Nordspaniens Canyonland: Über Loarre und den Embalse de Vadiello nach Bierge

Das Königreich der Himmel, ein umwerfend schöner Stausee und ein Salto in eiskaltes Gewässer: Der Weg von Loarre in den Parque natural de la Sierra y los Cañones de Guara ist landschaftlich und kulturell reizvoll.

Tag vier unserer Nordspanien-Rundreise startet mit Blick auf die wolkenverhangenen Felstürme Mallos de Riglos und einem herausragenden Frühstück in der Casona de la Reina Berta in Murillo de Gállego. Gut gestärkt starten wir weiter Richtung Osten, der Sonne entgegen. Unser erstes Ziel ist das Castillo de Loarre, die vielleicht besterhaltene romanische Burg Spaniens.

 

Castillo de Loarre
Frankreich, 1184: Der Morgen graut, ein steinernes Kreuz ragt in den dunkelblauen Himmel, eine Selbstmörderin wird begraben (nicht ohne Diskussionen über die korrekte Vorgehensweise, die ein Enthaupten der toten Frau vorsieht). Ein paar Reiter nähern sich, im Hintergrund ist ein ziemlich zerlumpt wirkendes Dorf zu sehen, überragt von einer imposanten Burg. Dort trauert Orlando Bloom in seiner Rolle als Schmied Balian um seine soeben begrabene Frau und sein totes Kind. Die Kreuzritter, denn um solche handelt es sich bei den Reitern, erreichen die Burg, und Balians Leben nimmt eine entscheidende Wendung, denn er ist nicht nur der uneheliche Sohn des Ritters Godfrey von Ibelin, sondern innerhalb Stundenfrist auch ein gesuchter Mörder. Sein Weg führt ihn durch mannigfaltige Abenteuer, Krisen, Heldentaten und Dummheiten nach Jersusalem und ins Gelobte Land, welchselbiges gerettet werden muss. Ridley Scotts Monumentalfilm „Königreich der Himmel“ beginnt tragisch und düster, aber durchaus stimmungsvoll – allerdings nicht in Frankreich. Denn die Burg, auf der Balian und Godfrey sich zum ersten Mal begegnen, ist das Castillo de Loarre in Nordspanien.

 

Castillo de Loarre
Die Geschichte der Burg beginnt 1019, als Sancho III, der Große, König von Navarra, eine Kirche stiftete. Er nutzte die befestigte Anlage als Bastion zur Verteidigung gegen das muslimische Reich El-Andalus. Die heutige Befestigungsanlage enstand ab 1071 unter Sacho I, König von Aragonien, der mit der Burg auch ein befestigtes Augustiner-Chorherrenstift gründete. Bereits wenige Jahre später (1098) verschob sich mit der Rückeroberung der Stadt Huesca die Grenze zum maurischen Reich nach Süden, und das Castillo de Loarre verlor seine strategische Bedeutung. Sie diente aber weiterhin als königliche Residenz und wurde bis Ende des 13. Jahrhunderts weiter ausgebaut. Im 14. Jahrhundert wurde die Anlage an einen Günstling des Königs verkauft.

 

Castillo de Loarre
Die romanische Burganlage gehört zu den besterhaltenen Spaniens und ist ein gutes Beispiel für eine Burg, die sowohl militärische, als auch religiöse Funktion hatte. Das machte sie für Ridley Scott zu einer geeigneten Filmkulisse, auch wenn das Castillo 1184, das Jahr, in dem „Königreich der Himmel“ spielt, noch deutlich anders aussah: Der doppelte Mauerring mit den acht prägnanten Rundtürmen wurde erst Ende des 13. Jahrhunderts errichtet.

 

Castillo de Loarre
Das Dorf Loarre befand sich ursprünglich innerhalb des Mauerrings. Heute liegt das 350-Einwohner-Dorf ein paar Kilometer unterhalb der Burg.

 

Castillo de Loarre, Kirche Santa María
Die kleine, einschiffige Kirche Santa María ist wahrscheinlich der älteste Teil der Burganlage.

 

Castillo de Loarre, Kirche San Pedro
Im östlichen Teil der Burg war das Kloster untergebracht. Die einschiffige Kirche San Pedro stammt aus dem 12./13. Jh. Sie steht über einer tonnengewölbten Krypta und zeigt stilistisch weiter entwickelte Formen als die ältere Nachbarkirche Santa María. Vor allem die Apsis mit den Rundbogenfenstern und der Kuppel ist ein schönes Beispiel romanischer Architektur.

 

Castillo de Loarre
Jede Burg braucht ihr Gespenst – im Castillo de Loarre soll es Violante de Luna sein, die in den Nächten um San Juan (23. Juni) auf dem Balkon der Königin erscheint. Violante war die Cousine und Geliebte von Antón de Luna, Eigentümer der Burg und Rebellionsführer gegen Fernando I. Nachdem Antón de Luna nach Frankreich geflüchtet war, blieb Violante auf der Burg und verteidigte diese noch drei Monate lang, bevor sie kapitulierte und ins Gefängnis geworfen wurde. Ihre baldige Freilassung verdankte sie ihrem Onkel, Papst Benedict XIII. Sie folgte ihrem Geliebten nach Frankreich und kehrte später mit ihm nach Aragonien zurück, wo sich ihre Spur verliert. Ihr Todestag und ihre Grabstätte blieben bis heute ein Geheimnis – vielleicht müsste jemand ihren Geist befragen.

 

Huesca
Vom Castillo de Loarre geht es weiter Richtung Südosten nach Huesca. Die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz markierte bis 1096 die nördliche Grenze des muslimisch beherrschten Teils der iberischen Halbinsel. Nach der Rückeroberung diente die islamische Moschee als Bischofssitz – mit dem Bau der Kathedrale von Huesca wurde erst Ende des 13. Jh. begonnen. Sie ist heute die Hauptsehenswürdigkeit der Stadt, die wir ansonsten unter „ganz nett, aber nichts Besonderes“ verbucht haben.

 

Castillo der Montearagon
Unweit von Huesca steht die Ruine des Castillo de Montearagón aus dem 11. Jahrhundert. 1093 ordnete Sancho Ramírez den Bau einer Kirche und einer Burg-Abtei an, um Huesca belagern zu können. Mit der Rückerorberung Huescas 1096 wurden die Kleriker des (nutzlos gewordenen) Castillo de Loarre nach Montearagón verlegt. Die Abtei von Montearagón hatte während des gesamten Mittelalters und bis in die Neuzeit hinein große Macht und Einflussnahme in der Region.

 

Castillo de Montearagon, Blick nach Norden
Das Castillo de Montearagón steht auf einem vorgelagerten Hügel in der Ebene von Huesa. Von hier hat man einen schönen Blick nach Norden, auf die Pyrenäenausläufer mit den markanten, „Mallos“ genannten Felstürmen.

Weil wir Zeit und nicht viel vor haben, fahren wir nach Norden, in den Parque natural de la Sierra y los Cañones de Guara. Schon allein des klangvollen Namens wegens. Ein konkretes Ziel haben wir nicht – zwar finden wir auf Google Maps eine Reihe schöner Landschaftsfotos, aber vieles davon ist mit dem Auto nicht erreichbar. Am Ende entscheiden wir uns für einen Abstecher zum Embalse de Vadiello. Allzu viel erwarte ich nicht – halbvolle Stauseen können mitunter ziemlich unansehnlich sein. Der Vadiello-Stausee gehört allerdings nicht zu dieser Sorte, der haut mich im Gegenteil einfach um.

 

Embasle de Vadiella
Sierra y los Cañones – Berge und Canyons: Schon die Zufahrt zum Stausee macht dem Namen des Naturparks alle Ehre. Die Straße windet sich an der Schlucht entlang, aussichtsreich und gut befahrbar. Unterwegs finden wir eine schöne Stelle, um hinunter zum Fluss zu steigen und ein erfrischendes Bad zu nehmen.

 

Talsperre Vadiella, Guatizalema
Die Talsperre am Embalse de Vadiello wurde 1971 an einer natürlichen Engstelle errichtet. Sie staut den Fluss Guatizalema, der aus den aragonesischen Pyrenäen hinunter ins Cinca-Flussbecken und über den Ebro ins Mittelmeer fließt. Der Name des Flusses leitet sich vom arabischen Guadix alam (ruhiger Fluss) ab.
Tipp: Hotel Casa Rufas in Bierge
Tipp: Hotel Casa Rufas in Bierge Casa Rufas ist ein kleines familiäres Hotel mitten in Bierge. Das Preis/Leistungsverhältnis ist sehr gut, weshalb wir uns entschlossen haben, drei Nächte zu bleiben und von Bierge Ausflüge nach Rodellar, Alquézar und dem Fuenta de Tamara zu unternehmen. Wir hatten ein gemütliches Zimmer mit Bad und morgens gab es ein gutes Frühstück.

 

Embalse de Vadiello
Schon von der Staumauer aus hat man einen schönen Blick – talwärts in den Canyon und auf die umliegenden Berge, seewärts über den Stausee und das löchrige Sedimentgestein am Ufer.

 

Embalse de Vadiello
Noch spekatkulärer wird der Blick, wenn man die Staumauer überquert und dem Uferweg etwa eineinhalb Kilometer weit folgt. Hier öffnet sich das ganze Panorama mit dem Stausee und den Mallos de Ligüerri am Westufer.

 

Embasle de Vadiello
Die Mallos sind ein beliebtes Klettergebiet. Rechts im Bild „La Mitra“, die markante Felsnadel, die wie ein Finger in den Himmel zeigt. Die Sierra de Guara ist ein Mekka für Canyoning und Klettern – dennoch gilt sie als Geheimtipp. Wanderführer sucht man in der Buchhandlung vergeblich, und Informationen über die Region sind verblüffend spärlich. Wer hier her findet, findet vor allem eins: Ruhe.

 

Embasle de Vadiello
Erneut überrascht uns Nordspanien mit einer Landschaft, die wir nicht in Europa erwartet hätten, und die uns ein bisschen an den Lake Powell im Grenzgebiet von Arizona und Utah erinnert.

 

Embasle de Vadiello
Am See gibt es mehrer Parkplätze und einen kleinen Kiosk, der manchmal geöffnet hat. Hier starten eine Reihe von Wanderrouten, die tief hinein in den Parque natural de la Sierra y los Cañones de Guara führen. Das nächste Mal gehen wir die Strecke, die wir heute Vormittag mit dem Auto von Agüero hergefahren sind, zu Fuß … Wer sich auf die Weitwanderwege wagt, sollte Erfahrung damit haben: Das Gebiet ist extrem dünn besiedelt, Unterkünfte und Einkehrmöglichkeiten sind rar, und Handyempfang gibt es nur, wenn die Sterne einen guten Tag haben.

 

Embasle de Vadiello
Klettersteig für Profis: Die halbwild lebenden Ziegen halten sich gerne in den kühlen Tunnels der Zufahrtsstraße auf. Kommt ein Auto, springen sie über die Mauer und kleben in den senkrechten Felswänden. Wer es ihnen gleichtun möchte, findet am Vadiello-Stausee einen der bekanntesten (und dennoch nicht überlaufenen) Klettersteige Aragoniens: Die Via Ferrata Canal de Palomo. 1954 als Kletterroute eingerichtet, wurde die Tour hinauf durch den schmalen Canyon 2008 zum Klettersteig ausgebaut. Es geht senkrecht durch schmale Felskamine, so eng, dass ein Bein die Stahlstifte auf der rechten und das andere die auf der linken Felswand nutzen muss. Wir verzichten auf eine Begehung – ohne entsprechende Klettersteigausrüstung ist der Weg über die eher lapidar gesicherten Eisenstifte in der Felswand nicht zu empfehlen.

 

Bierge
Unser Tag endet in Bierge, wo wir die nächsten drei Nächte verbringen. Der kleine Ort ist idyllisch und ruhig gelegen, die schwarzen Punkte im Himmel sind Gänsegeier, die hier en masse unterwegs sind. Allzu viel touristische Infrastruktur gibt es nicht – wir nutzen den schönen Picknickplatz am Ortsrand, interessiert und erwartungsvoll beobachtet von einem überaus freundlichen Schäferhund.

 

Salto de Bierge
Ein paar Kilometer außerhalb von Bierge gibt es eine schöne Badestelle – den Salto de Bierge. Wir nutzen ihn nicht und wandern stattdessen am zweiten Tag unseres Bierge-Aufenthalts zur flussaufwärts gelegenen Fuenta de Tamara. Weil es da noch schöner ist, behaupte ich zuversichtlich.

 

Fuenta de Tamara
Und ja: Die Fuenta de Tamara ist wunderschön. Ein enger Canyon, der sich zu einer senkrechten Felswand hin mit einem Teich öffnet, ein kleines Kiefernwäldchen mit Picknickbänken, smaragdgrünes, glasklares und eiskaltes Wasser – was will man mehr?

 

Fuenta de Tamara
Hier kann man es aushalten. Schade nur, dass der Weg zur Fuenta de Bierge viel länger, anstrengender und nerviger war, als erwartet …

 

Fuenta de Tamara
Fünf Kilometer sind es von Bierge bis zur Fuenta de Tamara. Klingt nicht viel, und es gibt ohne Zweifel immer wieder schöne Aussichten auf der Strecke. Die meiste Zeit aber führt der Weg an der prallen Sonne über die Talflanke – mehrfach die Höhenlinien querend geht es steil und unwegsam bergauf und bergab, so dass es fast zu einer Meuterei kommt. Zumal wir am Tag unseres Besuchs bereits an den Felsbögen von Rodellar ein gutes Stück gewandert sind.

 

Fuenta de Tamara
Ein erfrischendes Bad im eiskalten Wasser tröstet. Wäre da nicht der Rückweg … Kurz überlegen wir, ob wir statt des langen Wegs obenrum den kurzen im Fluss entlang nehmen – ein paar vorbeikommende Canoynisten raten davon ab. Zwar müsse man auf dem Weg weder Wasserfälle hinunterspringen noch tauchen, wohl aber sind einige längere Schwimmstellen zu bewältigen. Bei den eisigen Wassertemperaturen ist ein längerer Aufenthalt im Wasser ohne Neopren-Anzug nicht anzuraten, das kann schneller zu einer Unterkühlung führen, als man denkt.

 

Fuenta de Tamara
Auch der Rückweg ist fast geschafft! Die Fuenta de Tamara ist irgendwo weit hinten im Tal, gefühlt am Ende der Welt. Überraschenderweise waren trotz des langen Zustiegs einige Badegäste dort – mehr, als wir etwa am Vadiello-Stausee getroffen haben.

 

Bierge
Essen und trinken fügt Leib und Seele zusammen! Vor allem nach einer anstrengenden Wanderung mit Krisenpotenzial. Wer die Fuenta de Tamara besuchen möchte, dem empfehlen wir, früh aufzubrechen und sich den Tag über Zeit zu nehmen – und das nicht, so wie wir, ans Ende eines langen Tages zu quetschen. Die Burger in der Bar Mesón del Alcanadre etwas außerhalb von Bierge kamen jedenfalls zur richtigen Zeit und schmeckten überragend gut.

In Bierge beziehen wir diesmal für mehr als eine Nacht Quartier – das einzige Mal auf unserer Nordspanien-Rundreise, dass wir nicht täglich „umsetzen“. Von hier aus möchten wir die Steinbögen von Rodellar besuchen und den Klettersteig von Alquezar. Für Bierge haben wir uns entschieden, weil es dicht am Naturpark liegt, und unsere ausgewählten Ziele von hier aus gut zu erreichen sind.

 

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