Spaniens berühmteste Dauerbaustelle: Ein Tag in Barcelona

Barcelona ist lebendig, laut, bunt, mulit-kulti, stellenweise sehr voll, und dennoch angenehm entspannt. Einige Sehenswürdigkeiten sind überlaufen und überteuert, andere hat man kostenlos und fast für sich allein.

Ein Tag in Barcelona darf auf einer Nordspanienreise nicht fehlen, nicht einmal dann, wenn man, so wie ich, ein bekennendes Landei ist. Also stürzen wir uns an Tag elf unserer Nordspanien-Rundreise in den Trubel der katalanischen Hauptstadt. Nach den Tagen im Hinterland der Pyrenäen könnte das einen Kulturschock auslösen, aber nachdem wir am Vortag zeitgleich mit mindestens einer Million Touristen (okay, vielleicht sind die gefühlte Wahrnehmung und die tatsächlichen Besucherzahlen nicht ganz exakt deckungsgleich …) das Kloster Monsterrat besucht haben, sind wir auf Menschenmassen vorbereitet und gut gewappnet.

Barcelona, Placa de Catalunya
Barcelona ist bekannt für seine (teils sehr luxuriösen) Boutique-Hotels. Da wir keine Lust haben, mit dem Auto in die Altstadt zu fahren, wohnen wir etwas außerhalb, im Ibis-Hotel Molins de Rei. Von dort sind es mit der Bahn ca. 40 min (reine Fahrzeit 25 min) bis zu Plaça de Catalunya. Der Platz gilt bei den Bewohnern Barcelonas als Zentrum der Stadt und stellt das Bindeglied zwischen der Altstadt (Barri Gòtic) und der Neustadt (Eixample) dar. Umgeben ist die Plaça de Catalunya von repräsentativen, neoklassizistischen Bauten, in denen traditionell Banken untergebracht sind. Mitte des 19. Jh. entbrannte im Rahmen der Stadterweiterungspläne ein Streit zwischen den Arichtekten Antoni Rovira i Trias und Idefons Cerdà. Ersterer schlug eine sternförmige Anordnung des Straßennetzes vor, mit der Plaça de Catalunya als Zentrum. Zweiterer setzte sich für ein rechtwinkliges Straßennetz ein. Obwohl die Sternvariante von der Bevölkerung bevorzugt wurde, entschied sich das Königshaus Madrid für die Pläne Cerdàs. Roviras Grundidee wurde immerhin bei der späteren Platzgestaltung aufgegriffen: Heute ziert ein großer Stern aus blauen, weißen und roten Bodenfliesen die Plaça de Catalunya.

 

Barcelona, Eixample
Von der Plaça de Catalunya aus schlendern wir auf dem Prachtboulevard Passeig de Gràcia nach Norden. Große Platanen spenden Schatten, Straßenlaternen, Sitzbänke und Häuserfassaden sind im Stil des Modernisme gehalten. Nirgends sonst ist die katalanische Variante des Jugendstils auf so engem Raum versammelt. Die Stararchitekten der damaligen Zeit lieferten sich hier ein nicht unbedingt von Wohlwollen und gegenseitiger Wertschätzung geprägtes  „Fassaden-Duell“. Die Straße beeindruckte König Alfons XIII. so sehr, dass er über seinen Besuch 1904 sagte: „Madrid ist sehr schön, aber Barcelona übertrifft es in zwei Dingen: dem Tibidabo und dem Passeig de Gràcia.“ Bis heute lohnt die Straße – und das ganze Viertel drumherum – einen Besuch.

 

Barcelona, Block der Zwietracht
Der berühmteste Häuserblock am Passeig de Gràcia heißt nicht ohne Grund „Manzana de la Discordia“, zu Deutsch „der Zankapfel“ (oder auch „Block der Zwietracht“). Hier haben sich die drei bedeutendsten Architekten des Modernisme ausgetobt. Dicht beieinander stehen (von links) die  Casa Lleó i Morera (1902-1906) von Lluís Domènech i Montaner, die Casa Amatller (1898-1900) von Josep Puig i Cadafalch, und die Casa Batlló (1904-1906) von Antoni Gaudí. Die Casa Lleó i Morera erhielt 1906 den Jahrespreis der Stadt Barcelona für das künstlerisch wertvollste, im Vorjahr fertiggestellte Gebäude. Die heute weitaus berühmtere Casa Batlló ging im selben Jahr leer aus. Die Fehde zwischen den Stararchitekten zog Angehörige der Bourgeoisie an, die ebenfalls ein Haus am Passeig de Gràcia wollten. Sie verhalfen dem Modernisme zu einem Aufschwung – während der Jugendstil in Europa breits um 1905 herum endete, hielt er sich in Katalonien ein weiteres Jahrzehnt.

 

Barcelona, Casa Batllo
Die Casa Batlló, das „Knochenhaus“ von Antoni Gaudí, gilt als eines der baulichen Glanzstücke Barcelonas. Bei der Ausgestaltung arbeitete Gaudí eng mit mehreren Bildhauern zusammen. Die farbige Fassade mit den für Gaudí typischen bunten Keramikfliesen gibt die Legende des Heilgen Georg wieder. Der Schutzpatron Kataloniens wird in ganz Europa als der Drachentöter verehrt – die Dachziegel der Casa Batlló stehen für die Schuppen des Drachen, ein Kreuz auf dem Dach für die Lanze des Heiligen. Die Balkone symbolisieren die Totenköpfe der bereits vom Drachen getöteten Helden; die hier abgebildete Galerie stellt das Maul des Drachen dar. Die Casa Batlló steht seit 1962 unter Denkmalschutz. 2005 wurde sie zusammen mit anderen Arbeiten Gaudís in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen. Teile der Villa können besichtigt werden – mit knapp einer Million Besucher im Jahr gehört sie zu den zehn wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Uns war es zu voll, wir haben daher auf einen Besuch verzichtet. Sehenswert ist die nächtliche Beleuchtung der Außenfassade – dann strahlt das Knochenhaus einen ganz anderen, leicht gespenstischen Charme aus.

 

Barcelona, Sagrada familia
Vorbei an weiteren Prachtvillen wandern wir weiter zu Antoni Gaudís bekanntestem Bauwerk: Zur Sagrada Família, deren voller Name fast ebenso lang ist wie ihre Baugeschichte. Mit dem Bau der „Basílica i Temple Expiatori de la Sagrada Família“ (Basilika und Sühnetempel der Heiligen Familie) wurde 1882 begonnen. Das Ende der geplanten Bauarbeiten wurde mehrfach verschoben; zuletzt sollte die Kirche bis zu Gaudís 100. Todestag im Jahr 2026 fertiggestellt sein. Wegen coronabedingter Unterbrechungen im Bau (und mangels Besucher auch im Geldfluss) wurde auch dieser Termin verschoben. Mit einer Fertigstellung wird 2033 gerechnet. Gaudí selbst arbeitete 43 Jahre an seiner Kirche; die letzten 15 Jahre ausschließlich. Auf die lange Bauzeit angesprochen, soll er geantwortet haben: „Mein Kunde hat keine Eile“. Die fünfschiffige Basilika mit ihren achtzehn geplanten Türmen ist eine gewagter Stilmix aus gotischen und barocken Grundformen, gepaart mit Historismus, Modernisme, Naturalismus und dem abstrakt-expressionistischen Spätstil Gaudís. Nach ihrer Fertigstellung soll der höchste Turm der Basilika eine Höhe von 172,5 m erreichen – damit wäre die Sagrada Família dann die höchste Kirche der Welt. Bisher wird dieser Rekord vom Ulmer Münster (161,53 m) gehalten. Die geplante Höhe ist so gewählt, dass die Kirche nicht höher wird als die umliegenden Bergzüge – das Werk des Menschen soll nicht das Werk Gottes überragen. Interessantes Detail am Rande: Erst 2016 fiel auf, dass es für den Bau der Sagrada Família gar keine Baugenehmigung gab. 2019 wurde diese für sieben Jahre, bis zur geplanten Fertigstellung, ausgestellt. Dann läuft sie erneut aus und muss erneuert werden.

 

Sagrada Familia, Besuchermassen
Der Bau der Sagrada Família wurde und wird ausschließlich mit Spenden und Eintrittsgeldern finanziert – erstere kommen hauptsächlich aus Japan und aus katholischen Kreisen, zweitere sind entsprechend happig und beginnen, je nach Besichtigungspaket, bei rund vierzig Euro. Mit fast vier Millionen Besuchern im Jahr ist die Kirche mit weitem Abstand Spaniens meistbesuchte Dauerbaustelle. Wer den Innenraum besuchen möchte, tut gut daran, die Tickets vorab über’s Internet zu bestellen – angesichts der in unseren Augen überzogen hohen Eintrittspreise und der langen Warteschlangen vor dem Haupteingang der Geburtsfassade verzichten wir auch hier auf einen Besuch.

 

Sagrada Familia
Im lichtdurchfluteten Innenraum sind deutlich die naturalistischen Elemente zu erkennen, die typisch für Gaudís Arbeiten sind. Die Säulen mit ihren Verzweigungen und „Ästen“ am oberen Ende sollen an Bäume erinnern, außerdem ist ein Blätterdach angedeutet. Das Gewölbe über der Apsis erreicht eine Höhe von 75 Metern – die gesamte Konstruktion wirkt trotz der Unmengen an Beton schwerelos und scheint eher aus dem Himmel herab zu hängen, als in diesen hinauf zu wachsen. Bei der Berechnung der Statik wandte Gaudí eine Technik an, die in der Gotik üblich war: Er fertigte ein Tragwerk aus Schnüren und hängte ein Modell des Bauwerks kopfüber auf. Das Modell unterschied sich durch die Richtung der Belastung, eignete sich aber zum Finden einer Form, die auf Druck, und nicht auf Biegung ausgelegt war. Im Gegensatz zu den Kathedralen der Gotik sind die Haupt- und Seitenschiffe der Sagrada Família freitragend und benötigen keine äußern Strebewerke mehr. FOTO: Erika Schlese.

 

Sagrada Familia
Auch an der Außenfassade sind naturalistische Details erkennbar: Die „Obstkörbe“ auf den Giebelspitzen stehen für die Früchte der Eucharistie. Mit ihrer verspielten Fassade wirkt die Sagrada Família aus der Ferne wie eine Mischung aus Termitenbau und Sandburg – doch nicht alle Seiten des Baus sind so mit Details überfrachtet wie die Geburtsfassade: Auf der Rückseite ist die Kirche sehr viel schlichter in schnödem Stahlbeton gehalten. Welches nun die Schokoladenseite ist, mag jeder Besucher für sich entscheiden – das Modell von Adrián Ramirez, das im Schaufenster einer Nebenstraße ausgestellt ist, ist jedenfalls durch und durch aus Schokolade und wäre daher entschieden meine persönliche Wahl.

 

Parc Güell, Barcelona
Von der Sagrada Família wandern wir nach Nordwesten zum Parc Güell. „Sind ja nur zweieinhalb Kilometer, da brauchen wir keinen Bus“, denken wir. Die Strecke ist allerdings ziemlich langweilig, wir sind reizüberflutet, allmählich ein bisschen fußlahm und vor allem hungrig. Außerdem muss ich dringend auf die Toilette. Mit etwas Schwierigkeiten finden wir einen Laden mit belegten Brötchen – auch diesbezüglich war die Etappe von der Plaça de Catalunya zur Sagrada Família ergiebiger. Wir freuen uns auf eine ruhige Auszeit im Park – so habe ich das noch vom letzten Barcelona-Besucch Anfang der Neunzigerjahre in Erinnerung: Es ist so schön ruhig im Parc Güell.

 

Parc Güell
Von „ruhig“ kann allerdings nicht die Rede sein – auch der Park ist voll, mit Einbahnregelungen, abgesperrten Bereichen und langen Schlangen vor den Toilettenanlagen. So schön ich den Park in Erinnerung habe, so sehr stresst er mich jetzt. Wir ergattern ein Plätzchen auf Gaudís „gewundener Bank“. Diese ist mit ihren vielfältigen Keramikmosaiken ein echter Hingucker. Hier verwendete Gaudí die „trencadis“-Technik, bei der er aus Bruchstücken recycelter Keramik neue dekorative Motive schuf. Die Keramiken wurden von Josep Maria Jujol i Gibert hergestellt – einem Schüler Gaudís, dessen Rolle neben dem Meister ziemlich unterging.  Allzu bequem ist die Bank nicht, auch wenn anderes behauptet wird. Um die angepriesene „ergnonomische Form“ wirklich als angenehm zu empfinden, müssten wir wohl drei- bis viermal so groß sein, wie wir sind. Die Bank hat eine Gesamtlänge von 110 m und soll damit die längste gewellte Bank der Welt sein. Sie wurde zu Beginn des 20. Jh. gebaut (1907 – 1913) und umgibt den zentralen „Platz der Natur“. Dieser war ursprünglich als Freiluftbühne gedacht. Die Zuschauer sollten außerhalb des Platzes und auf den Terrassen ihrer Häuser stehen. Häuser, die allerdings nie gebaut wurden.

 

Parc Güell
Ursprünglich war der Parc Güell als Luxuswohnanlage für die Barceloner Bourgeoisie gedacht. Gaudís Mäzen und Auftraggeber wollte auf dem Hügel über der Stadt einen Park mit freistehenden Häusern errichten. Dort sollten die Schönen und Reichen der Stadt dem Lärm und Dreck des industriell gewordenen Barcelona entfliehen können. Das Projekt kam allerdings nie in Gang, da keine Käufer gefunden wurden. Nur zwei Häuser wurden fertiggestellt – in einem davon lebte Gaudí selbst (rechts im Bild). Es ist heute ein Museum und kann besichtigt werden. Von mangelndem Interesse an der Anlage ist heute nichts mehr zu spüren – die Aussage an der Rolltreppe kurz vor dem Eingang legt nahe, dass wir nicht die Einzigen sind, die vom Besucheraufkommen latent genervt sind …

 

Drachentreppe, Parc Güell
Eine der Hauptattraktionen des Parks ist die Drachentreppe. Die Treppenreihen sind mit drei Brunneninseln unterbrochen, von denen jede eine symbolische Botschaft hat. Der Brunnen mit dem Drachenkopf (links), der aus der katalanischen Flagge herausragt, ist eine Hommage an den Heiligen Georg, dessen Legende Gaudí zeitgleich auch beim Bau der Casa Batllo aufgriff. Es gibt auch die Interpretation, dass es sich hier um einen Schlangenkopf handle, genauer um Nejustan, die Schlange auf dem Stab des Moses. Der berühmteste Brunnen (rechts im Bild) zeigt „El Drac“, einen Drachen, der als Eidechse dargestellt wurde. Während der Drache das Feuer symbolisiert, ist der Salamander der Legende nach das Tier, das dem Feuer widersteht, weil es die Flammen löschen kann, indem es sich um sie herum wickelt. Der Brunnen wird daher als Symbol des Feuers und des Widerstands gedeutet. El Drac wurde aus Mosaiksplittern zusammengefügt – diese Technik war eine der wichtigsten im Modernisme, und Gaudí ihr eifrigster Anwender. In Barcelona gibt es mehr als 400 Drachenfiguren. El Drac ist die bekannteste und meistfotografierte. Wer ein Selfie mit dem Drachen machen möchte, oder ihn ohne Menschen aufnehmen will, braucht Geduld, nicht nur in der Hauptsaison …

 

Barri Gotic, Barcelona
Vom Parc Güell nehmen wir die U-Bahn zurück zur Plaça de Catalunya. Von dort schlagen wir uns in die schmalen Gassen des Barri Gòtic mit seinen vielen bunten Geschäften, an denen ich mich gar  nichtsatt sehen kann. Anders als im Parc Güell nerven mich die vielen Menschen hier überhaupt nicht – vielleicht, weil eine gänzlich andere, schwer zu beschreibende Stimmung vorherrscht. Touristen aus aller Welt schlendern durch die Läden, Einheimische sitzen in Straßencafés, „Propheten“ verkünden ihr Anliegen, hier und da klimpert ein Straßenmusikant. Es ist lebhaft, bunt, dennoch sehr entspannt, und in den Schaufenstern gibt es viel zu sehen.

 

Raima, Barcelona
Beim Schlendern entdecken wir das „Raima“, eines der Traditionsgeschäfte im Gotischen Viertel. Was als kleiner Schreibwarenladen begann, ist heute Europas größte Papeterie und spezialisiert auf hochwertiges Papier- und Zeichenmaterial für Architekten, Stadtplaner, Künstler und Designer – die Kundschaft kommt von weit her. Mit viel Aufwand wurde das denkmalgeschützte Gebäude aus dem 16. Jh. aufgestockt – genug Raum, um die Welt des Papiers zu zelebrieren und effektvoll in Szene zu setzen. Schon der Eingang lässt erahnen, dass einen im Inneren mehr erwartet als reine Zweckmäßigkeit: Der knallrote Fiat 600 ist nur eines der Oldtimer-Modelle, die im Laden zu finden sind. Das „Raima“ ist auch ein Hotspot für Künstler und Kreative und ein trendiger Szenetreffpunkt – die „Evenings at Raima“ auf der Dachterrasse des Ladens sind fester Bestandteil des Barceloner Kunst- und Kulturangebots.

 

La Catedral de la Santa Creu i Santa Eulàlia
La Catedral de la Santa Creu i Santa Eulàlia, kurz „die Kathedrale“ (es gibt zwar mehrere, aber es gibt eben zugleich doch nur die eine), ist das Zentrum des Gotischen Viertels. Die meisten Baudenkmäler des Barri Gótic stammen aus dem 14. und 15. Jh., der Blütezeit Barcelonas als Seemacht. Die Grundsteinlegung der Kathedrale erfolgte 1298, die Fertigstellung einhundertfünfzig Jahre später 1448. Es ist bereits die dritte Kirche am selben Ort – davor gab es bereits eine romanische Kathedrale und eine frühchristliche Basilika. Die mächtige Fassade und der achtzig Meter hohe Mittelturm sind wesentlich jüngeren Datums: Sie stammen aus den Jahren 1886 – 1913. Die Kathedrale steht unter dem Patronizium (Schutzherrschaft) Heilig Kreuz und zusätzlich der Heiligen Eulalia, der Stadtpatronin Barcelonas. Im Innenhof der Kathedrale leben seit mehr als 600 Jahren dreizehn weiße Gänse (trotz aller Heiligkeit sind es nicht immer die selben …). Die Zahl dreizehn steht für das Alter, in dem die Heilige Eulàlia von den Römern ermordet wurde, weil sie ihrem christlichen Glauben nicht abschwören wollte. Einer Legende nach war sie auf dem Anwesen ihrer Eltern die Gänsehirtin gewesen. Eine andere Geschichte erzählt von einem versuchten Einbruch während der Bauarbeiten, der von einer Schar schnatternder Gänse verhindert wurde. Das effektive Warnsystem wurde danach beibehalten. Bei unserem Besuch konnten wir die Kathedrale aufgrund einer Veranstaltung leider nicht besuchen.

 

La casa de l'Ardiaca, Barcelona
Unweit der Kathedrale stoßen wir auf eine der vielen grüne Oassen Barcelonas: Im Innenhof der Casa del Arcediano (Haus des Erzdiakons) neben der römischen Stadtmauer steht eine Palme, die im späten 19. Jh. gepflanzt wurde. Der Brunnen in der Mitte wird an Fronleichnam zum Schauplatz des einzigartigen l’ou com balla („das Ei, das tanzt“). Der Eiertanz wird seit 1637 gefeiert: dabei wird der Brunnen mit Blumen und Früchten verziert und ein Ei in/auf die Fontäne gelegt, welches nicht herunterfällt, sondern sich im Wasser dreht und „tanzt“. Der Brauch des tanzenden Eis ist eines der wenigen Elemente, die vom früheren Fronleichnamsfest in Barcelona erhalten blieben. Ursprünglich tanzte das Ei nur am Donnerstag (dem tatsächlichen Fronleichnamstag), bis das Fest in Spanien auf den darauf folgenden Sonntag verlegt wurde. Um beiden Daten gerecht zu werden, tanzen die Eier nun von Donnerstag bis Sonntag. Wurde ursprünglich nur der Brunnen im Kreuzgang der Kathedrale von Barcelona mit einem Ei bestückt, so tanzen die Eier heute auch in anderen Brunenfontänen der Stadt. Die Symbolik des Brauchs ist nicht geklärt – traditionell steht das Ei im christlichen Glauben für Fruchtbarkeit und Wiedergeburt.

 

Santa Maria del Mar, Barcelona
Etwa einen halben Kilometer östlich der Santa Eulàlia, etwas außerhalb des Barri Gótic steht eine weitere Kathedrale (die eigentlich gar keine ist, aber von den Einheimischen so genannt wird): Santa Maria del Mar, die „Kathedrale des Meeres“. In nur 54 Jahren wurde sie zwischen 1329 und 1383 erbaut. Dank der (vergleichsweise) kurzen Bauzeit ist sie architektonisch „aus einem Guss“, ohne Vermischung mit anderen Baustilen. Sie ist somit ein herausragendes Beispiel der katalanischen Gotik und gilt für viele als die schönste Kirche der Stadt – ein Urteil, dem ich mich bereits bei einem Barcelona-Besuch 1993 anschloss, und das sich erneut bestätigt hat. Der Platz, an dem die Kirche errichtet wurde, hat für die katalanischen Christen eine besondere Bedeutung: Hier soll der Apostel Jakobus persönlich gepredigt haben. Bis zur Umbettung in die Hauptkathedrale wurden in der Santa Maria del Mar die sterblichen Überreste der Heiligen Eulàlia aufbewahrt.

 

Santa Maria del Mar, Barcelona
Die Santa Maria del Mar ist fast komplett von den engen Gassen eingeschlossen – das macht es nahezu unmöglich, sie ohne besondere Ausrüstung im Ganzen zu fotografieren. Am ehesten gelingt das mit einem Weitwinkelobjektiv von dem kleinen Platz vor dem Hauptportal. Die strenge, in drei Abschnitte gegliederte Fassade wird von zwei schlanken, achteckigen Türmen überragt. Die große Fensterrose wurde 1428 bei einem Erdbeben zerstört. Es dauerte mehr als dreißig Jahre, bis das Fenster wieder instand gesetzt und verglast werden konnte. Der Bau der Kirche wurde von den einfachen Leuten und Hafenarbeitern der Nachbarschaft finanziert – besonders die Lastenträger lieferten zudem einen großen freiwilligen Beitrag, indem sie in ihrer freien Zeit Steine vom Montjuïc hierher trugen. Die im selben Zeitraum gebaute Santa Eulàlia wurde hingegen von der Bürgerklasse finanziert. Die Mühen, Entbehrungen und Konflikte während der Bauarbeiten hat Ildefonso Falcones in seinem Bestseller „Die Kathedrale des Meeres“ verarbeitet.

 

Santa Maria del Mar
Auch im Innenraum ist die Santa Maria del Mar schlicht, fast nüchtern und kühl gehalten. Prunk und Gold sucht man vergebens – um so besser kommt die architektonische Struktur zur Geltung. Die drei Schiffe bilden einen einzigen großen Raum – die Seitenschiffe „umlaufen“ den Altarraum in einem eleganten Pfeilerkranz. Neuartig für die damalige Zeit war die Bündelung der Gewölbelast auf einige wenige Punkte, so dass das Rippengewölbe des Hauptschiffs nur von vier schlanken, achteckigen Säulen getragen wird. Dass dabei eine Spannweite von dreizehn Metern überspannt wird, war eine architektonische Meisterleistung.

 

Santa Maria del Mar, Barcelona
In der Kathedrale des Meeres sind nur wenige Kunstwerke zu finden; die meisten wurden in Unruhen oder Bränden zerstört. Geblieben sind unter anderem verschiedene Mutter-Kind-Darstellungen in den Seitenkapellen und im Altarraum. Die Statue hinter dem Altar hat ein Schiff zu ihren Füßen – eine Hommage an die Seefahrer und Hafenarbeiter, die zum Beten hierher kamen. Die Kirche strahlt große Ruhe und gerade durch ihre Schlichtheit eine erhabene Schönheit aus und ist eine klare Besuchsempfehlung. Der Eintritt ist frei, die Öffnungszeiten stimmen nicht immer mit dem Schild an der Tür überein. Auf dem kleinen Patz vor dem Haupteingang gibt es einige Cafès, in denen man Wartezeiten überbrücken und den Eingang im Auge behalten kann. Wer eine Führung bucht, kann auch auf das Dach der Kirche steigen (welches, für deutsche Augen ungewöhnlich, nicht von einem zusätzlichen Satteldach aus Holz geschützt wird) und von dort die Aussicht über die Altstadt genießen.

 

Enric Miralles Stiftung, Barcelona
Zurück im Gotischen Viertel: Ein Blick in die Enric Miralles Stiftung in der Passatge de la Pau im Gotischen Virtel. Enric Miralles i Moya war ein katalanischer Architekt und Universitätsprofessor. Die gleichnamige Stiftung wurde 2011 als zeitgenössisches Architektur- und Forschungszentrum gegründet, um sein Erbe zu bewahren und Innovationen im Bereich Architektur und Design zu fördern.

 

Santa Maria del Pi
Ein ungewöhnlicher Anblick zeigt sich uns beim Betreten der Basikika Santa Maria del Pi. Der Altarraum wird von einer zehn Meter breiten und vierzehn Meter hohen Installation des Straßenkünstlers ARYZ dominiert. Katholische Kirche und Straßenkunst hatten nie besondere Berührungspunkte, zumindest keine positiven. Als der Kurator der Basilika, Jordi Sacasas, auf ein Graffiti an der Außenwand „seiner“ Kirche aufmerksam wurde, entschied er, sich nicht über den Vandalismus zu ägern, sondern den Dialog mit der verantwortlichen Künstlergruppe B-Murals zu suchen. Wie sich herausstellte, vertraten Kirche und Straßenkünstler ähnliche Grundwerte wie Altruismus, Großzügigkeit, Nächstenliebe, Freundschaft und Schutz des Schwachen. Basierend auf diesen Werten und angelehnt an die traditionelle Pietà (Darstellung Marias mit dem Leichnam Jesu) schuf ARYZ sein Werk „Crianza“, eine Frau mit einem Kind im Arm.

 

Antoni Yranzo, Petjades, Barcelona
Dem Himmel so nah ist man nicht nur in Barcelonas Kirchen: In den schmalen Gassen und Passagen der Altstadt lohnt auch ein gelegentlicher Blick nach oben. In der Passatge de les Manufactures de Barcelona ist die Installation „Petjades“ („Schritte“) des Bildhauers und Künstlers Antoni Yranzozu sehen. Historische Gebäude und moderne Architektur gehen in Barcelona Hand in Hand – nicht nur im Gotischen Viertel.

 

Barcelona Hafen
Nach einem ausgiebigen Zick-Zack durch das Gotische Viertel erreichen wir über die Partymeile „La Rambla“ den Hafenbezirk. „La Rambla“ ist die vielleicht bekannteste Straße Barcelonas – wer Party machen und shoppen möchte, kommt auf diesen Boulevard. Der Name bezeichnete ursprünglich ein Flussbett, das nur sporadisch Wasser führte und in den ausgetrockneten Zeiten als Straße genutzt werden konnte. Unbestätigten Theorien zufolge soll auch in Barcelona einst ein Fluss ins Meer geführt haben – dieser soll umgeleitet worden sein, um die Rambla dauerhaft als Straße zu nutzen. Die Prachstraße endet am Kolumbusdenkmal, im rechten Winkel zur Hafenpromenade, von der aus man einen schönen Blick auf die Villen und Amtsgebäude des Bezirks hat.

 

Superyacht Kaos, Barcelona
Schiff- und Yachtfans kommen im Hafen von Barcelona auf ihre Kosten: Eine Reihe von Superyachten liegt hier vor Anker. Darunter die Motoryacht „Kaos“, mit einer Länge von 110 m die größte in den Niederlanden gebaute Yacht. KAOS wurde unter dem Namen „Jubilee“ für Scheich Khalifa bin Hamad bin Abdullah bin Jassim bin Mohammed Al Thani, den Emir von Katar, gebaut und 2017 vom Stapel gelassen. Den Stapellauf erlebte der Emir nicht mehr – er verstarb 2016. Für rund 300 Millionen Dollar wechselte die Yacht in den Besitz der US-Millardärin Nancy Walton Laurie, Erbin des Supermarkt-Imperiums Walmart. Mit dem Besitzer wechselte die Yacht auch den Namen – aus „Jubilee“ wurde „Kaos“. Der Grund für die Namenswahl ist (leider) nicht bekannt, lädt aber zu Mutmaßungen ein.

 

Hafen Barcelona
Die Seefahrt machte Barcelona reich: Im 18. Jh. war der Hafen von Barcelona der Dreh- und Angelpunkt des weltweiten Baumwollhandels. Heute verfügt der Hafen über mehr als zwanzig Kilometer Kaianlagen und Liegeplätze mit 35 spezialisierten Terminals. Er ist zudem der größte Kreuzfahrthafen des Mittelmeers, und der fünfte weltweit, hinter den großen Häfen der Karibik. Im Einkaufszentrum Maremagnum (rechts unten im Bild) ist neben Bars, Boutiquen, Kinos, Discos und Restaurants auch ein großes, dem Mittelmeer gewidmetes Meerwasseraquarium untergebracht, das rund 450 Arten und mehr als 11.000 Tiere beherbergt. Hauptteil des Aquariums ist ein achtzig Meter langer, verglaster Unterwassergang mit einem Laufband, das unter dem Ozeanarium hindurchführt. So kann man Rochen und Blauhaie Aug in Aug betrachten.

 

Barcelona Strand, W-Hotel
Wir begnügen uns mit dem Kauf von Kaffee, Pommes und Eis und bevorzugen den direkten Kontakt mit dem Meerwasser – ohne Hai bitte! Mehrere Strandabschnitte sind frei zugänglich, viele davon sind barrierefrei, mit kostenlosen Toiletten und Duschen. Bei unserem Besuch Ende September ist das Wasser immer noch angenehm warm. Die Strände sind weitgehend leer, bewacht von einem Jack Sparrow, der vom vielen Fuchteln mit der Pistole wohl schon etwas müde geworden ist und sich auf einen Wischmopp stützt. Der längste Strandabschnitt, die Platja de Sant Sebastià, wird von der markanten Silhouette des W-Barcelona dominiert. Das Luxushotel im 5-Sterne-Segment hat insgesamt 26 Etagen – Bar und Pool mit Panoramablick über das Meer inklusive. Zimmer mit Halbpension für zwei gibt es ab 350 Euro die Nacht – im Sonderangebot …

 

Hafenseilbahn Barcelona
Auf uns wartet eine andere Aussicht: Mit der Hafenseilbahn schweben wir über den Hafen hinauf zum Montjuïc, einem der beiden Hausberge Barcelonas. Die Talstation der Schwebebahn befindet sich in luftiger Höhe auf dem 86 m hohen Torre Sant Sebastià. Von dort geht es in kleinen, schwankenden Kabinen zum 107 m hohen Torre Jaume I. Bis zum Bau der Gletscherbahn Kaprun 1966 war der Torre Jaume I die höchste Seilbahnstütze der Welt. Die Hafenseilbahn sollte eine Attraktion zur Weltausstellung 1929 werden. Die Projektleiter hatten den Umfang des ehrgeizigen Baus jedoch unterschätzt – die Seilbahn konnte erst im September 1931 eröffnet werden. Die Hoffnung, mit der Seilbahn eine Goldgrube geschaffen zu haben, wurde durch die Weltwirtschaftskrise und den Spanischen Bürgerkrieg zunichte gemacht – der Torre Jaume I diente stattdessen als Beobachtungsturm und wurde mit einem Maschinengewehr verstärkt. Während der Kämpfe wurde der Turm beschossen; eines der Seile brach, und eine Kabine stürzte ins Meer. Noch bevor der Betrieb der Seilbahn richtig in Schwung kam, verfiel sie zusehends, und ein Abriss wurde diskutiert. Zum Glück kam es nicht so weit: nach einer umfangreichen Sanierung konnte die Bahn 1963 wieder in Betrieb genommen werden – nur um 1995 erneut wegen geringer Wirtschaftlichkeit geschlossen zu werden. 2000 wurde die Bahn erneut saniert – wie lange sie in Betrieb bleibt, steht in den Sternen. Die Fahrt lohnt sich auf jeden Fall. Auch wenn sie nicht mehr so „speziell“ ist, wie bei meinem ersten Besuch 1993 (damals noch mit klapprigem Lift, verrosteten Türmen und offenen Seilbahnkabinen) bleibt sie ein kleines Abenteuer. Sie ist nichts für Menschen mit schwachen Nerven oder Höhenangst.

 

"Serenitat" ("die Gelassenheit) von Josep Clarà i Ayats, Montjuic, Barcelona
Die Bergstation der Hafenseilbahn liegt auf dem 173 m hohen Montjuïc. Auf ihm wurden die Weltausstellung 1929 und die Olympischen Sommerspiele 1992 ausgerichtet. Ein Café mit Blick bietet Capuccino für rund sechs Euro. Die Statue „Serenitat“ („die Gelassenheit) von Josep Clarà i Ayats macht ihrem Namen alle Ehre und nimmt solche Preise gelassen.

 

Jardins de Mossèn Costa i Llobera, Barcelona
Durch die Jardins de Mossèn Costa i Llobera wandern wir zurück zum Hafen. Der Garten gehört zu den bedeutendsten, auf Sukkulenten und Kakteen spezialisierten Gärten Europas – und zu den unbekanntesten Barcelonas. Die Ruhe, die wir im Parc Güell vermisst haben, finden wir hier. Der Garten ist botanischer Garten und Testgelände gleichermaßen: Seit einigen Jahren wird hier daran gearbeitet, die Anpassung von Arten aus Subwüsten-, Wüsten- und Tropengebieten, aber auch aus Hochgebirgsregionen zu testen.

 

Patisserie, Barcelona
Von den Gärten laufen wir ein letztes Mal zurück in die Altstadt. In einem der vielen Restaurants auf den Ramblas essen wir eine Kleinigkeit. Mit zum Glück gut gefülltem Magen plündern wir danach eine Patisserie im Gotischen Viertel. Zitronentörtchen für später! Müde aber zufrieden beenden wir den Tag in Barcelona und fahren mit der U-Bahn zurück ins Hotel. Rund zweiundzwanzig Kilometer sind wir insgesamt gelaufen – einige Etappen waren nicht so interessant, aber gelangweilt haben wir uns nicht. Fazit: Barcelona ist vielfältig, abwechslungsreich und bietet reichlich Attraktionen für so ziemlich jeden Geschmack.

 

Allmählich nähert sich unsere Nordspanien-Rundreise ihrem Ende. Für die verbleibenden zwei Tage planen wir einen Besuch im Landschaftsschutzgebiet Espai Natural de les Guilleries-Savassona mit Übernachtung in Vic, sowie als letzte Station das mittelalterliche Postkartenstädtchen Besalú.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner