Rundreise Nordspanien: Klettern unterm Delfin – die Steinbögen von Rodellar

Mitten in der Sierra de Guara liegt das kleine Dorf Rodellar mit seinen knapp fünfzig Einwohnern. Im Canyon unterhalb des Örtchens befindet sich eines der beliebtesten Gebiete für Sportkletterer.

Tag fünf unserer Nordspanien-Rundreise führt uns tiefer hinein in die Sierra de Guara, ins abgelegene Bergdorf Rodellar. Wir wollen den Delfin sehen, den es dort irgendwo in den Felswänden des Canyons geben soll. Das bedeutet: Wandern. Darauf bereiten wir uns mit einem üppigen Frühstück in Bierge vor, wo wir für drei Nächte Quartier bezogen haben. Immerhin läuft es sich viel besser mit mindestens zwei Croissants im Magen. Oder zwei Schoko-Croissants. Oder beidem. Und einem Brötchen. Und Aufstrich. Und … ach, lassen wir das.

 

Rodellar, Barranco Fondo
Schon die Anfahrt ist ein Erlebnis. Kurvenreich schlängelt sich die Landstraße HU-341 nach Norden. Viel Verkehr ist hier nicht – die HU-341 ist eine Sackgasse, die im achtzehn Kilometer entfernten Rodellar endet, und auf der es daher keinen Durchgangsverkehr gibt. Wir stoppen am Aussichtspunkt oberhalb der Barranco Fondo auf 840 m Höhe. Zwischen Steineichen und Kiefern ist es unfassbar ruhig, es riecht nach Rosmarin, und wir genießen den schönen Blick über die Schlucht, das knubbelige Sedimentgestein und die Bergzüge der Vorpyrenäen.

 

Rodellar
Am Ortseingang von Rodellar erwartet uns das erste Abenteuer: Die Zufahrt zum Parkplatz. Die sieht gar nicht so schlimm aus, aber es schabt und kratzt mächtig am Unterboden und wir stellen fest: Unser japanisches Auto ist nicht für spanische Bodenwellen gebaut. Unser Puls auch nicht. Auf den Schreck hin schaffen wir etwas, das man erstmal können muss: Wir „verlaufen“ uns in Rodellar und finden den Einstieg zum Wanderweg nicht (obwohl die gelben Wanderwegsschilder vor dem Gasthof kaum zu übersehen sind …).

 

Rodellar
Rodellar ist schnell besichtigt: Ein paar Gassen, eine Handvoll Steinhäuser und ein Kirchlein aus dem 17. Jahrhundert. Besucher kommen nicht wegen des Dorfs, sondern wegen der Landschaft. Vor allem Kletterer zieht es hier her. Man sieht viele Rastalocken, bunte Klamotten, zauselige Hunde, und nicht alles, was geraucht wird, riecht nach Tabak. Die überschaubare touristische Infrastruktur ist auf ein junges, aktives Publikum zugeschnitten. Zwei (kleine) Campingplätze, ein (kleiner) Outdoor-Ausstatter, ein Gasthof am Ortseingang und das Refugio Kalandraka, eine Bar mit Außenbereich, etwas unterhalb des Dorfs – das war’s so ziemlich. Im Sommer gibt’s auf dem Platz unterm Geier Livemusik. Einen Supermarkt sucht man vergebens. Jetzt in der Nachsaison ist alles geschlossen, und wir sind sehr froh, dass wir ordentlich gefrühstückt haben. Nicht auszudenken, wenn wir verhungern würden!

 

Rodellar
Rodellar liegt auf einer markanten Felsklippe auf 761 m Höhe über dem Rio Mascún, einem Nebenfluss des Alcanadre. Bis in die 1960er war das Bergdorf selbständig, dann wurde es zu Bierge eingemeindet. Die exponierte Lage über dem Felsabbruch sehen Besucher erst, wenn sie ein paar Meter weit in den nördlichen Canyon laufen – von Süden auf der HU-341 kommend wirkt Rodellar wenig spektakulär, mit den kleinen Steinhäusern aber durchaus pittoresk.
Tipp: Hotel Casa Rufas in Bierge
Tipp: Hotel Casa Rufas in Bierge Casa Rufas ist ein kleines familiäres Hotel mitten in Bierge. Das Preis/Leistungsverhältnis ist sehr gut, weshalb wir uns entschlossen haben, drei Nächte zu bleiben und von Bierge Ausflüge nach Rodellar, Alquézar und dem Fuenta de Tamara zu unternehmen. Wir hatten ein gemütliches Zimmer mit Bad und morgens gab es ein gutes Frühstück.
Rodellar, Wanderwege
Rodellars wichtigste Sehenswürdigkeit ist der Canyon unterhalb des Dorfs. Der Weg hinunter ist ein bisschen holprig und teilweise recht ausgesetzt. Besonders nach Regen können die Steinplatten ziemlich rutschig werden. Gutes Schuhwerk und Trittsicherheit sind ein Muss; Schwindelfreiheit und Stöcke von Vorteil.

 

Rodellar, Schlucht
In Schleifen hat sich der Rio Mascún tief durchs Gestein gegraben und den Canyon von Rodellar geschaffen.

 

Rodellar, Wanderweg
Kurz vor der Talsohle teilt sich der Weg. Wir entscheiden uns für einen Schlenker flussabwärts. Der Pfad wird zusehends schmaler und stellenweise unwegsam. Das Stück kann aber auch umgangen werden.

 

Rodellar, Schlucht
Am Talboden angekommen: Jetzt im September fürt der Rio Mascún nur wenig Wasser.

 

Rodellar, Canyon
Der Wanderweg führt am (und im) Wasser entlang flaussaufwärts.

 

Rodellar, Canyon
Die Wanderung durch den Canyon ist auch ein kurzes Teilstück des mehr als tausend Kilometer langen Sendero Histórico (Historischer Weg) GR 1. Der Weitwanderweg führt von den Pyrenäenausläufern bei Puerto de Tarna (südlich der Atlantikküste bei Gijón) durch das Vorgebirge bis nach L’Escala am Mittelmeer (ötlich von Girona). Auf unseren Tagestouren queren (und nutzen) wir den GR 1 immer wieder, denn er führt zu vielen landschaftlichen Highlights, wie den Embalse de Vadiello, die Mallos de Agüero und die Mont-Rebei-Schlucht. Die Tagesetappe von Rodellar ins westlich gelegene Nocito ist mit 7 h 15 min (22,3 km) ausgeschildert – die östliche Etappe über Las Bellostas (5 h 50 min/16,5 km) nach Paúles de Sarsa mit 9 h 10 min (27 km).

 

Rodellar, Delfin
Etwa einen Kilometer weiter flussaufwärts sehen wir ihn endlich: Den Steinbogen „El Delfin“. Warum er diesen Namen hat, wo er doch gar nicht wie ein Delfin aussieht?

 

Delfin, Rodellar
Weil er eben doch wie ein stupsnasiger Delfin aussieht! Das sieht man allerdings erst, wenn man drumherum gelaufen ist, und ihn von der anderen Richtung aus betrachtet – Blickrichtung flussabwärts.

 

Delfin, Rodellar
El Delfin, das meist fotografierte Motiv im Canyon von Rodellar, ist ein durch Erosion entstandenes großes Loch in einer noch größeren Kalksteinwand. Die Kletterroute von der Nase entlang der Rückenlinie gilt als eine der schönsten der Region. Mit einem Schwierigkeitsgrad von 9a (nach anderen Angaben „nur“ 7c+) gehört sie auch zu den anspruchsvollsten. Als Erschließer der Route gilt Dani Andrada, ein spanischer Sportkletterer, der von sich selbst sagt, an mehr als dreihundert Tagen im Jahr zu klettern. Die Erstbegehung (wobei „gehen“ in diesem Fall eher „über-Kopf-klettern“ bedeutet) gelang ihm 2015.

 

Rodellar, Delfin
Genaugenommen ist El Delfin eine Art Doppelbogen mit Höhle. Die hier gekletterten Routen am linken Bogen gehören zu den Klassikern – Schwierigkeitsgrad 7a bis 7b. Wer sehr genau hinsieht, kann rechts oberhalb des sich abseilenden Kletterers einen weiteren Kletterer an der Kante des Überhangs sehen.

 

Rodellar, Canyon
Etwas weiter flussaufwärts teilt sich der Weg. Hier treffen wir eine Gruppe Reiter. Schon auf den felsigen Pfaden in den Canyonwänden sind uns Pferdeäpfel aufgefallen – an Stellen, an denen mein Reiterherz mit Skepis in den Abgrund blickt. Reittouren sind hier sicher schön, wenn man schwindelfrei ist und ein gutes Vertrauen in die Trittsicherheit seines Reittiers setzt.

 

Rodellar
Eigentlich wollen wir von hier auf der östlichen Canyonseite hoch zur Ermita de la Virgen del Castillo und oberhalb der Schlucht zurücklaufen. Eine Gruppe Kletterer reagiert entsetzt auf diese Idee und schlidert uns mit Händen und Füßen sehr plastisch, dass wir das ohne Kletterausrüstung besser vergessen sollten, denn der Pfad ist eine Via Ferrata – und das hat weniger mit „Straße“ und mehr mit „Eisen“ zu tun: Es ist der Klettersteig „Sporn der Jungfrau“, der ziemlich senkrecht die Canyonwand hinaufführt. Wir lassen es und beschließen: „Never trust the map!“ – denn dort ist der Steig als normaler Wanderweg eingezeichnet.

 

Rodellar
Wir folgen dem weniger schwierigen, nichtsdestotrotz ziemlich spektakulären Wanderweg, der an der Ostseite des Canyons auf halber Höhe zurück nach Rodellar führt. Wie Geckos hängen Kletterer in den Felsüberhängen über uns. Der Canyon von Rodellar gilt vielen als das schönste Klettergebiet Spaniens. Kletterprofis kommen in den Steilwänden und Überhängen voll auf ihre Kosten – für Anfänger ist das Gebiet nur begrenzt geeignet: Es gibt nur wenige Klettertouren im Schwierigkeitsgrad 6a bis 7b – keine leichteren, dafür etliche oberhalb von 7b/c.

 

Rodellar
Wer klettern will, muss wandern: Der Zustieg zu den verschiedenen Klettergebieten im Canyon dauert zwischen 30 und 45 Minuten.

 

Rodellar
Von der höchsten Stelle aus hat man einen schönen Blick flussaufwärts nach Norden, …

 

Rodellar
… aber auch in die anderer Richtung, nach Rodellar die Ausläufer der Vorgebirge.

 

Rodellar
Kurz vor dem Ort führt der Weg durch einen Mini-Canyon. Dann sind wir wieder zurück in Rodellar. Die Wanderung in den Canyon hinunter, flussaufwärts zum Delfin und über den Felsenpfad wieder zurück ist rund fünf Kilometer lang und in eineinhalb Stunden gut zu schaffen.

 

Fuente de Tamara
Weil der Tag noch recht jung ist, und wir schon am frühen Nachmittag zurück in Bierge sind, wandern wir noch zur Fuente de Tamara. Die ist wunderschön – die je fünf Kilometer Hin- und Rückweg haben es allerdings in sich und lösen fast eine Beziehungskrise aus. Wer körperlich und mental fit ist, kann beide Wanderungen an einem Tag machen – entspannter ist es aber, sich für die Tour zur Fuente de Tamara mehr Zeit zu nehmen.

 

Abends sind wir müde und voller Eindrücke und freuen uns bereits auf den nächsten Tag unserer Nordspanien-Rundreise, an dem ein Tagestrip in die Sierra de Guara zum Klettersteig von Alquézar und den Felszeichnungen Abrigos de Mallata auf dem Programm steht.

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