. Ständige Bevölkerung: Zwei. Und das ist schon ein gewaltiger Sprung – bis vor wenigen Jahren war Madrona komplett verlassen.

 

Casa Rural Sant Petrus de Madrona
Unser Ziel ist die Casa Rural Sant Petrus de Madrona. Das ehemalige Refektorium direkt neben der Kirche wurde zur Herberge umgestaltet und wird von einem jungen Südamerikaner und seiner skandinavischen Freundin geleitet, die sich beide auch im örtlichen Umwelt- und Tierschutz engagieren.

 

Casa Rural Sant Petrus de Madrona
Bei der Renovierung wurde viel Wert darauf gelegt, den ursprünglichen Charakter des klösterlichen Baus beizubehalten.

 

Casa Rural Sant Petrus de Madrona
Insgesamt fünf Zimmer werden vermietet – sie sind zwischen 15 und 40 m² groß und nur mit dem nötigsten eingerichtet. Die Fenster sind winzig und lassen nur wenig Licht ein – dafür aber auch keine Sommerhitze. Maximal sechzehn Personen finden in der Herberge Platz. Erasmus-Studenten und Wandergruppen sind gerne gesehen; Jäger eher nicht so …

 

Casa Rural Sant Petrus de Madrona
Rustikaler Charme: Die Herberge ist für Selbstversorger ausgelegt: Geschirr und Küche werden zur Verfügung gestellt, Lebensmittel müssen mitgebracht werden. Der nächste Lebensmittelladen ist eine halbe Autostunde entfernt – beim Einkaufen sollte man also nichts Wichtiges vergessen haben …

 

Casa Rural Sant Petrus de Madrona
Wer Ruhe sucht, ist hier richtig. Nach einem erfrischenden Bad im kleinen, hauseigenen Pool nehmen wir auf der großzügigen Terrasse mit Blick auf die waldigen Hügel unser Abendessen ein.

 

Sant Pere de Madrona
Madrona mag winzig sein und nur aus sehr wenigen Häusern bestehen – aber es gibt gleich zwei Kirchen. Die romanische Kirche Sant Pere de Madrona aus dem 12. Jh. ist nur noch als Ruine erhalten. Sie steht oberhalb des Orts auf einem Felssporn. Die Apsis wurde traditionell genau nach Osten ausgerichtet – das angrenzende Kirchenschiff musste aufgrund des felsigen Geländes mit einem Knick in eine mehr nordwestliche Ausrichtung gebaut werden. Die Pfarrkirche Santa Madrona stammt aus dem 18. Jh. und ist mit einem erhöhten Durchgang mit der heutigen Herberge verbunden. Auffallend ist der Glockenturm: Auf dem quadratischen Grundstock setzt eine achteckige Turmspitze auf. Auf der Rückseite der Kirche befindet sich ein kleiner Friedhof.

 

Sant Pere de Madrona
Die Ruine der Pfarrkirche Sant Pere de Madrona ist Teil einer alten Burganlage. Sie steht auf dem höchsten Punkt von Madrona, auf einem Felsen oberhalb der Stelle, an der mehrere Täler zusammenkommen: Das Flussbett des Riera de Madrona und die beiden Seitenschluchten Barranc de Sangrà und Barranc de Maçana. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1053. Nur wenige Mauerreste der Burg sind erhalten geblieben – die Form der Anlage ist nur schwer erkennbar; die Ruine von Gestrüpp überwuchert. Von der Kirche sind noch Teile der Apsis, die Nordmauer des Kirchenschiffs, ein paar Fenster und ein Teil der Krypta erhalten.

 

Sant Pere de Madrona
Ohne es recht bemerkt zu haben, finde ich mich auf der Kuppel der teilweise erhaltenen Apsis wieder – als mir klar wird, wo ich mich befinde, bewege ich mich mit deutlich mehr Vorsicht zurück nach unten. Nichtsdestotrotz ist der Ausblick von hier oben grandios. Man sieht die Pfarrkirche Santa Madrona, die Herberge rechts davon und die ausgedehnten Schwarzkiefernwälder, für die Pinell de Solsonès bekannt ist. Die Wälder sind Teil des Naturschutzgebiets Obagues de la Riera de Madrona. Hier leben seltene Tiere wie Ginsterkatzen, Wildkatzen und Dachse. In den letzen Jahren wurden hier auch Rehe gesichtet – etwas, das für Besucher aus Deutschland ganz alltäglich ist, stellt hier eher eine Ausnahme dar.

 

Casa Rural Sant Petrus de Madrona
Wir verbringen eine sehr ruhige Nacht. Der Morgen begrüßt uns erneut mit Nebel – und während uns die Landschaft Nordspaniens in den letzten Tagen immer wieder an den Westen der USA erinnert hat, lassen uns die waldigen Hügel heute eher an Rumänien oder Tschechien denken. Wölfe, Bären oder Vampire hätten uns nicht wirklich überrascht …

 

Casa Rural Sant Petrus de Madrona
Von Madrona aus starten wir an Tag neun unserer Nordspanien-Rundreise nach Norden, in Richtung der Pyrenäen. Unser heutiges Ziel ist Gósol, das Bergdorf im Naturpark Cadí-Moixeró, in dem Picasso fast drei Monate verbrachte, als eine Schaffenskrise ihn vom quirligen Paris in die Abgelegenheit der Berge führte.

 

 

 

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